aufzieht, so werden ihm die Aeste genommen; oder wenn er im Dickicht aufwächst, so verlieren sie sich mit der Zeit von selber. War nun ein Stamm, als man ihm die Aeste nahm, etwa drei bis vier Zoll im Durch¬ messer, und läßt man ihn nun fortwachsen und jährlich neues Holz von außen sich anbilden, so wird, nach Verlauf von funfzig bis achtzig Jahren, das astreiche Innere mit mehr als einem halben Fuß gesunden ast¬ freien Holzes überwachsen seyn. Ein solcher Stamm steht dann mit der glattesten Außenseite vor uns; aber man weiß freilich nicht, was er im Innern für Tücke hat. Man wird daher auf jeden Fall sicher gehen, wenn man bei einer aus solchem Stamm gesägten Bohle sich gleichfalls an die Außenseite hält und einige Zoll von demjenigen Stück sich abschneiden läßt, was zunächst unter der Rinde war, also den Splint und was ihm folgt, welches überhaupt das jüngste, zäheste und zu einem Bogen das tauglichste Holz ist.
"Ich meinte, versetzte Goethe, das Holz zu einem Bogen dürfte nicht gesägt, sondern müßte gespalten, oder, wie Sie es nennen, geschlachtet werden."
Wenn es sich schlachten läßt, erwiederte ich, aller¬ dings. Die Esche, die Eiche, auch wohl der Wallnuß, läßt sich schlachten, weil es Holz von grober Faser ist. Der Masholder aber nicht. Denn es ist ein Holz von so feiner, fest ineinander gewachsener Faser, daß es sich in der Faser-Richtung durchaus nicht trennt,
aufzieht, ſo werden ihm die Aeſte genommen; oder wenn er im Dickicht aufwächſt, ſo verlieren ſie ſich mit der Zeit von ſelber. War nun ein Stamm, als man ihm die Aeſte nahm, etwa drei bis vier Zoll im Durch¬ meſſer, und läßt man ihn nun fortwachſen und jährlich neues Holz von außen ſich anbilden, ſo wird, nach Verlauf von funfzig bis achtzig Jahren, das aſtreiche Innere mit mehr als einem halben Fuß geſunden aſt¬ freien Holzes überwachſen ſeyn. Ein ſolcher Stamm ſteht dann mit der glatteſten Außenſeite vor uns; aber man weiß freilich nicht, was er im Innern für Tücke hat. Man wird daher auf jeden Fall ſicher gehen, wenn man bei einer aus ſolchem Stamm geſägten Bohle ſich gleichfalls an die Außenſeite hält und einige Zoll von demjenigen Stück ſich abſchneiden läßt, was zunächſt unter der Rinde war, alſo den Splint und was ihm folgt, welches überhaupt das jüngſte, zäheſte und zu einem Bogen das tauglichſte Holz iſt.
„Ich meinte, verſetzte Goethe, das Holz zu einem Bogen dürfte nicht geſägt, ſondern müßte geſpalten, oder, wie Sie es nennen, geſchlachtet werden.“
Wenn es ſich ſchlachten läßt, erwiederte ich, aller¬ dings. Die Eſche, die Eiche, auch wohl der Wallnuß, läßt ſich ſchlachten, weil es Holz von grober Faſer iſt. Der Masholder aber nicht. Denn es iſt ein Holz von ſo feiner, feſt ineinander gewachſener Faſer, daß es ſich in der Faſer-Richtung durchaus nicht trennt,
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aufzieht, ſo werden ihm die Aeſte genommen; oder
wenn er im Dickicht aufwächſt, ſo verlieren ſie ſich mit
der Zeit von ſelber. War nun ein Stamm, als man
ihm die Aeſte nahm, etwa drei bis vier Zoll im Durch¬
meſſer, und läßt man ihn nun fortwachſen und jährlich
neues Holz von außen ſich anbilden, ſo wird, nach
Verlauf von funfzig bis achtzig Jahren, das aſtreiche
Innere mit mehr als einem halben Fuß geſunden aſt¬
freien Holzes überwachſen ſeyn. Ein ſolcher Stamm
ſteht dann mit der glatteſten Außenſeite vor uns; aber
man weiß freilich nicht, was er im Innern für Tücke
hat. Man wird daher auf jeden Fall ſicher gehen,
wenn man bei einer aus ſolchem Stamm geſägten
Bohle ſich gleichfalls an die Außenſeite hält und einige
Zoll von demjenigen Stück ſich abſchneiden läßt, was
zunächſt unter der Rinde war, alſo den Splint und
was ihm folgt, welches überhaupt das jüngſte, zäheſte
und zu einem Bogen das tauglichſte Holz iſt.
„Ich meinte, verſetzte Goethe, das Holz zu einem
Bogen dürfte nicht geſägt, ſondern müßte geſpalten,
oder, wie Sie es nennen, geſchlachtet werden.“
Wenn es ſich ſchlachten läßt, erwiederte ich, aller¬
dings. Die Eſche, die Eiche, auch wohl der Wallnuß,
läßt ſich ſchlachten, weil es Holz von grober Faſer iſt.
Der Masholder aber nicht. Denn es iſt ein Holz
von ſo feiner, feſt ineinander gewachſener Faſer, daß
es ſich in der Faſer-Richtung durchaus nicht trennt,
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/126>, abgerufen am 24.11.2024.
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