"Sie können denken, sagte Goethe, daß Ihre Be¬ obachtungen für mich, der sich ein halbes Leben mit dem Wachsthum der Pflanzen und Bäume beschäftiget hat, von besonderem Interesse sind. Doch erzählen Sie weiter! Sie machten also wahrscheinlich darauf einen Bogen von der zähen Esche."
Ich that so, erwiederte ich, und zwar nahm ich ein gut geschlachtetes Stück von der Winterseite, wo ich auch eine ziemlich feine Faser fand. Auch war der Bogen weich im Aufziehen und von guter Schnell¬ kraft. Allein nachdem er einige Monate in Gebrauch gewesen, zeigte sich bereits eine merkliche Krümmung, und es war deutlich, daß die Spannkraft nicht Stich halte. Ich machte dann Versuche mit dem Stamm einer jungen Eiche, welches auch ganz gutes Holz war, wobei ich aber nach einiger Zeit denselbigen Fehler fand; dann mit dem Stamm der Wallnuß, welches besser, und zuletzt mit dem Stamme des feinblättrigen Ahorns, des sogenannten Masholder, welches das beste war und nichts weiter zu wünschen übrig ließ.
"Ich kenne das Holz, erwiederte Goethe, man findet es auch häufig in Hecken. Ich kann mir denken, daß es gut ist. Doch habe ich selten einen jungen Stamm gefunden, der ohne Aeste war, und Sie bedürfen doch wohl zum Bogen ein Holz, das ganz frei von Aesten ist?"
Ein junger Stamm, erwiederte ich, ist freilich nicht ohne Aeste; doch wenn man ihn zum Baume
„Sie können denken, ſagte Goethe, daß Ihre Be¬ obachtungen für mich, der ſich ein halbes Leben mit dem Wachsthum der Pflanzen und Bäume beſchäftiget hat, von beſonderem Intereſſe ſind. Doch erzählen Sie weiter! Sie machten alſo wahrſcheinlich darauf einen Bogen von der zähen Eſche.“
Ich that ſo, erwiederte ich, und zwar nahm ich ein gut geſchlachtetes Stück von der Winterſeite, wo ich auch eine ziemlich feine Faſer fand. Auch war der Bogen weich im Aufziehen und von guter Schnell¬ kraft. Allein nachdem er einige Monate in Gebrauch geweſen, zeigte ſich bereits eine merkliche Krümmung, und es war deutlich, daß die Spannkraft nicht Stich halte. Ich machte dann Verſuche mit dem Stamm einer jungen Eiche, welches auch ganz gutes Holz war, wobei ich aber nach einiger Zeit denſelbigen Fehler fand; dann mit dem Stamm der Wallnuß, welches beſſer, und zuletzt mit dem Stamme des feinblättrigen Ahorns, des ſogenannten Masholder, welches das beſte war und nichts weiter zu wünſchen übrig ließ.
„Ich kenne das Holz, erwiederte Goethe, man findet es auch häufig in Hecken. Ich kann mir denken, daß es gut iſt. Doch habe ich ſelten einen jungen Stamm gefunden, der ohne Aeſte war, und Sie bedürfen doch wohl zum Bogen ein Holz, das ganz frei von Aeſten iſt?“
Ein junger Stamm, erwiederte ich, iſt freilich nicht ohne Aeſte; doch wenn man ihn zum Baume
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„Sie können denken, ſagte Goethe, daß Ihre Be¬
obachtungen für mich, der ſich ein halbes Leben mit
dem Wachsthum der Pflanzen und Bäume beſchäftiget
hat, von beſonderem Intereſſe ſind. Doch erzählen
Sie weiter! Sie machten alſo wahrſcheinlich darauf
einen Bogen von der zähen Eſche.“
Ich that ſo, erwiederte ich, und zwar nahm ich ein
gut geſchlachtetes Stück von der Winterſeite, wo ich
auch eine ziemlich feine Faſer fand. Auch war der
Bogen weich im Aufziehen und von guter Schnell¬
kraft. Allein nachdem er einige Monate in Gebrauch
geweſen, zeigte ſich bereits eine merkliche Krümmung,
und es war deutlich, daß die Spannkraft nicht Stich
halte. Ich machte dann Verſuche mit dem Stamm
einer jungen Eiche, welches auch ganz gutes Holz war,
wobei ich aber nach einiger Zeit denſelbigen Fehler
fand; dann mit dem Stamm der Wallnuß, welches
beſſer, und zuletzt mit dem Stamme des feinblättrigen
Ahorns, des ſogenannten Masholder, welches das beſte
war und nichts weiter zu wünſchen übrig ließ.
„Ich kenne das Holz, erwiederte Goethe, man findet
es auch häufig in Hecken. Ich kann mir denken, daß
es gut iſt. Doch habe ich ſelten einen jungen Stamm
gefunden, der ohne Aeſte war, und Sie bedürfen doch
wohl zum Bogen ein Holz, das ganz frei von Aeſten iſt?“
Ein junger Stamm, erwiederte ich, iſt freilich
nicht ohne Aeſte; doch wenn man ihn zum Baume
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/125>, abgerufen am 24.11.2024.
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