und die dargestellte Nacht bloß eine erlogene wäre. Soret hat den berühmten Victor Hugo in seiner Mit¬ ternacht ohne Frage übertroffen."
Ich freuete mich dieses Lobes und nahm mir vor, die gedachte Trilogie von Soret baldmöglichst zu lesen. Wir besitzen in unserer Literatur sehr wenige Trilo¬ gieen, bemerkte ich.
"Diese Form, erwiederte Goethe, ist bei den Mo¬ dernen überall selten. Es kommt darauf an, daß man einen Stoff finde, der sich naturgemäß in drei Partieen behandeln lasse, so daß in der ersten eine Art Exposition, in der zweiten eine Art Catastrophe, und in der dritten eine versöhnende Ausgleichung stattfinde. In meinen Gedichten vom Junggesellen und der Mülle¬ rin finden sich diese Erfordernisse beisammen, wiewohl ich damals, als ich sie schrieb, keineswegs daran dachte, eine Trilogie zu machen. Auch mein Paria ist eine vollkommene Trilogie, und zwar habe ich diesen Cyclus sogleich mit Intention als Trilogie gedacht und be¬ handelt. Meine sogenannte Trilogie der Leiden¬ schaft dagegen ist ursprünglich nicht als Trilogie con¬ cipirt, vielmehr erst nach und nach und gewissermaßen zufällig zur Trilogie geworden. Zuerst hatte ich, wie Sie wissen, bloß die Elegie als selbstständiges Ge¬ dicht für sich. Dann besuchte mich die Szimanowska, die denselbigen Sommer mit mir in Marienbad gewe¬ sen war und durch ihre reizenden Melodieen einen
und die dargeſtellte Nacht bloß eine erlogene wäre. Soret hat den berühmten Victor Hugo in ſeiner Mit¬ ternacht ohne Frage übertroffen.“
Ich freuete mich dieſes Lobes und nahm mir vor, die gedachte Trilogie von Soret baldmöglichſt zu leſen. Wir beſitzen in unſerer Literatur ſehr wenige Trilo¬ gieen, bemerkte ich.
„Dieſe Form, erwiederte Goethe, iſt bei den Mo¬ dernen überall ſelten. Es kommt darauf an, daß man einen Stoff finde, der ſich naturgemäß in drei Partieen behandeln laſſe, ſo daß in der erſten eine Art Expoſition, in der zweiten eine Art Cataſtrophe, und in der dritten eine verſöhnende Ausgleichung ſtattfinde. In meinen Gedichten vom Junggeſellen und der Mülle¬ rin finden ſich dieſe Erforderniſſe beiſammen, wiewohl ich damals, als ich ſie ſchrieb, keineswegs daran dachte, eine Trilogie zu machen. Auch mein Paria iſt eine vollkommene Trilogie, und zwar habe ich dieſen Cyclus ſogleich mit Intention als Trilogie gedacht und be¬ handelt. Meine ſogenannte Trilogie der Leiden¬ ſchaft dagegen iſt urſprünglich nicht als Trilogie con¬ cipirt, vielmehr erſt nach und nach und gewiſſermaßen zufällig zur Trilogie geworden. Zuerſt hatte ich, wie Sie wiſſen, bloß die Elegie als ſelbſtſtändiges Ge¬ dicht für ſich. Dann beſuchte mich die Szimanowska, die denſelbigen Sommer mit mir in Marienbad gewe¬ ſen war und durch ihre reizenden Melodieen einen
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und die dargeſtellte Nacht bloß eine erlogene wäre.
Soret hat den berühmten Victor Hugo in ſeiner Mit¬
ternacht ohne Frage übertroffen.“
Ich freuete mich dieſes Lobes und nahm mir vor,
die gedachte Trilogie von Soret baldmöglichſt zu leſen.
Wir beſitzen in unſerer Literatur ſehr wenige Trilo¬
gieen, bemerkte ich.
„Dieſe Form, erwiederte Goethe, iſt bei den Mo¬
dernen überall ſelten. Es kommt darauf an, daß man
einen Stoff finde, der ſich naturgemäß in drei Partieen
behandeln laſſe, ſo daß in der erſten eine Art Expoſition,
in der zweiten eine Art Cataſtrophe, und in der dritten
eine verſöhnende Ausgleichung ſtattfinde. In meinen
Gedichten vom Junggeſellen und der Mülle¬
rin finden ſich dieſe Erforderniſſe beiſammen, wiewohl
ich damals, als ich ſie ſchrieb, keineswegs daran dachte,
eine Trilogie zu machen. Auch mein Paria iſt eine
vollkommene Trilogie, und zwar habe ich dieſen Cyclus
ſogleich mit Intention als Trilogie gedacht und be¬
handelt. Meine ſogenannte Trilogie der Leiden¬
ſchaft dagegen iſt urſprünglich nicht als Trilogie con¬
cipirt, vielmehr erſt nach und nach und gewiſſermaßen
zufällig zur Trilogie geworden. Zuerſt hatte ich, wie
Sie wiſſen, bloß die Elegie als ſelbſtſtändiges Ge¬
dicht für ſich. Dann beſuchte mich die Szimanowska,
die denſelbigen Sommer mit mir in Marienbad gewe¬
ſen war und durch ihre reizenden Melodieen einen
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/383>, abgerufen am 23.11.2024.
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