gelangen was da ist und über die Jahre erschrecken, die sie in einer falschen höchst unzulänglichen Bestrebung verloren haben."
"Ja, Viele kommen zur Erkenntniß des Vollendeten und ihrer eigenen Unzulänglichkeit nie und produciren Halbheiten bis an ihr Ende."
"Gewiß ist es, daß wenn jeder früh genug zum Bewußtseyn zu bringen wäre, wie die Welt von dem Vortrefflichsten so voll ist und was dazu gehört, diesen Werken etwas Gleiches an die Seite zu setzen, daß so¬ dann von jetzigen hundert dichtenden Jünglingen kaum ein Einziger Beharren und Talent und Muth genug in sich fühlen würde, zu Erreichung einer ähnlichen Mei¬ sterschaft ruhig fortzugehen."
"Viele junge Maler würden nie einen Pinsel in die Hand genommen haben, wenn sie früh genug gewußt und begriffen hätten, was denn eigentlich ein Meister wie Raphael gemacht hat."
Das Gespräch lenkte sich auf die falschen Tendenzen im Allgemeinen und Goethe fuhr fort:
"So war meine practische Tendenz zur bildenden Kunst eigentlich eine falsche, denn ich hatte keine Natur- Anlage dazu und konnte sich also dergleichen nicht aus mir entwickeln. Ein gewisse Zärtlichkeit gegen die land¬ schaftlichen Umgebungen war mir eigen und daher meine ersten Anfänge eigentlich hoffnungsvoll. Die Reise nach Italien zerstörte dieses practische Behagen; eine weite
gelangen was da iſt und uͤber die Jahre erſchrecken, die ſie in einer falſchen hoͤchſt unzulaͤnglichen Beſtrebung verloren haben.“
„Ja, Viele kommen zur Erkenntniß des Vollendeten und ihrer eigenen Unzulaͤnglichkeit nie und produciren Halbheiten bis an ihr Ende.“
„Gewiß iſt es, daß wenn jeder fruͤh genug zum Bewußtſeyn zu bringen waͤre, wie die Welt von dem Vortrefflichſten ſo voll iſt und was dazu gehoͤrt, dieſen Werken etwas Gleiches an die Seite zu ſetzen, daß ſo¬ dann von jetzigen hundert dichtenden Juͤnglingen kaum ein Einziger Beharren und Talent und Muth genug in ſich fuͤhlen wuͤrde, zu Erreichung einer aͤhnlichen Mei¬ ſterſchaft ruhig fortzugehen.“
„Viele junge Maler wuͤrden nie einen Pinſel in die Hand genommen haben, wenn ſie fruͤh genug gewußt und begriffen haͤtten, was denn eigentlich ein Meiſter wie Raphael gemacht hat.“
Das Geſpraͤch lenkte ſich auf die falſchen Tendenzen im Allgemeinen und Goethe fuhr fort:
„So war meine practiſche Tendenz zur bildenden Kunſt eigentlich eine falſche, denn ich hatte keine Natur- Anlage dazu und konnte ſich alſo dergleichen nicht aus mir entwickeln. Ein gewiſſe Zaͤrtlichkeit gegen die land¬ ſchaftlichen Umgebungen war mir eigen und daher meine erſten Anfaͤnge eigentlich hoffnungsvoll. Die Reiſe nach Italien zerſtoͤrte dieſes practiſche Behagen; eine weite
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gelangen was da iſt und uͤber die Jahre erſchrecken,
die ſie in einer falſchen hoͤchſt unzulaͤnglichen Beſtrebung
verloren haben.“
„Ja, Viele kommen zur Erkenntniß des Vollendeten
und ihrer eigenen Unzulaͤnglichkeit nie und produciren
Halbheiten bis an ihr Ende.“
„Gewiß iſt es, daß wenn jeder fruͤh genug zum
Bewußtſeyn zu bringen waͤre, wie die Welt von dem
Vortrefflichſten ſo voll iſt und was dazu gehoͤrt, dieſen
Werken etwas Gleiches an die Seite zu ſetzen, daß ſo¬
dann von jetzigen hundert dichtenden Juͤnglingen kaum
ein Einziger Beharren und Talent und Muth genug in
ſich fuͤhlen wuͤrde, zu Erreichung einer aͤhnlichen Mei¬
ſterſchaft ruhig fortzugehen.“
„Viele junge Maler wuͤrden nie einen Pinſel in die
Hand genommen haben, wenn ſie fruͤh genug gewußt
und begriffen haͤtten, was denn eigentlich ein Meiſter
wie Raphael gemacht hat.“
Das Geſpraͤch lenkte ſich auf die falſchen Tendenzen
im Allgemeinen und Goethe fuhr fort:
„So war meine practiſche Tendenz zur bildenden
Kunſt eigentlich eine falſche, denn ich hatte keine Natur-
Anlage dazu und konnte ſich alſo dergleichen nicht aus
mir entwickeln. Ein gewiſſe Zaͤrtlichkeit gegen die land¬
ſchaftlichen Umgebungen war mir eigen und daher meine
erſten Anfaͤnge eigentlich hoffnungsvoll. Die Reiſe nach
Italien zerſtoͤrte dieſes practiſche Behagen; eine weite
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/230>, abgerufen am 17.05.2024.
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