Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Eckstein, Ernst:] Dudler und Dulder. Studien über die Anmaßungen der Tonkunst. Leipzig, 1893.

Bild:
<< vorherige Seite

Trinkspruch (auf die Suprematie der Musik) eine Majestätsbeleidigung gegen diese höchste Muse begangen hätten, die ich nur damit entschuldigen kann, daß Sie sich aus dem Tempel der wahren Gottheit in eine Moschee verirrt haben."

Theoretisch wird das Uebergewicht dieser "wahren Gottheit" denn in der That auch nur von einer verschwindenden Minorität der Kunstphilosophen geleugnet; aber diese Minorität befindet sich in dem Fall der zugfürchtigen magern Herrn unter den neun Apoplektikern. In praxi hat sie das Uebergewicht. Die Freunde des poetischen Sauerstoffs müssen sich beugen: das Fenster bleibt zu!

Ganz ähnlich, wenn anch nicht mit der gleichen Beredsamkeit wie Paul Heyse, äußert sich Hector Malot in seiner "Ghislaine". Der Held, mit dem sich der Autor in diesem Fall identifizirt, sagt zu Fräulein von Chambrai, die seiner Meinung zu Folge des Guten zu viel thut, etwa das Nachstehende:

"Ich liebe die Musik als Erholung, aber ich liebe sie nicht als Beschäftigung. Mit der Musik verhält es sich meines Erachtens wie mit den Wohlgerüchen. Gelegentlich einen Wohlgeruch einzuschlürfen ist köstlich; in einer Luft, die mit Wohlgerüchen geschwängert ist, dauernd zu athmen, ist unangenehm und gefährlich. Während die übrigen Künste uns stärken, schwächt die Musik, sobald man ihren Genuß übertreibt."

Noch einen anderen Punkt, der die conventionelle Rücksichtslosigkeit der Musikfanatiker gegen die Rechte der Poesie beweist, führt Malot an: das zweierlei Maaß nämlich in der Beurtheilung literarischer und musikalischer Kunstwerke. Die prüde Engländerin, die bei Ghislaine als Gouvernante fungirt, entsetzt sich nämlich vor der geringsten Freiheit bei Lamartine,

Trinkspruch (auf die Suprematie der Musik) eine Majestätsbeleidigung gegen diese höchste Muse begangen hätten, die ich nur damit entschuldigen kann, daß Sie sich aus dem Tempel der wahren Gottheit in eine Moschee verirrt haben.“

Theoretisch wird das Uebergewicht dieser „wahren Gottheit“ denn in der That auch nur von einer verschwindenden Minorität der Kunstphilosophen geleugnet; aber diese Minorität befindet sich in dem Fall der zugfürchtigen magern Herrn unter den neun Apoplektikern. In praxi hat sie das Uebergewicht. Die Freunde des poetischen Sauerstoffs müssen sich beugen: das Fenster bleibt zu!

Ganz ähnlich, wenn anch nicht mit der gleichen Beredsamkeit wie Paul Heyse, äußert sich Hector Malot in seiner „Ghislaine“. Der Held, mit dem sich der Autor in diesem Fall identifizirt, sagt zu Fräulein von Chambrai, die seiner Meinung zu Folge des Guten zu viel thut, etwa das Nachstehende:

„Ich liebe die Musik als Erholung, aber ich liebe sie nicht als Beschäftigung. Mit der Musik verhält es sich meines Erachtens wie mit den Wohlgerüchen. Gelegentlich einen Wohlgeruch einzuschlürfen ist köstlich; in einer Luft, die mit Wohlgerüchen geschwängert ist, dauernd zu athmen, ist unangenehm und gefährlich. Während die übrigen Künste uns stärken, schwächt die Musik, sobald man ihren Genuß übertreibt.“

Noch einen anderen Punkt, der die conventionelle Rücksichtslosigkeit der Musikfanatiker gegen die Rechte der Poesie beweist, führt Malot an: das zweierlei Maaß nämlich in der Beurtheilung literarischer und musikalischer Kunstwerke. Die prüde Engländerin, die bei Ghislaine als Gouvernante fungirt, entsetzt sich nämlich vor der geringsten Freiheit bei Lamartine,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0017" n="15"/>
Trinkspruch (auf die Suprematie der Musik) eine Majestätsbeleidigung gegen diese höchste Muse begangen hätten, die ich nur damit entschuldigen kann, daß Sie sich aus dem Tempel der wahren Gottheit in eine Moschee verirrt haben.&#x201C;</p>
        <p>Theoretisch wird das Uebergewicht dieser &#x201E;wahren Gottheit&#x201C; denn in der That auch nur von einer verschwindenden Minorität der Kunstphilosophen geleugnet; aber diese Minorität befindet sich in dem Fall der zugfürchtigen magern Herrn unter den neun Apoplektikern. <hi rendition="#aq">In praxi</hi> hat sie das Uebergewicht. Die Freunde des poetischen Sauerstoffs müssen sich beugen: das Fenster bleibt zu!</p>
        <p>Ganz ähnlich, wenn anch nicht mit der gleichen Beredsamkeit wie Paul Heyse, äußert sich Hector Malot in seiner &#x201E;Ghislaine&#x201C;. Der Held, mit dem sich der Autor in diesem Fall identifizirt, sagt zu Fräulein von Chambrai, die seiner Meinung zu Folge des Guten zu viel thut, etwa das Nachstehende:</p>
        <p>&#x201E;Ich liebe die Musik als Erholung, aber ich liebe sie nicht als Beschäftigung. Mit der Musik verhält es sich meines Erachtens wie mit den Wohlgerüchen. Gelegentlich einen Wohlgeruch einzuschlürfen ist köstlich; in einer Luft, die mit Wohlgerüchen geschwängert ist, dauernd zu athmen, ist unangenehm und gefährlich. Während die übrigen Künste uns stärken, schwächt die Musik, sobald man ihren Genuß übertreibt.&#x201C;</p>
        <p>Noch einen anderen Punkt, der die conventionelle Rücksichtslosigkeit der Musikfanatiker gegen die Rechte der Poesie beweist, führt Malot an: das zweierlei Maaß nämlich in der Beurtheilung literarischer und musikalischer Kunstwerke. Die prüde Engländerin, die bei Ghislaine als Gouvernante fungirt, entsetzt sich nämlich vor der geringsten Freiheit bei Lamartine,
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0017] Trinkspruch (auf die Suprematie der Musik) eine Majestätsbeleidigung gegen diese höchste Muse begangen hätten, die ich nur damit entschuldigen kann, daß Sie sich aus dem Tempel der wahren Gottheit in eine Moschee verirrt haben.“ Theoretisch wird das Uebergewicht dieser „wahren Gottheit“ denn in der That auch nur von einer verschwindenden Minorität der Kunstphilosophen geleugnet; aber diese Minorität befindet sich in dem Fall der zugfürchtigen magern Herrn unter den neun Apoplektikern. In praxi hat sie das Uebergewicht. Die Freunde des poetischen Sauerstoffs müssen sich beugen: das Fenster bleibt zu! Ganz ähnlich, wenn anch nicht mit der gleichen Beredsamkeit wie Paul Heyse, äußert sich Hector Malot in seiner „Ghislaine“. Der Held, mit dem sich der Autor in diesem Fall identifizirt, sagt zu Fräulein von Chambrai, die seiner Meinung zu Folge des Guten zu viel thut, etwa das Nachstehende: „Ich liebe die Musik als Erholung, aber ich liebe sie nicht als Beschäftigung. Mit der Musik verhält es sich meines Erachtens wie mit den Wohlgerüchen. Gelegentlich einen Wohlgeruch einzuschlürfen ist köstlich; in einer Luft, die mit Wohlgerüchen geschwängert ist, dauernd zu athmen, ist unangenehm und gefährlich. Während die übrigen Künste uns stärken, schwächt die Musik, sobald man ihren Genuß übertreibt.“ Noch einen anderen Punkt, der die conventionelle Rücksichtslosigkeit der Musikfanatiker gegen die Rechte der Poesie beweist, führt Malot an: das zweierlei Maaß nämlich in der Beurtheilung literarischer und musikalischer Kunstwerke. Die prüde Engländerin, die bei Ghislaine als Gouvernante fungirt, entsetzt sich nämlich vor der geringsten Freiheit bei Lamartine,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2013-01-04T11:47:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-04T11:47:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-01-04T11:47:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckstein_dudler_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckstein_dudler_1893/17
Zitationshilfe: [Eckstein, Ernst:] Dudler und Dulder. Studien über die Anmaßungen der Tonkunst. Leipzig, 1893, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckstein_dudler_1893/17>, abgerufen am 27.04.2024.