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[Eckstein, Ernst:] Dudler und Dulder. Studien über die Anmaßungen der Tonkunst. Leipzig, 1893.

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werden. Ist es nun nicht ähnlich so mit der Musik? Vielleicht hat man es nur ihr zu verdanken, wenn die Menschen ihre Bestialität nach und nach verloren haben und gottähnlich geworden sind. Das aber steht nicht minder fest, daß Menschen, die nun diesen Genuß übertreiben, nach und nach in ein pflanzenhaftes Traumleben versinken, und daß zu einer Zeit, wo man dahin käme, die Musik wirklich als die erste und höchste Kunst zu feiern, die höchsten Aufgaben der Menschheit nicht gelöst werden würden ... Ich weiß, das sind Ketzereien, die man in gewissen Kreisen nicht vorbringen darf, ohne ein bischen gesteinigt zu werden. Auch möchte ich mit einem Musiker nicht darüber streiten, da er kaum begreifen würde, was ich eigentlich meine. Das In-Tönen-Denken, was diese Kunst mit sich bringt, löst mit der Zeit alles Feste im Gehirn in eine weiche Masse auf, und nur die großen, wahrhaft schöpferischen Talente bewahren sich die Fähigkeit und Neigung für andre geistigen Interessen. Daß die höchsten Meister in einer jeden Kunst einander ebenbürtig sind, brauche ich nicht erst zu versichern. Auf die Uebrigen aber paßt wahrhaftig das Wort, das Jemand von den lyrischen Poeten gesagt hat: sie sind die Gänse, die auf die Leber gemästet sind; treffliche Lebern aber kranke Gränse. Wie soll auch das Gleichgewicht des Geistes erhalten bleiben, wenn Jemand neun Stunden des Tags vor einem Instrument sitzt und beständig dieselben Passagen exercirt? Aber freilich, eine solche Aufopferung ist nur möglich bei einem falschen Begriff vom Wert der Sache."

Die conventionelle Rücksichtslosigkeit, mit der die Musikpropheten jede halbwegs häretische Meinung niederzuschreien bemüht sind, richtet sich natürlich anch gegen den tollkühnen Bildhauer, der solche Worte in eine Gesellschaft zu schleudern

werden. Ist es nun nicht ähnlich so mit der Musik? Vielleicht hat man es nur ihr zu verdanken, wenn die Menschen ihre Bestialität nach und nach verloren haben und gottähnlich geworden sind. Das aber steht nicht minder fest, daß Menschen, die nun diesen Genuß übertreiben, nach und nach in ein pflanzenhaftes Traumleben versinken, und daß zu einer Zeit, wo man dahin käme, die Musik wirklich als die erste und höchste Kunst zu feiern, die höchsten Aufgaben der Menschheit nicht gelöst werden würden … Ich weiß, das sind Ketzereien, die man in gewissen Kreisen nicht vorbringen darf, ohne ein bischen gesteinigt zu werden. Auch möchte ich mit einem Musiker nicht darüber streiten, da er kaum begreifen würde, was ich eigentlich meine. Das In-Tönen-Denken, was diese Kunst mit sich bringt, löst mit der Zeit alles Feste im Gehirn in eine weiche Masse auf, und nur die großen, wahrhaft schöpferischen Talente bewahren sich die Fähigkeit und Neigung für andre geistigen Interessen. Daß die höchsten Meister in einer jeden Kunst einander ebenbürtig sind, brauche ich nicht erst zu versichern. Auf die Uebrigen aber paßt wahrhaftig das Wort, das Jemand von den lyrischen Poeten gesagt hat: sie sind die Gänse, die auf die Leber gemästet sind; treffliche Lebern aber kranke Gränse. Wie soll auch das Gleichgewicht des Geistes erhalten bleiben, wenn Jemand neun Stunden des Tags vor einem Instrument sitzt und beständig dieselben Passagen exercirt? Aber freilich, eine solche Aufopferung ist nur möglich bei einem falschen Begriff vom Wert der Sache."

Die conventionelle Rücksichtslosigkeit, mit der die Musikpropheten jede halbwegs häretische Meinung niederzuschreien bemüht sind, richtet sich natürlich anch gegen den tollkühnen Bildhauer, der solche Worte in eine Gesellschaft zu schleudern

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[13/0015] werden. Ist es nun nicht ähnlich so mit der Musik? Vielleicht hat man es nur ihr zu verdanken, wenn die Menschen ihre Bestialität nach und nach verloren haben und gottähnlich geworden sind. Das aber steht nicht minder fest, daß Menschen, die nun diesen Genuß übertreiben, nach und nach in ein pflanzenhaftes Traumleben versinken, und daß zu einer Zeit, wo man dahin käme, die Musik wirklich als die erste und höchste Kunst zu feiern, die höchsten Aufgaben der Menschheit nicht gelöst werden würden … Ich weiß, das sind Ketzereien, die man in gewissen Kreisen nicht vorbringen darf, ohne ein bischen gesteinigt zu werden. Auch möchte ich mit einem Musiker nicht darüber streiten, da er kaum begreifen würde, was ich eigentlich meine. Das In-Tönen-Denken, was diese Kunst mit sich bringt, löst mit der Zeit alles Feste im Gehirn in eine weiche Masse auf, und nur die großen, wahrhaft schöpferischen Talente bewahren sich die Fähigkeit und Neigung für andre geistigen Interessen. Daß die höchsten Meister in einer jeden Kunst einander ebenbürtig sind, brauche ich nicht erst zu versichern. Auf die Uebrigen aber paßt wahrhaftig das Wort, das Jemand von den lyrischen Poeten gesagt hat: sie sind die Gänse, die auf die Leber gemästet sind; treffliche Lebern aber kranke Gränse. Wie soll auch das Gleichgewicht des Geistes erhalten bleiben, wenn Jemand neun Stunden des Tags vor einem Instrument sitzt und beständig dieselben Passagen exercirt? Aber freilich, eine solche Aufopferung ist nur möglich bei einem falschen Begriff vom Wert der Sache." Die conventionelle Rücksichtslosigkeit, mit der die Musikpropheten jede halbwegs häretische Meinung niederzuschreien bemüht sind, richtet sich natürlich anch gegen den tollkühnen Bildhauer, der solche Worte in eine Gesellschaft zu schleudern

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Zitationshilfe: [Eckstein, Ernst:] Dudler und Dulder. Studien über die Anmaßungen der Tonkunst. Leipzig, 1893, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckstein_dudler_1893/15>, abgerufen am 29.03.2024.