haupte, wenn ein solcher Künstler nur an den Wänden dieses Zimmers vorüberginge und auf die Handzeich¬ nungen einiger großen Meister, womit ich sie behängt habe, nur flüchtige Blicke würfe, er müßte, wenn er überall einiges Genie hätte, als ein Anderer und Hö¬ herer von hier gehen."
"Und was ist denn überhaupt Gutes an uns, wenn es nicht die Kraft und Neigung ist, die Mittel der äußern Welt an uns heranzuziehen und unseren höheren Zwecken dienstbar zu machen. Ich darf wohl von mir selber reden und bescheiden sagen, wie ich fühle. Es ist wahr, ich habe in meinem langen Leben man¬ cherlei gethan und zu Stande gebracht, dessen ich mich allenfalls rühmen könnte. Was hatte ich aber, wenn wir ehrlich seyn wollen, das eigentlich mein war, als die Fähigkeit und Neigung, zu sehen und zu hören, zu unterscheiden und zu wählen, und das Gesehene und Gehörte mit einigem Geist zu beleben und mit einiger Geschicklichkeit wiederzugeben. Ich verdanke meine Werke keineswegs meiner eigenen Weisheit allein, son¬ dern tausenden von Dingen und Personen außer mir, die mir dazu das Material boten. Es kamen Narren und Weise, helle Köpfe und bornirte, Kindheit und Jugend wie das reife Alter; Alle sagten mir, wie es ihnen zu Sinne sey, was sie dachten, wie sie lebten und wirkten und welche Erfahrungen sie sich gesam¬ melt, und ich hatte weiter nichts zu thun, als zuzugrei¬
haupte, wenn ein ſolcher Künſtler nur an den Wänden dieſes Zimmers vorüberginge und auf die Handzeich¬ nungen einiger großen Meiſter, womit ich ſie behängt habe, nur flüchtige Blicke würfe, er müßte, wenn er überall einiges Genie hätte, als ein Anderer und Hö¬ herer von hier gehen.“
„Und was iſt denn überhaupt Gutes an uns, wenn es nicht die Kraft und Neigung iſt, die Mittel der äußern Welt an uns heranzuziehen und unſeren höheren Zwecken dienſtbar zu machen. Ich darf wohl von mir ſelber reden und beſcheiden ſagen, wie ich fühle. Es iſt wahr, ich habe in meinem langen Leben man¬ cherlei gethan und zu Stande gebracht, deſſen ich mich allenfalls rühmen könnte. Was hatte ich aber, wenn wir ehrlich ſeyn wollen, das eigentlich mein war, als die Fähigkeit und Neigung, zu ſehen und zu hören, zu unterſcheiden und zu wählen, und das Geſehene und Gehörte mit einigem Geiſt zu beleben und mit einiger Geſchicklichkeit wiederzugeben. Ich verdanke meine Werke keineswegs meiner eigenen Weisheit allein, ſon¬ dern tauſenden von Dingen und Perſonen außer mir, die mir dazu das Material boten. Es kamen Narren und Weiſe, helle Köpfe und bornirte, Kindheit und Jugend wie das reife Alter; Alle ſagten mir, wie es ihnen zu Sinne ſey, was ſie dachten, wie ſie lebten und wirkten und welche Erfahrungen ſie ſich geſam¬ melt, und ich hatte weiter nichts zu thun, als zuzugrei¬
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haupte, wenn ein ſolcher Künſtler nur an den Wänden
dieſes Zimmers vorüberginge und auf die Handzeich¬
nungen einiger großen Meiſter, womit ich ſie behängt
habe, nur flüchtige Blicke würfe, er müßte, wenn er
überall einiges Genie hätte, als ein Anderer und Hö¬
herer von hier gehen.“
„Und was iſt denn überhaupt Gutes an uns,
wenn es nicht die Kraft und Neigung iſt, die Mittel
der äußern Welt an uns heranzuziehen und unſeren
höheren Zwecken dienſtbar zu machen. Ich darf wohl
von mir ſelber reden und beſcheiden ſagen, wie ich fühle.
Es iſt wahr, ich habe in meinem langen Leben man¬
cherlei gethan und zu Stande gebracht, deſſen ich mich
allenfalls rühmen könnte. Was hatte ich aber, wenn
wir ehrlich ſeyn wollen, das eigentlich mein war, als
die Fähigkeit und Neigung, zu ſehen und zu hören,
zu unterſcheiden und zu wählen, und das Geſehene und
Gehörte mit einigem Geiſt zu beleben und mit einiger
Geſchicklichkeit wiederzugeben. Ich verdanke meine
Werke keineswegs meiner eigenen Weisheit allein, ſon¬
dern tauſenden von Dingen und Perſonen außer mir,
die mir dazu das Material boten. Es kamen Narren
und Weiſe, helle Köpfe und bornirte, Kindheit und
Jugend wie das reife Alter; Alle ſagten mir, wie es
ihnen zu Sinne ſey, was ſie dachten, wie ſie lebten
und wirkten und welche Erfahrungen ſie ſich geſam¬
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/389>, abgerufen am 16.02.2025.
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