hat, wie die gescheidtesten Dinge mißlingen, und das Absurdeste oft zu einem glücklichen Ziele führt, so kommt man wohl davon zurück, jemanden einen Rath ertheilen zu wollen. Im Grunde ist es auch von dem, der einen Rath verlangt, eine Beschränktheit, und von dem, der ihn giebt, eine Anmaßung. Man sollte nur Rath geben in Dingen, in denen man selber mitwirken will. Bit¬ tet mich ein Anderer um guten Rath, so sage ich wohl, daß ich bereit sey ihn zu geben, jedoch nur mit dem Beding, daß er versprechen wolle, nicht danach zu handeln."
Das Gespräch lenkte sich auf das neue Testament, indem ich erzählte, daß ich die Stelle nachgelesen wo Christus auf dem Meere wandelt und Petrus ihm ent¬ gegengeht. Wenn man die Evangelisten lange nicht ge¬ lesen, sagte ich, so erstaunt man immer wieder über die sittliche Großheit der Figuren. Man findet in den hohen Anforderungen an unsere moralische Willenskraft auch eine Art von categorischem Imperativ. "Besonders, sagte Goethe, finden Sie den categorischen Imperativ des Glaubens, welches sodann Mahomet noch weiter getrieben hat." Übrigens, sagte ich, sind die Evange¬ listen, wenn man sie näher ansieht, voller Abweichun¬ gen und Widersprüche, und die Bücher müssen wun¬ derliche Schicksale gehabt haben, ehe sie so beysammen gebracht sind, wie wir sie nun haben. "Es ist ein Meer auszutrinken, sagte Goethe, wenn man sich in
hat, wie die geſcheidteſten Dinge mißlingen, und das Abſurdeſte oft zu einem gluͤcklichen Ziele fuͤhrt, ſo kommt man wohl davon zuruͤck, jemanden einen Rath ertheilen zu wollen. Im Grunde iſt es auch von dem, der einen Rath verlangt, eine Beſchraͤnktheit, und von dem, der ihn giebt, eine Anmaßung. Man ſollte nur Rath geben in Dingen, in denen man ſelber mitwirken will. Bit¬ tet mich ein Anderer um guten Rath, ſo ſage ich wohl, daß ich bereit ſey ihn zu geben, jedoch nur mit dem Beding, daß er verſprechen wolle, nicht danach zu handeln.“
Das Geſpraͤch lenkte ſich auf das neue Teſtament, indem ich erzaͤhlte, daß ich die Stelle nachgeleſen wo Chriſtus auf dem Meere wandelt und Petrus ihm ent¬ gegengeht. Wenn man die Evangeliſten lange nicht ge¬ leſen, ſagte ich, ſo erſtaunt man immer wieder uͤber die ſittliche Großheit der Figuren. Man findet in den hohen Anforderungen an unſere moraliſche Willenskraft auch eine Art von categoriſchem Imperativ. „Beſonders, ſagte Goethe, finden Sie den categoriſchen Imperativ des Glaubens, welches ſodann Mahomet noch weiter getrieben hat.“ Übrigens, ſagte ich, ſind die Evange¬ liſten, wenn man ſie naͤher anſieht, voller Abweichun¬ gen und Widerſpruͤche, und die Buͤcher muͤſſen wun¬ derliche Schickſale gehabt haben, ehe ſie ſo beyſammen gebracht ſind, wie wir ſie nun haben. „Es iſt ein Meer auszutrinken, ſagte Goethe, wenn man ſich in
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hat, wie die geſcheidteſten Dinge mißlingen, und das
Abſurdeſte oft zu einem gluͤcklichen Ziele fuͤhrt, ſo kommt
man wohl davon zuruͤck, jemanden einen Rath ertheilen
zu wollen. Im Grunde iſt es auch von dem, der einen
Rath verlangt, eine Beſchraͤnktheit, und von dem, der
ihn giebt, eine Anmaßung. Man ſollte nur Rath geben
in Dingen, in denen man ſelber mitwirken will. Bit¬
tet mich ein Anderer um guten Rath, ſo ſage ich wohl,
daß ich bereit ſey ihn zu geben, jedoch nur mit dem
Beding, daß er verſprechen wolle, nicht danach zu
handeln.“
Das Geſpraͤch lenkte ſich auf das neue Teſtament,
indem ich erzaͤhlte, daß ich die Stelle nachgeleſen wo
Chriſtus auf dem Meere wandelt und Petrus ihm ent¬
gegengeht. Wenn man die Evangeliſten lange nicht ge¬
leſen, ſagte ich, ſo erſtaunt man immer wieder uͤber die
ſittliche Großheit der Figuren. Man findet in den hohen
Anforderungen an unſere moraliſche Willenskraft auch
eine Art von categoriſchem Imperativ. „Beſonders,
ſagte Goethe, finden Sie den categoriſchen Imperativ
des Glaubens, welches ſodann Mahomet noch weiter
getrieben hat.“ Übrigens, ſagte ich, ſind die Evange¬
liſten, wenn man ſie naͤher anſieht, voller Abweichun¬
gen und Widerſpruͤche, und die Buͤcher muͤſſen wun¬
derliche Schickſale gehabt haben, ehe ſie ſo beyſammen
gebracht ſind, wie wir ſie nun haben. „Es iſt ein
Meer auszutrinken, ſagte Goethe, wenn man ſich in
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/275>, abgerufen am 22.11.2024.
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