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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

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saßen wir an langen Tischen, und es klingt beynahe
unglaublich, wenn ich sage, daß dieser Oberkellner fast
allein die ganze Bedienung machte, indem er alle Ge¬
richte aufsetzte und abnahm, und die übrigen Kellner
ihm nur zureichten und aus den Händen nahmen. Da¬
bey wurde nie etwas verschüttet, auch nie jemand der
Speisenden berührt, sondern alles geschah luftartig, be¬
hende, wie durch Geistergewalt. Und so flogen Tau¬
send von Schüsseln und Tellern aus seinen Händen auf
den Tisch, und wiederum vom Tisch in die Hände ihm
folgender Bedienung. Ganz in seine Intention vertieft
war der ganze Mensch bloß Blick und Hand, und er
öffnete seine geschlossenen Lippen nur zu flüchtigen Ant¬
worten und Befehlen. Und er besorgte nicht bloß den
Tisch, sondern auch die einzelnen Bestellungen an Wein
und dergleichen; und dabey merkte er sich alles, so daß
er am Ende der Tafel eines jeden Zeche wußte und das
Geld eincassirte. Ich bewunderte den Überblick, die
Gegenwart des Geistes und das große Gedächtniß die¬
ses merkwürdigen jungen Mannes. Dabey war er im¬
mer vollkommen ruhig und sich bewußt, und immer be¬
reit zu einem Scherz und einer geistreichen Erwiederung,
so daß ein beständiges Lächeln auf seinen Lippen schwebte.
Ein französischer Rittmeister der alten Garde beklagte
ihn gegen Ende der Tafel, daß die Damen sich entfern¬
ten; er antwortete schnell ablehnend: C'est pour vous
autres; nous sommes sans passion.
Das Französische

II. 14

ſaßen wir an langen Tiſchen, und es klingt beynahe
unglaublich, wenn ich ſage, daß dieſer Oberkellner faſt
allein die ganze Bedienung machte, indem er alle Ge¬
richte aufſetzte und abnahm, und die uͤbrigen Kellner
ihm nur zureichten und aus den Haͤnden nahmen. Da¬
bey wurde nie etwas verſchuͤttet, auch nie jemand der
Speiſenden beruͤhrt, ſondern alles geſchah luftartig, be¬
hende, wie durch Geiſtergewalt. Und ſo flogen Tau¬
ſend von Schuͤſſeln und Tellern aus ſeinen Haͤnden auf
den Tiſch, und wiederum vom Tiſch in die Haͤnde ihm
folgender Bedienung. Ganz in ſeine Intention vertieft
war der ganze Menſch bloß Blick und Hand, und er
oͤffnete ſeine geſchloſſenen Lippen nur zu fluͤchtigen Ant¬
worten und Befehlen. Und er beſorgte nicht bloß den
Tiſch, ſondern auch die einzelnen Beſtellungen an Wein
und dergleichen; und dabey merkte er ſich alles, ſo daß
er am Ende der Tafel eines jeden Zeche wußte und das
Geld eincaſſirte. Ich bewunderte den Überblick, die
Gegenwart des Geiſtes und das große Gedaͤchtniß die¬
ſes merkwuͤrdigen jungen Mannes. Dabey war er im¬
mer vollkommen ruhig und ſich bewußt, und immer be¬
reit zu einem Scherz und einer geiſtreichen Erwiederung,
ſo daß ein beſtaͤndiges Laͤcheln auf ſeinen Lippen ſchwebte.
Ein franzoͤſiſcher Rittmeiſter der alten Garde beklagte
ihn gegen Ende der Tafel, daß die Damen ſich entfern¬
ten; er antwortete ſchnell ablehnend: C'est pour vous
autres; nous sommes sans passion.
Das Franzoͤſiſche

II. 14
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[209/0219] ſaßen wir an langen Tiſchen, und es klingt beynahe unglaublich, wenn ich ſage, daß dieſer Oberkellner faſt allein die ganze Bedienung machte, indem er alle Ge¬ richte aufſetzte und abnahm, und die uͤbrigen Kellner ihm nur zureichten und aus den Haͤnden nahmen. Da¬ bey wurde nie etwas verſchuͤttet, auch nie jemand der Speiſenden beruͤhrt, ſondern alles geſchah luftartig, be¬ hende, wie durch Geiſtergewalt. Und ſo flogen Tau¬ ſend von Schuͤſſeln und Tellern aus ſeinen Haͤnden auf den Tiſch, und wiederum vom Tiſch in die Haͤnde ihm folgender Bedienung. Ganz in ſeine Intention vertieft war der ganze Menſch bloß Blick und Hand, und er oͤffnete ſeine geſchloſſenen Lippen nur zu fluͤchtigen Ant¬ worten und Befehlen. Und er beſorgte nicht bloß den Tiſch, ſondern auch die einzelnen Beſtellungen an Wein und dergleichen; und dabey merkte er ſich alles, ſo daß er am Ende der Tafel eines jeden Zeche wußte und das Geld eincaſſirte. Ich bewunderte den Überblick, die Gegenwart des Geiſtes und das große Gedaͤchtniß die¬ ſes merkwuͤrdigen jungen Mannes. Dabey war er im¬ mer vollkommen ruhig und ſich bewußt, und immer be¬ reit zu einem Scherz und einer geiſtreichen Erwiederung, ſo daß ein beſtaͤndiges Laͤcheln auf ſeinen Lippen ſchwebte. Ein franzoͤſiſcher Rittmeiſter der alten Garde beklagte ihn gegen Ende der Tafel, daß die Damen ſich entfern¬ ten; er antwortete ſchnell ablehnend: C'est pour vous autres; nous sommes sans passion. Das Franzoͤſiſche II. 14

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/219>, abgerufen am 28.11.2024.