Regel die bescheidensten sind, dagegen alle besonders geistig Verfehlten weit eher einbilderischer Art. Es scheint, daß die gütige Natur allen denen, die bei ihr in höherer Hinsicht zu kurz gekommen sind, die Ein¬ bildung und den Dünkel als versöhnendes Ausgleichungs- und Ergänzungsmittel gegeben hat."
"Uebrigens sind Bescheidenheit und Dünkel sittliche Dinge so geistiger Art, daß sie wenig mit dem Körper zu schaffen haben. Bei Bornirten und geistig Dunkeln findet sich der Dünkel; bei geistig Klaren und Hochbe¬ gabten aber findet er sich nie. Bei solchen findet sich höchstens ein freudiges Gefühl ihrer Kraft; da aber diese Kraft wirklich ist, so ist dieses Gefühl alles An¬ dere, aber kein Dünkel."
Wir unterhielten uns noch über verschiedene andere Gegenstände und kamen zuletzt auch auf das "Chaos", dieser von Frau v. Goethe geleiteten Weimar'schen Zeit¬ schrift, woran nicht bloß hiesige deutsche Herren und Damen, sondern vorzüglich auch die hier sich aufhal¬ tenden jungen Engländer, Franzosen und andere Fremd¬ linge Theil nehmen, so daß denn fast jede Nummer ein Gemisch fast aller bekanntesten Europäischen Spra¬ chen darbietet.
"Es ist doch hübsch von meiner Tochter, sagte Goethe, und man muß sie loben und es ihr Dank wissen, daß sie das höchst originelle Journal zu Stande ge¬ bracht und die einzelnen Mitglieder unserer Gesellschaft
Regel die beſcheidenſten ſind, dagegen alle beſonders geiſtig Verfehlten weit eher einbilderiſcher Art. Es ſcheint, daß die gütige Natur allen denen, die bei ihr in höherer Hinſicht zu kurz gekommen ſind, die Ein¬ bildung und den Dünkel als verſöhnendes Ausgleichungs- und Ergänzungsmittel gegeben hat.“
„Uebrigens ſind Beſcheidenheit und Dünkel ſittliche Dinge ſo geiſtiger Art, daß ſie wenig mit dem Körper zu ſchaffen haben. Bei Bornirten und geiſtig Dunkeln findet ſich der Dünkel; bei geiſtig Klaren und Hochbe¬ gabten aber findet er ſich nie. Bei ſolchen findet ſich höchſtens ein freudiges Gefühl ihrer Kraft; da aber dieſe Kraft wirklich iſt, ſo iſt dieſes Gefühl alles An¬ dere, aber kein Dünkel.“
Wir unterhielten uns noch über verſchiedene andere Gegenſtände und kamen zuletzt auch auf das „Chaos“, dieſer von Frau v. Goethe geleiteten Weimar'ſchen Zeit¬ ſchrift, woran nicht bloß hieſige deutſche Herren und Damen, ſondern vorzüglich auch die hier ſich aufhal¬ tenden jungen Engländer, Franzoſen und andere Fremd¬ linge Theil nehmen, ſo daß denn faſt jede Nummer ein Gemiſch faſt aller bekannteſten Europäiſchen Spra¬ chen darbietet.
„Es iſt doch hübſch von meiner Tochter, ſagte Goethe, und man muß ſie loben und es ihr Dank wiſſen, daß ſie das höchſt originelle Journal zu Stande ge¬ bracht und die einzelnen Mitglieder unſerer Geſellſchaft
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Regel die beſcheidenſten ſind, dagegen alle beſonders
geiſtig Verfehlten weit eher einbilderiſcher Art. Es
ſcheint, daß die gütige Natur allen denen, die bei ihr
in höherer Hinſicht zu kurz gekommen ſind, die Ein¬
bildung und den Dünkel als verſöhnendes Ausgleichungs-
und Ergänzungsmittel gegeben hat.“
„Uebrigens ſind Beſcheidenheit und Dünkel ſittliche
Dinge ſo geiſtiger Art, daß ſie wenig mit dem Körper
zu ſchaffen haben. Bei Bornirten und geiſtig Dunkeln
findet ſich der Dünkel; bei geiſtig Klaren und Hochbe¬
gabten aber findet er ſich nie. Bei ſolchen findet ſich
höchſtens ein freudiges Gefühl ihrer Kraft; da aber
dieſe Kraft wirklich iſt, ſo iſt dieſes Gefühl alles An¬
dere, aber kein Dünkel.“
Wir unterhielten uns noch über verſchiedene andere
Gegenſtände und kamen zuletzt auch auf das „Chaos“,
dieſer von Frau v. Goethe geleiteten Weimar'ſchen Zeit¬
ſchrift, woran nicht bloß hieſige deutſche Herren und
Damen, ſondern vorzüglich auch die hier ſich aufhal¬
tenden jungen Engländer, Franzoſen und andere Fremd¬
linge Theil nehmen, ſo daß denn faſt jede Nummer
ein Gemiſch faſt aller bekannteſten Europäiſchen Spra¬
chen darbietet.
„Es iſt doch hübſch von meiner Tochter, ſagte
Goethe, und man muß ſie loben und es ihr Dank wiſſen,
daß ſie das höchſt originelle Journal zu Stande ge¬
bracht und die einzelnen Mitglieder unſerer Geſellſchaft
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/357>, abgerufen am 21.11.2024.
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