wolle ihnen ihren Mirabeau verderben, indem er das Geheimniß seiner übermenschlichen Thätigkeit enthüllt und auch anderen Leuten einigen Antheil an dem gro¬ ßen Verdienst vindicirt, das bisher der Name Mirabeau allein verschlang."
"Die Franzosen erblicken in Mirabeau ihren Her¬ kules; und sie haben vollkommen Recht. Allein sie vergessen, daß auch der Coloß aus einzelnen Theilen besteht und daß auch der Herkules des Alterthums ein collectives Wesen ist, ein großer Träger seiner eigenen Thaten und der Thaten Anderer."
"Im Grunde aber sind wir Alle collective Wesen, wir mögen uns stellen, wie wir wollen. Denn wie Weni¬ ges haben und sind wir, das wir im reinsten Sinne unser Eigenthum nennen! Wir müssen Alle empfangen und lernen, sowohl von denen die vor uns waren, als von denen die mit uns sind. Selbst das größte Genie würde nicht weit kommen, wenn es Alles seinem eigenen Innern verdanken wollte. Das begreifen aber viele sehr gute Menschen nicht und tappen mit ihren Träumen von Originalität ein halbes Leben im Dun¬ keln. Ich habe Künstler gekannt, die sich rühmten keinem Meister gefolgt zu seyn, vielmehr Alles ihrem eigenen Genie zu danken haben. Die Narren! als ob das überall anginge! Und als ob sich die Welt ihnen nicht bei jedem Schritt aufdränge und aus ihnen, trotz ihrer eigenen Dummheit, etwas machte! Ja ich be¬
wolle ihnen ihren Mirabeau verderben, indem er das Geheimniß ſeiner übermenſchlichen Thätigkeit enthüllt und auch anderen Leuten einigen Antheil an dem gro¬ ßen Verdienſt vindicirt, das bisher der Name Mirabeau allein verſchlang.“
„Die Franzoſen erblicken in Mirabeau ihren Her¬ kules; und ſie haben vollkommen Recht. Allein ſie vergeſſen, daß auch der Coloß aus einzelnen Theilen beſteht und daß auch der Herkules des Alterthums ein collectives Weſen iſt, ein großer Träger ſeiner eigenen Thaten und der Thaten Anderer.“
„Im Grunde aber ſind wir Alle collective Weſen, wir mögen uns ſtellen, wie wir wollen. Denn wie Weni¬ ges haben und ſind wir, das wir im reinſten Sinne unſer Eigenthum nennen! Wir müſſen Alle empfangen und lernen, ſowohl von denen die vor uns waren, als von denen die mit uns ſind. Selbſt das größte Genie würde nicht weit kommen, wenn es Alles ſeinem eigenen Innern verdanken wollte. Das begreifen aber viele ſehr gute Menſchen nicht und tappen mit ihren Träumen von Originalität ein halbes Leben im Dun¬ keln. Ich habe Künſtler gekannt, die ſich rühmten keinem Meiſter gefolgt zu ſeyn, vielmehr Alles ihrem eigenen Genie zu danken haben. Die Narren! als ob das überall anginge! Und als ob ſich die Welt ihnen nicht bei jedem Schritt aufdränge und aus ihnen, trotz ihrer eigenen Dummheit, etwas machte! Ja ich be¬
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wolle ihnen ihren Mirabeau verderben, indem er das
Geheimniß ſeiner übermenſchlichen Thätigkeit enthüllt
und auch anderen Leuten einigen Antheil an dem gro¬
ßen Verdienſt vindicirt, das bisher der Name Mirabeau
allein verſchlang.“
„Die Franzoſen erblicken in Mirabeau ihren Her¬
kules; und ſie haben vollkommen Recht. Allein ſie
vergeſſen, daß auch der Coloß aus einzelnen Theilen
beſteht und daß auch der Herkules des Alterthums ein
collectives Weſen iſt, ein großer Träger ſeiner eigenen
Thaten und der Thaten Anderer.“
„Im Grunde aber ſind wir Alle collective Weſen, wir
mögen uns ſtellen, wie wir wollen. Denn wie Weni¬
ges haben und ſind wir, das wir im reinſten Sinne
unſer Eigenthum nennen! Wir müſſen Alle empfangen
und lernen, ſowohl von denen die vor uns waren,
als von denen die mit uns ſind. Selbſt das größte
Genie würde nicht weit kommen, wenn es Alles ſeinem
eigenen Innern verdanken wollte. Das begreifen aber
viele ſehr gute Menſchen nicht und tappen mit ihren
Träumen von Originalität ein halbes Leben im Dun¬
keln. Ich habe Künſtler gekannt, die ſich rühmten
keinem Meiſter gefolgt zu ſeyn, vielmehr Alles ihrem
eigenen Genie zu danken haben. Die Narren! als ob
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nicht bei jedem Schritt aufdränge und aus ihnen, trotz
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/388>, abgerufen am 21.11.2024.
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