Körper und einen mannigfaltigen dazu. Hätte ich aber die gute Gesellschaft wieder durch sogenannte gute Ge¬ sellschaft zeichnen wollen, so hätte niemand das Buch lesen mögen."
"Den anscheinenden Geringfügigkeiten des Wilhelm Meister liegt immer etwas Höheres zum Grunde, und es kommt bloß darauf an, daß man Augen, Weltkennt¬ niß und Übersicht genug besitze, um im Kleinen das Größere wahrzunehmen. Andern mag das gezeichnete Leben als Leben genügen."
Goethe zeigte mir darauf ein höchst bedeutendes eng¬ lisches Werk, welches in Kupfern den ganzen Shak¬ speare darstellte. Jede Seite umfaßte in sechs kleinen Bildern ein besonderes Stück mit einigen untergeschrie¬ benen Versen, so daß der Hauptbegriff und die bedeu¬ tendsten Situationen des jedesmaligen Werkes dadurch vor die Augen traten. Alle die unsterblichen Trauerspiele und Lustspiele gingen auf solche Weise, gleich Masken¬ zügen, dem Geiste vorüber.
"Man erschrickt, sagte Goethe, wenn man diese Bilderchen durchsieht! Da wird man erst gewahr, wie unendlich reich und groß Shakspeare ist! Da ist doch kein Motiv des Menschenlebens, das er nicht dargestellt und ausgesprochen hätte! Und alles mit welcher Leich¬ tigkeit und Freyheit! --"
"Man kann über Shakspeare gar nicht reden, es ist alles unzulänglich. Ich habe in meinem Wihelm
Koͤrper und einen mannigfaltigen dazu. Haͤtte ich aber die gute Geſellſchaft wieder durch ſogenannte gute Ge¬ ſellſchaft zeichnen wollen, ſo haͤtte niemand das Buch leſen moͤgen.“
„Den anſcheinenden Geringfuͤgigkeiten des Wilhelm Meiſter liegt immer etwas Hoͤheres zum Grunde, und es kommt bloß darauf an, daß man Augen, Weltkennt¬ niß und Überſicht genug beſitze, um im Kleinen das Groͤßere wahrzunehmen. Andern mag das gezeichnete Leben als Leben genuͤgen.“
Goethe zeigte mir darauf ein hoͤchſt bedeutendes eng¬ liſches Werk, welches in Kupfern den ganzen Shak¬ ſpeare darſtellte. Jede Seite umfaßte in ſechs kleinen Bildern ein beſonderes Stuͤck mit einigen untergeſchrie¬ benen Verſen, ſo daß der Hauptbegriff und die bedeu¬ tendſten Situationen des jedesmaligen Werkes dadurch vor die Augen traten. Alle die unſterblichen Trauerſpiele und Luſtſpiele gingen auf ſolche Weiſe, gleich Masken¬ zuͤgen, dem Geiſte voruͤber.
„Man erſchrickt, ſagte Goethe, wenn man dieſe Bilderchen durchſieht! Da wird man erſt gewahr, wie unendlich reich und groß Shakſpeare iſt! Da iſt doch kein Motiv des Menſchenlebens, das er nicht dargeſtellt und ausgeſprochen haͤtte! Und alles mit welcher Leich¬ tigkeit und Freyheit! —“
„Man kann uͤber Shakſpeare gar nicht reden, es iſt alles unzulaͤnglich. Ich habe in meinem Wihelm
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Koͤrper und einen mannigfaltigen dazu. Haͤtte ich aber
die gute Geſellſchaft wieder durch ſogenannte gute Ge¬
ſellſchaft zeichnen wollen, ſo haͤtte niemand das Buch
leſen moͤgen.“
„Den anſcheinenden Geringfuͤgigkeiten des Wilhelm
Meiſter liegt immer etwas Hoͤheres zum Grunde, und
es kommt bloß darauf an, daß man Augen, Weltkennt¬
niß und Überſicht genug beſitze, um im Kleinen das
Groͤßere wahrzunehmen. Andern mag das gezeichnete
Leben als Leben genuͤgen.“
Goethe zeigte mir darauf ein hoͤchſt bedeutendes eng¬
liſches Werk, welches in Kupfern den ganzen Shak¬
ſpeare darſtellte. Jede Seite umfaßte in ſechs kleinen
Bildern ein beſonderes Stuͤck mit einigen untergeſchrie¬
benen Verſen, ſo daß der Hauptbegriff und die bedeu¬
tendſten Situationen des jedesmaligen Werkes dadurch
vor die Augen traten. Alle die unſterblichen Trauerſpiele
und Luſtſpiele gingen auf ſolche Weiſe, gleich Masken¬
zuͤgen, dem Geiſte voruͤber.
„Man erſchrickt, ſagte Goethe, wenn man dieſe
Bilderchen durchſieht! Da wird man erſt gewahr, wie
unendlich reich und groß Shakſpeare iſt! Da iſt doch
kein Motiv des Menſchenlebens, das er nicht dargeſtellt
und ausgeſprochen haͤtte! Und alles mit welcher Leich¬
tigkeit und Freyheit! —“
„Man kann uͤber Shakſpeare gar nicht reden, es
iſt alles unzulaͤnglich. Ich habe in meinem Wihelm
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/251>, abgerufen am 22.11.2024.
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