Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

eine historische und critische Untersuchung dieserhalb ein¬
läßt. Man thut immer besser, sich ohne Weiteres an
das zu halten, was wirklich da ist, und sich davon an¬
zueignen, was man für seine sittliche Cultur und Stär¬
kung gebrauchen kann. Übrigens ist es hübsch, sich die
Localität deutlich zu machen, und da kann ich Ihnen
nichts Besseres empfehlen, als das herrliche Buch von
Röhr über Palästina. Der verstorbene Großherzog
hatte über dieses Buch eine solche Freude, daß er es
zweymal kaufte, indem er das erste Exemplar, nachdem
er es gelesen, der Bibliothek schenkte, und das andere
für sich behielt, um es immer in seiner Nähe zu haben."

Ich wunderte mich über des Großherzogs Theilnahme
an solchen Dingen. "Darin, sagte Goethe, war er
groß. Er hatte Interesse für Alles, wenn es einiger¬
maßen bedeutend war, es mochte nun in ein Fach schla¬
gen in welches es wollte. Er war immer vorschreitend,
und was in der Zeit irgend an guten neuen Erfindun¬
gen und Einrichtungen hervortrat, suchte er bey sich
einheimisch zu machen. Wenn etwas mißlang, so war
davon weiter nicht die Rede. Ich dachte oft wie ich
dieß oder jenes Verfehlte bey ihm entschuldigen wollte,
allein er ignorirte jedes Mißlingen auf die heiterste
Weise, und ging immer sogleich wieder auf etwas
Neues los. Es war dieses eine eigene Größe seines
Wesens, und zwar nicht durch Bildung gewonnen, son¬
dern angeboren."

eine hiſtoriſche und critiſche Unterſuchung dieſerhalb ein¬
laͤßt. Man thut immer beſſer, ſich ohne Weiteres an
das zu halten, was wirklich da iſt, und ſich davon an¬
zueignen, was man fuͤr ſeine ſittliche Cultur und Staͤr¬
kung gebrauchen kann. Übrigens iſt es huͤbſch, ſich die
Localitaͤt deutlich zu machen, und da kann ich Ihnen
nichts Beſſeres empfehlen, als das herrliche Buch von
Roͤhr uͤber Palaͤſtina. Der verſtorbene Großherzog
hatte uͤber dieſes Buch eine ſolche Freude, daß er es
zweymal kaufte, indem er das erſte Exemplar, nachdem
er es geleſen, der Bibliothek ſchenkte, und das andere
fuͤr ſich behielt, um es immer in ſeiner Naͤhe zu haben.“

Ich wunderte mich uͤber des Großherzogs Theilnahme
an ſolchen Dingen. „Darin, ſagte Goethe, war er
groß. Er hatte Intereſſe fuͤr Alles, wenn es einiger¬
maßen bedeutend war, es mochte nun in ein Fach ſchla¬
gen in welches es wollte. Er war immer vorſchreitend,
und was in der Zeit irgend an guten neuen Erfindun¬
gen und Einrichtungen hervortrat, ſuchte er bey ſich
einheimiſch zu machen. Wenn etwas mißlang, ſo war
davon weiter nicht die Rede. Ich dachte oft wie ich
dieß oder jenes Verfehlte bey ihm entſchuldigen wollte,
allein er ignorirte jedes Mißlingen auf die heiterſte
Weiſe, und ging immer ſogleich wieder auf etwas
Neues los. Es war dieſes eine eigene Groͤße ſeines
Weſens, und zwar nicht durch Bildung gewonnen, ſon¬
dern angeboren.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><pb facs="#f0276" n="266"/>
eine hi&#x017F;tori&#x017F;che und criti&#x017F;che Unter&#x017F;uchung die&#x017F;erhalb ein¬<lb/>
la&#x0364;ßt. Man thut immer be&#x017F;&#x017F;er, &#x017F;ich ohne Weiteres an<lb/>
das zu halten, was wirklich da i&#x017F;t, und &#x017F;ich davon an¬<lb/>
zueignen, was man fu&#x0364;r &#x017F;eine &#x017F;ittliche Cultur und Sta&#x0364;<lb/>
kung gebrauchen kann. Übrigens i&#x017F;t es hu&#x0364;b&#x017F;ch, &#x017F;ich die<lb/>
Localita&#x0364;t deutlich zu machen, und da kann ich Ihnen<lb/>
nichts Be&#x017F;&#x017F;eres empfehlen, als das herrliche Buch von<lb/><hi rendition="#g">Ro&#x0364;hr</hi> u&#x0364;ber Pala&#x0364;&#x017F;tina. Der ver&#x017F;torbene Großherzog<lb/>
hatte u&#x0364;ber die&#x017F;es Buch eine &#x017F;olche Freude, daß er es<lb/>
zweymal kaufte, indem er das er&#x017F;te Exemplar, nachdem<lb/>
er es gele&#x017F;en, der Bibliothek &#x017F;chenkte, und das andere<lb/>
fu&#x0364;r &#x017F;ich behielt, um es immer in &#x017F;einer Na&#x0364;he zu haben.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Ich wunderte mich u&#x0364;ber des Großherzogs Theilnahme<lb/>
an &#x017F;olchen Dingen. &#x201E;Darin, &#x017F;agte Goethe, war er<lb/>
groß. Er hatte Intere&#x017F;&#x017F;e fu&#x0364;r Alles, wenn es einiger¬<lb/>
maßen bedeutend war, es mochte nun in ein Fach &#x017F;chla¬<lb/>
gen in welches es wollte. Er war immer vor&#x017F;chreitend,<lb/>
und was in der Zeit irgend an guten neuen Erfindun¬<lb/>
gen und Einrichtungen hervortrat, &#x017F;uchte er bey &#x017F;ich<lb/>
einheimi&#x017F;ch zu machen. Wenn etwas mißlang, &#x017F;o war<lb/>
davon weiter nicht die Rede. Ich dachte oft wie ich<lb/>
dieß oder jenes Verfehlte bey ihm ent&#x017F;chuldigen wollte,<lb/>
allein er ignorirte jedes Mißlingen auf die heiter&#x017F;te<lb/>
Wei&#x017F;e, und ging immer &#x017F;ogleich wieder auf etwas<lb/>
Neues los. Es war die&#x017F;es eine eigene Gro&#x0364;ße &#x017F;eines<lb/>
We&#x017F;ens, und zwar nicht durch Bildung gewonnen, &#x017F;on¬<lb/>
dern angeboren.&#x201C;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[266/0276] eine hiſtoriſche und critiſche Unterſuchung dieſerhalb ein¬ laͤßt. Man thut immer beſſer, ſich ohne Weiteres an das zu halten, was wirklich da iſt, und ſich davon an¬ zueignen, was man fuͤr ſeine ſittliche Cultur und Staͤr¬ kung gebrauchen kann. Übrigens iſt es huͤbſch, ſich die Localitaͤt deutlich zu machen, und da kann ich Ihnen nichts Beſſeres empfehlen, als das herrliche Buch von Roͤhr uͤber Palaͤſtina. Der verſtorbene Großherzog hatte uͤber dieſes Buch eine ſolche Freude, daß er es zweymal kaufte, indem er das erſte Exemplar, nachdem er es geleſen, der Bibliothek ſchenkte, und das andere fuͤr ſich behielt, um es immer in ſeiner Naͤhe zu haben.“ Ich wunderte mich uͤber des Großherzogs Theilnahme an ſolchen Dingen. „Darin, ſagte Goethe, war er groß. Er hatte Intereſſe fuͤr Alles, wenn es einiger¬ maßen bedeutend war, es mochte nun in ein Fach ſchla¬ gen in welches es wollte. Er war immer vorſchreitend, und was in der Zeit irgend an guten neuen Erfindun¬ gen und Einrichtungen hervortrat, ſuchte er bey ſich einheimiſch zu machen. Wenn etwas mißlang, ſo war davon weiter nicht die Rede. Ich dachte oft wie ich dieß oder jenes Verfehlte bey ihm entſchuldigen wollte, allein er ignorirte jedes Mißlingen auf die heiterſte Weiſe, und ging immer ſogleich wieder auf etwas Neues los. Es war dieſes eine eigene Groͤße ſeines Weſens, und zwar nicht durch Bildung gewonnen, ſon¬ dern angeboren.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/276
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/276>, abgerufen am 10.05.2024.