Wir sprachen darauf über Victor Hugo, und daß seine zu große Fruchtbarkeit seinem Talent im hohen Grade nachtheilig.
"Wie soll Einer nicht schlechter werden und das schönste Talent zu Grunde richten, sagte Goethe, wenn er die Verwegenheit hat, in einem einzigen Jahre zwei Tragödieen und einen Roman zu schreiben, und ferner, wenn er nur zu arbeiten scheint, um ungeheure Geld¬ summen zusammen zu schlagen. Ich schelte ihn keines¬ wegs, daß er reich zu werden, auch nicht, daß er den Ruhm des Tages zu ernten bemüht ist; allein wenn er lange in der Nachwelt zu leben gedenkt, so muß er anfangen weniger zu schreiben und mehr zu arbeiten."
Goethe ging darauf die Marie de Lorme durch und suchte mir deutlich zu machen, daß der Gegenstand nur Stoff zu einem einzigen guten und zwar recht tragi¬ schen Act enthalten habe, daß aber der Autor durch Rücksichten ganz secundärer Art sich habe verführen lassen, seinen Gegenstand auf fünf lange Acte über¬ mäßig auszudehnen. "Hiebei, fügte Goethe hinzu, haben wir bloß den Vortheil gehabt, zu sehen, daß der Dichter auch in Darstellung des Details bedeutend ist, welches freilich auch nichts Geringes, und allerdings etwas heißen will."
Wir ſprachen darauf über Victor Hugo, und daß ſeine zu große Fruchtbarkeit ſeinem Talent im hohen Grade nachtheilig.
„Wie ſoll Einer nicht ſchlechter werden und das ſchönſte Talent zu Grunde richten, ſagte Goethe, wenn er die Verwegenheit hat, in einem einzigen Jahre zwei Tragödieen und einen Roman zu ſchreiben, und ferner, wenn er nur zu arbeiten ſcheint, um ungeheure Geld¬ ſummen zuſammen zu ſchlagen. Ich ſchelte ihn keines¬ wegs, daß er reich zu werden, auch nicht, daß er den Ruhm des Tages zu ernten bemüht iſt; allein wenn er lange in der Nachwelt zu leben gedenkt, ſo muß er anfangen weniger zu ſchreiben und mehr zu arbeiten.“
Goethe ging darauf die Marie de Lorme durch und ſuchte mir deutlich zu machen, daß der Gegenſtand nur Stoff zu einem einzigen guten und zwar recht tragi¬ ſchen Act enthalten habe, daß aber der Autor durch Rückſichten ganz ſecundärer Art ſich habe verführen laſſen, ſeinen Gegenſtand auf fünf lange Acte über¬ mäßig auszudehnen. „Hiebei, fügte Goethe hinzu, haben wir bloß den Vortheil gehabt, zu ſehen, daß der Dichter auch in Darſtellung des Details bedeutend iſt, welches freilich auch nichts Geringes, und allerdings etwas heißen will.“
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Wir ſprachen darauf über Victor Hugo, und daß
ſeine zu große Fruchtbarkeit ſeinem Talent im hohen
Grade nachtheilig.
„Wie ſoll Einer nicht ſchlechter werden und das
ſchönſte Talent zu Grunde richten, ſagte Goethe, wenn
er die Verwegenheit hat, in einem einzigen Jahre zwei
Tragödieen und einen Roman zu ſchreiben, und ferner,
wenn er nur zu arbeiten ſcheint, um ungeheure Geld¬
ſummen zuſammen zu ſchlagen. Ich ſchelte ihn keines¬
wegs, daß er reich zu werden, auch nicht, daß er den
Ruhm des Tages zu ernten bemüht iſt; allein wenn
er lange in der Nachwelt zu leben gedenkt, ſo muß er
anfangen weniger zu ſchreiben und mehr zu arbeiten.“
Goethe ging darauf die Marie de Lorme durch und
ſuchte mir deutlich zu machen, daß der Gegenſtand nur
Stoff zu einem einzigen guten und zwar recht tragi¬
ſchen Act enthalten habe, daß aber der Autor durch
Rückſichten ganz ſecundärer Art ſich habe verführen
laſſen, ſeinen Gegenſtand auf fünf lange Acte über¬
mäßig auszudehnen. „Hiebei, fügte Goethe hinzu,
haben wir bloß den Vortheil gehabt, zu ſehen, daß der
Dichter auch in Darſtellung des Details bedeutend iſt,
welches freilich auch nichts Geringes, und allerdings
etwas heißen will.“
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/385>, abgerufen am 23.11.2024.
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