andere dem Leser überließ. Ich theilte das Gedicht gerne in Kunst und Alterthum mit, allein es ist zu lang; dagegen habe ich mir diese drey gereimten von Gerhard ausgebeten, die ich im nächsten Heft werde abdrucken lassen. Was sagen Sie zu diesem; hören Sie."
Goethe las nun zuerst das Lied vom Alten, der ein junges Mädchen liebt, sodann das Trinklied der Wei¬ ber, und zuletzt das energische: Tanz uns vor, Theo¬ dor. Jedes las er in einem anderen Tone und andern Schwunge, vortrefflich, so daß man nicht leicht etwas Vollkommneres hören konnte.
Wir mußten Herrn Gerhard loben, daß er die jedesmaligen Versarten und Refrains durchaus glücklich und im Character gewählt und alles leicht und voll¬ kommen ausgeführt hatte, so daß man nicht wußte, wie er es hätte besser machen sollen. "Da sieht man, sagte Goethe, was bey einem solchen Talent wie Gerhard die große technische Übung thut. Und dann kommt ihm zu gute, daß er kein eigentlich gelehrtes Metier, sondern ein solches treibt, das ihn täglich aufs practi¬ sche Leben weiset. Auch hat er die vielen Reisen in England und andern Ländern gemacht, wodurch er denn bey seinem auf das Reale gehenden Sinn über unsere gelehrten jungen Dichter manche Avantagen hat. Wenn er sich immer an gute Überlieferungen hält und nur diese bearbeitet, so wird er nicht leicht etwas Schlech¬
I. 21
andere dem Leſer uͤberließ. Ich theilte das Gedicht gerne in Kunſt und Alterthum mit, allein es iſt zu lang; dagegen habe ich mir dieſe drey gereimten von Gerhard ausgebeten, die ich im naͤchſten Heft werde abdrucken laſſen. Was ſagen Sie zu dieſem; hoͤren Sie.“
Goethe las nun zuerſt das Lied vom Alten, der ein junges Maͤdchen liebt, ſodann das Trinklied der Wei¬ ber, und zuletzt das energiſche: Tanz uns vor, Theo¬ dor. Jedes las er in einem anderen Tone und andern Schwunge, vortrefflich, ſo daß man nicht leicht etwas Vollkommneres hoͤren konnte.
Wir mußten Herrn Gerhard loben, daß er die jedesmaligen Versarten und Refrains durchaus gluͤcklich und im Character gewaͤhlt und alles leicht und voll¬ kommen ausgefuͤhrt hatte, ſo daß man nicht wußte, wie er es haͤtte beſſer machen ſollen. „Da ſieht man, ſagte Goethe, was bey einem ſolchen Talent wie Gerhard die große techniſche Übung thut. Und dann kommt ihm zu gute, daß er kein eigentlich gelehrtes Metier, ſondern ein ſolches treibt, das ihn taͤglich aufs practi¬ ſche Leben weiſet. Auch hat er die vielen Reiſen in England und andern Laͤndern gemacht, wodurch er denn bey ſeinem auf das Reale gehenden Sinn uͤber unſere gelehrten jungen Dichter manche Avantagen hat. Wenn er ſich immer an gute Überlieferungen haͤlt und nur dieſe bearbeitet, ſo wird er nicht leicht etwas Schlech¬
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andere dem Leſer uͤberließ. Ich theilte das Gedicht
gerne in Kunſt und Alterthum mit, allein es iſt zu
lang; dagegen habe ich mir dieſe drey gereimten von
Gerhard ausgebeten, die ich im naͤchſten Heft werde
abdrucken laſſen. Was ſagen Sie zu dieſem; hoͤren
Sie.“
Goethe las nun zuerſt das Lied vom Alten, der ein
junges Maͤdchen liebt, ſodann das Trinklied der Wei¬
ber, und zuletzt das energiſche: Tanz uns vor, Theo¬
dor. Jedes las er in einem anderen Tone und andern
Schwunge, vortrefflich, ſo daß man nicht leicht etwas
Vollkommneres hoͤren konnte.
Wir mußten Herrn Gerhard loben, daß er die
jedesmaligen Versarten und Refrains durchaus gluͤcklich
und im Character gewaͤhlt und alles leicht und voll¬
kommen ausgefuͤhrt hatte, ſo daß man nicht wußte, wie
er es haͤtte beſſer machen ſollen. „Da ſieht man, ſagte
Goethe, was bey einem ſolchen Talent wie Gerhard
die große techniſche Übung thut. Und dann kommt
ihm zu gute, daß er kein eigentlich gelehrtes Metier,
ſondern ein ſolches treibt, das ihn taͤglich aufs practi¬
ſche Leben weiſet. Auch hat er die vielen Reiſen in
England und andern Laͤndern gemacht, wodurch er denn
bey ſeinem auf das Reale gehenden Sinn uͤber unſere
gelehrten jungen Dichter manche Avantagen hat. Wenn
er ſich immer an gute Überlieferungen haͤlt und nur
dieſe bearbeitet, ſo wird er nicht leicht etwas Schlech¬
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/341>, abgerufen am 23.11.2024.
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