Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Goethe die Dämonen so etwas möchten im Sinne haben,
indem auch er eine Figur sey, zu anlockend, um ihm
nicht nachzustreben, und zu groß, um ihn zu erreichen.


Heute nach Tisch las Goethe mir die zweyte Scene
des zweyten Acts von Faust, wo Mephistopheles zu
Wagner geht, der durch chemische Künste einen Menschen
zu machen im Begriff ist. Das Werk gelingt, der Ho¬
munculus erscheint in der Flasche, als leuchtendes We¬
sen, und ist sogleich thätig. Wagners Fragen über un¬
begreifliche Dinge lehnt er ab, das Raisonniren ist nicht
seine Sache; er will handeln, und da ist ihm das
Nächste unser Held Faust, der in seinem paralysirten
Zustande einer höheren Hülfe bedarf. Als ein Wesen,
dem die Gegenwart durchaus klar und durchsichtig ist,
sieht der Homunculus das Innere des schlafenden Faust,
den ein schöner Traum von der Leda beglückt, wie sie,
in anmuthiger Gegend badend, von Schwänen besucht
wird. Indem der Homunculus diesen Traum ausspricht,
erscheint vor unserer Seele das reizendste Bild. Me¬
phistopheles sieht davon nichts, und der Homunculus
verspottet ihn wegen seiner nordischen Natur.

"Überhaupt, sagte Goethe, werden Sie bemerken,

Goethe die Daͤmonen ſo etwas moͤchten im Sinne haben,
indem auch er eine Figur ſey, zu anlockend, um ihm
nicht nachzuſtreben, und zu groß, um ihn zu erreichen.


Heute nach Tiſch las Goethe mir die zweyte Scene
des zweyten Acts von Fauſt, wo Mephiſtopheles zu
Wagner geht, der durch chemiſche Kuͤnſte einen Menſchen
zu machen im Begriff iſt. Das Werk gelingt, der Ho¬
munculus erſcheint in der Flaſche, als leuchtendes We¬
ſen, und iſt ſogleich thaͤtig. Wagners Fragen uͤber un¬
begreifliche Dinge lehnt er ab, das Raiſonniren iſt nicht
ſeine Sache; er will handeln, und da iſt ihm das
Naͤchſte unſer Held Fauſt, der in ſeinem paralyſirten
Zuſtande einer hoͤheren Huͤlfe bedarf. Als ein Weſen,
dem die Gegenwart durchaus klar und durchſichtig iſt,
ſieht der Homunculus das Innere des ſchlafenden Fauſt,
den ein ſchoͤner Traum von der Leda begluͤckt, wie ſie,
in anmuthiger Gegend badend, von Schwaͤnen beſucht
wird. Indem der Homunculus dieſen Traum ausſpricht,
erſcheint vor unſerer Seele das reizendſte Bild. Me¬
phiſtopheles ſieht davon nichts, und der Homunculus
verſpottet ihn wegen ſeiner nordiſchen Natur.

„Überhaupt, ſagte Goethe, werden Sie bemerken,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><pb facs="#f0164" n="154"/>
Goethe die Da&#x0364;monen &#x017F;o etwas mo&#x0364;chten im Sinne haben,<lb/>
indem auch er eine Figur &#x017F;ey, zu anlockend, um ihm<lb/>
nicht nachzu&#x017F;treben, und zu groß, um ihn zu erreichen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
        <div n="4">
          <dateline rendition="#right">Mittwoch, den 16. December 1829.<lb/></dateline>
          <p>Heute nach Ti&#x017F;ch las Goethe mir die zweyte Scene<lb/>
des zweyten Acts von <hi rendition="#g">Fau&#x017F;t</hi>, wo Mephi&#x017F;topheles zu<lb/>
Wagner geht, der durch chemi&#x017F;che Ku&#x0364;n&#x017F;te einen Men&#x017F;chen<lb/>
zu machen im Begriff i&#x017F;t. Das Werk gelingt, der Ho¬<lb/>
munculus er&#x017F;cheint in der Fla&#x017F;che, als leuchtendes We¬<lb/>
&#x017F;en, und i&#x017F;t &#x017F;ogleich tha&#x0364;tig. Wagners Fragen u&#x0364;ber un¬<lb/>
begreifliche Dinge lehnt er ab, das Rai&#x017F;onniren i&#x017F;t nicht<lb/>
&#x017F;eine Sache; er will <hi rendition="#g">handeln</hi>, und da i&#x017F;t ihm das<lb/>
Na&#x0364;ch&#x017F;te un&#x017F;er Held Fau&#x017F;t, der in &#x017F;einem paraly&#x017F;irten<lb/>
Zu&#x017F;tande einer ho&#x0364;heren Hu&#x0364;lfe bedarf. Als ein We&#x017F;en,<lb/>
dem die Gegenwart durchaus klar und durch&#x017F;ichtig i&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;ieht der Homunculus das Innere des &#x017F;chlafenden Fau&#x017F;t,<lb/>
den ein &#x017F;cho&#x0364;ner Traum von der Leda beglu&#x0364;ckt, wie &#x017F;ie,<lb/>
in anmuthiger Gegend badend, von Schwa&#x0364;nen be&#x017F;ucht<lb/>
wird. Indem der Homunculus die&#x017F;en Traum aus&#x017F;pricht,<lb/>
er&#x017F;cheint vor un&#x017F;erer Seele das reizend&#x017F;te Bild. Me¬<lb/>
phi&#x017F;topheles &#x017F;ieht davon nichts, und der Homunculus<lb/>
ver&#x017F;pottet ihn wegen &#x017F;einer nordi&#x017F;chen Natur.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Überhaupt, &#x017F;agte Goethe, werden Sie bemerken,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[154/0164] Goethe die Daͤmonen ſo etwas moͤchten im Sinne haben, indem auch er eine Figur ſey, zu anlockend, um ihm nicht nachzuſtreben, und zu groß, um ihn zu erreichen. Mittwoch, den 16. December 1829. Heute nach Tiſch las Goethe mir die zweyte Scene des zweyten Acts von Fauſt, wo Mephiſtopheles zu Wagner geht, der durch chemiſche Kuͤnſte einen Menſchen zu machen im Begriff iſt. Das Werk gelingt, der Ho¬ munculus erſcheint in der Flaſche, als leuchtendes We¬ ſen, und iſt ſogleich thaͤtig. Wagners Fragen uͤber un¬ begreifliche Dinge lehnt er ab, das Raiſonniren iſt nicht ſeine Sache; er will handeln, und da iſt ihm das Naͤchſte unſer Held Fauſt, der in ſeinem paralyſirten Zuſtande einer hoͤheren Huͤlfe bedarf. Als ein Weſen, dem die Gegenwart durchaus klar und durchſichtig iſt, ſieht der Homunculus das Innere des ſchlafenden Fauſt, den ein ſchoͤner Traum von der Leda begluͤckt, wie ſie, in anmuthiger Gegend badend, von Schwaͤnen beſucht wird. Indem der Homunculus dieſen Traum ausſpricht, erſcheint vor unſerer Seele das reizendſte Bild. Me¬ phiſtopheles ſieht davon nichts, und der Homunculus verſpottet ihn wegen ſeiner nordiſchen Natur. „Überhaupt, ſagte Goethe, werden Sie bemerken,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/164
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/164>, abgerufen am 23.11.2024.