[Eckstein, Ernst:] Dudler und Dulder. Studien über die Anmaßungen der Tonkunst. Leipzig, 1893.Ein talentvoller Künstler zeichnet uns aus der gleichen Stimmung heraus eine musikalische Soiree, bei der die Tochter des Hauses auf allgemeines Verlangen irgend etwas Ergreifendes in die Lüfte schmettert. Im Hintergrunde sitzt Pluto, der treue Haushund, und heult bei den schauerlichen Coloraturen des jungen Mädchens pöbelhaft zum Plafond aus. Die Unterschrift aber besteht in dem Stoßseufzer, den ein gepeinigter Gast an den heulenden Pudel richtet, und dieser Stoßseufzer ist die Variation eines bekannten Citats aus Goethe's Tasso: "Ja, wo der Mensch in seiner Qual verstummt, gab Dir ein Gott zu sagen, was Du leidest!" Auch die Musik, zu der man geladen wird, involvirt, wie figura zeigt, mitunter eine conventionelle Rücksichtslosigkeit ersten Ranges. Das drolligste Beispiel dieser Art melden uns die römischen Schriftsteller aus der musikalischen Praxis des Kaisers Nero. Dieser despotische Geist kannte ja überhaupt kein Mitleid: am schnödesten und erbarmungslosesten aber verfuhr er als Dudler. In allen Provinzen des Reichs trug er sein vermeintliches Virtuosenthum und zwang seine Unterthanen zum Anhören ungezählter Gesangs- und Kithara-Stücke. Da nun Viele von den Gemarterten ausrissen, trotz der strengen Befehle des hohen Herrn und trotz der furchtbaren Straf-Exempel, die er schon mehrfach wegen Unbotmäßigkeit im Genießen der kaiserlichen Musik statuirt hatte, so schritt er, als er einst in Neapolis ein Monstre-Concert gab, zu Gewaltmaßregeln. Die Stadtmauern wurden militärisch besetzt; Niemand durfte durch's Tor, um etwas in Bajä oder in Bauli Schutz zu suchen gegen das schauderhafte imperatorische Erz-Gedudel. - Da kletterten einzelne bedrohte Ein talentvoller Künstler zeichnet uns aus der gleichen Stimmung heraus eine musikalische Soirée, bei der die Tochter des Hauses auf allgemeines Verlangen irgend etwas Ergreifendes in die Lüfte schmettert. Im Hintergrunde sitzt Pluto, der treue Haushund, und heult bei den schauerlichen Coloraturen des jungen Mädchens pöbelhaft zum Plafond aus. Die Unterschrift aber besteht in dem Stoßseufzer, den ein gepeinigter Gast an den heulenden Pudel richtet, und dieser Stoßseufzer ist die Variation eines bekannten Citats aus Goethe’s Tasso: „Ja, wo der Mensch in seiner Qual verstummt, gab Dir ein Gott zu sagen, was Du leidest!“ Auch die Musik, zu der man geladen wird, involvirt, wie figura zeigt, mitunter eine conventionelle Rücksichtslosigkeit ersten Ranges. Das drolligste Beispiel dieser Art melden uns die römischen Schriftsteller aus der musikalischen Praxis des Kaisers Nero. Dieser despotische Geist kannte ja überhaupt kein Mitleid: am schnödesten und erbarmungslosesten aber verfuhr er als Dudler. In allen Provinzen des Reichs trug er sein vermeintliches Virtuosenthum und zwang seine Unterthanen zum Anhören ungezählter Gesangs- und Kithara-Stücke. Da nun Viele von den Gemarterten ausrissen, trotz der strengen Befehle des hohen Herrn und trotz der furchtbaren Straf-Exempel, die er schon mehrfach wegen Unbotmäßigkeit im Genießen der kaiserlichen Musik statuirt hatte, so schritt er, als er einst in Neapolis ein Monstre-Concert gab, zu Gewaltmaßregeln. Die Stadtmauern wurden militärisch besetzt; Niemand durfte durch’s Tor, um etwas in Bajä oder in Bauli Schutz zu suchen gegen das schauderhafte imperatorische Erz-Gedudel. – Da kletterten einzelne bedrohte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0049" n="47"/> <p>Ein talentvoller Künstler zeichnet uns aus der gleichen Stimmung heraus eine musikalische Soirée, bei der die Tochter des Hauses auf allgemeines Verlangen irgend etwas Ergreifendes in die Lüfte schmettert. Im Hintergrunde sitzt Pluto, der treue Haushund, und heult bei den schauerlichen Coloraturen des jungen Mädchens pöbelhaft zum Plafond aus. Die Unterschrift aber besteht in dem Stoßseufzer, den ein gepeinigter Gast an den heulenden Pudel richtet, und dieser Stoßseufzer ist die Variation eines bekannten Citats aus Goethe’s Tasso: „Ja, wo der Mensch in seiner Qual verstummt, gab Dir ein Gott zu sagen, was Du leidest!“</p> <p>Auch die Musik, zu der man geladen wird, involvirt, wie <hi rendition="#aq">figura</hi> zeigt, mitunter eine conventionelle Rücksichtslosigkeit ersten Ranges. Das drolligste Beispiel dieser Art melden uns die römischen Schriftsteller aus der musikalischen Praxis des Kaisers Nero.</p> <p>Dieser despotische Geist kannte ja überhaupt kein Mitleid: am schnödesten und erbarmungslosesten aber verfuhr er als Dudler. In allen Provinzen des Reichs trug er sein vermeintliches Virtuosenthum und zwang seine Unterthanen zum Anhören ungezählter Gesangs- und Kithara-Stücke. Da nun Viele von den Gemarterten ausrissen, trotz der strengen Befehle des hohen Herrn und trotz der furchtbaren Straf-Exempel, die er schon mehrfach wegen Unbotmäßigkeit im Genießen der kaiserlichen Musik statuirt hatte, so schritt er, als er einst in Neapolis ein Monstre-Concert gab, zu Gewaltmaßregeln. Die Stadtmauern wurden militärisch besetzt; Niemand durfte durch’s Tor, um etwas in Bajä oder in Bauli Schutz zu suchen gegen das schauderhafte imperatorische Erz-Gedudel. – Da kletterten einzelne bedrohte </p> </div> </body> </text> </TEI> [47/0049]
Ein talentvoller Künstler zeichnet uns aus der gleichen Stimmung heraus eine musikalische Soirée, bei der die Tochter des Hauses auf allgemeines Verlangen irgend etwas Ergreifendes in die Lüfte schmettert. Im Hintergrunde sitzt Pluto, der treue Haushund, und heult bei den schauerlichen Coloraturen des jungen Mädchens pöbelhaft zum Plafond aus. Die Unterschrift aber besteht in dem Stoßseufzer, den ein gepeinigter Gast an den heulenden Pudel richtet, und dieser Stoßseufzer ist die Variation eines bekannten Citats aus Goethe’s Tasso: „Ja, wo der Mensch in seiner Qual verstummt, gab Dir ein Gott zu sagen, was Du leidest!“
Auch die Musik, zu der man geladen wird, involvirt, wie figura zeigt, mitunter eine conventionelle Rücksichtslosigkeit ersten Ranges. Das drolligste Beispiel dieser Art melden uns die römischen Schriftsteller aus der musikalischen Praxis des Kaisers Nero.
Dieser despotische Geist kannte ja überhaupt kein Mitleid: am schnödesten und erbarmungslosesten aber verfuhr er als Dudler. In allen Provinzen des Reichs trug er sein vermeintliches Virtuosenthum und zwang seine Unterthanen zum Anhören ungezählter Gesangs- und Kithara-Stücke. Da nun Viele von den Gemarterten ausrissen, trotz der strengen Befehle des hohen Herrn und trotz der furchtbaren Straf-Exempel, die er schon mehrfach wegen Unbotmäßigkeit im Genießen der kaiserlichen Musik statuirt hatte, so schritt er, als er einst in Neapolis ein Monstre-Concert gab, zu Gewaltmaßregeln. Die Stadtmauern wurden militärisch besetzt; Niemand durfte durch’s Tor, um etwas in Bajä oder in Bauli Schutz zu suchen gegen das schauderhafte imperatorische Erz-Gedudel. – Da kletterten einzelne bedrohte
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Zitationshilfe: | [Eckstein, Ernst:] Dudler und Dulder. Studien über die Anmaßungen der Tonkunst. Leipzig, 1893, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckstein_dudler_1893/49>, abgerufen am 08.07.2024. |