Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

der sich weigerte, einen Reiter im Wallenstein zu spielen.
Ich ließ ihm aber sagen, wenn er die Rolle nicht spie¬
len wolle, so würde ich sie selber spielen. Das wirkte.
Denn sie kannten mich beym Theater und wußten, daß
ich in solchen Dingen keinen Spaß verstand, und daß
ich verrückt genug war, mein Wort zu halten und das
Tollste zu thun."

Und würden Sie im Ernst die Rolle gespielt haben?
fragte ich.

"Ja, sagte Goethe, ich hätte sie gespielt und würde
den Herrn Becker herunter gespielt haben, denn ich
kannte die Rolle besser als er."

Wir öffneten darauf die Mappen und schritten zur
Betrachtung der Kupfer und Zeichnungen. Goethe ver¬
fährt hiebey in Bezug auf mich sehr sorgfältig, und ich
fühle, daß es seine Absicht ist, mich in der Kunstbe¬
trachtung auf eine höhere Stufe der Einsicht zu bringen.
Nur das in seiner Art durchaus Vollendete zeigt er
mir und macht mir des Künstlers Intention und Ver¬
dienst deutlich, damit ich erreichen möge, die Gedanken
der Besten nachzudenken und den Besten gleich zu em¬
pfinden. "Dadurch, sagte er heute, bildet sich das,
was wir Geschmack nennen. Denn den Geschmack kann
man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Aller¬
vorzüglichsten. Ich zeige Ihnen daher nur das Beste;
und wenn Sie sich darin befestigen, so haben Sie einen
Maßstab für das Übrige, das Sie nicht überschätzen,

der ſich weigerte, einen Reiter im Wallenſtein zu ſpielen.
Ich ließ ihm aber ſagen, wenn er die Rolle nicht ſpie¬
len wolle, ſo wuͤrde ich ſie ſelber ſpielen. Das wirkte.
Denn ſie kannten mich beym Theater und wußten, daß
ich in ſolchen Dingen keinen Spaß verſtand, und daß
ich verruͤckt genug war, mein Wort zu halten und das
Tollſte zu thun.“

Und wuͤrden Sie im Ernſt die Rolle geſpielt haben?
fragte ich.

„Ja, ſagte Goethe, ich haͤtte ſie geſpielt und wuͤrde
den Herrn Becker herunter geſpielt haben, denn ich
kannte die Rolle beſſer als er.“

Wir oͤffneten darauf die Mappen und ſchritten zur
Betrachtung der Kupfer und Zeichnungen. Goethe ver¬
faͤhrt hiebey in Bezug auf mich ſehr ſorgfaͤltig, und ich
fuͤhle, daß es ſeine Abſicht iſt, mich in der Kunſtbe¬
trachtung auf eine hoͤhere Stufe der Einſicht zu bringen.
Nur das in ſeiner Art durchaus Vollendete zeigt er
mir und macht mir des Kuͤnſtlers Intention und Ver¬
dienſt deutlich, damit ich erreichen moͤge, die Gedanken
der Beſten nachzudenken und den Beſten gleich zu em¬
pfinden. „Dadurch, ſagte er heute, bildet ſich das,
was wir Geſchmack nennen. Denn den Geſchmack kann
man nicht am Mittelgut bilden, ſondern nur am Aller¬
vorzuͤglichſten. Ich zeige Ihnen daher nur das Beſte;
und wenn Sie ſich darin befeſtigen, ſo haben Sie einen
Maßſtab fuͤr das Übrige, das Sie nicht uͤberſchaͤtzen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0143" n="123"/>
der &#x017F;ich weigerte, einen Reiter im Wallen&#x017F;tein zu &#x017F;pielen.<lb/>
Ich ließ ihm aber &#x017F;agen, wenn <hi rendition="#g">er</hi> die Rolle nicht &#x017F;pie¬<lb/>
len wolle, &#x017F;o wu&#x0364;rde ich &#x017F;ie &#x017F;elber &#x017F;pielen. Das wirkte.<lb/>
Denn &#x017F;ie kannten mich beym Theater und wußten, daß<lb/>
ich in &#x017F;olchen Dingen keinen Spaß ver&#x017F;tand, und daß<lb/>
ich verru&#x0364;ckt genug war, mein Wort zu halten und das<lb/>
Toll&#x017F;te zu thun.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Und wu&#x0364;rden Sie im Ern&#x017F;t die Rolle ge&#x017F;pielt haben?<lb/>
fragte ich.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ja, &#x017F;agte Goethe, ich ha&#x0364;tte &#x017F;ie ge&#x017F;pielt und wu&#x0364;rde<lb/>
den Herrn Becker herunter ge&#x017F;pielt haben, denn ich<lb/>
kannte die Rolle be&#x017F;&#x017F;er als er.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Wir o&#x0364;ffneten darauf die Mappen und &#x017F;chritten zur<lb/>
Betrachtung der Kupfer und Zeichnungen. Goethe ver¬<lb/>
fa&#x0364;hrt hiebey in Bezug auf mich &#x017F;ehr &#x017F;orgfa&#x0364;ltig, und ich<lb/>
fu&#x0364;hle, daß es &#x017F;eine Ab&#x017F;icht i&#x017F;t, mich in der Kun&#x017F;tbe¬<lb/>
trachtung auf eine ho&#x0364;here Stufe der Ein&#x017F;icht zu bringen.<lb/>
Nur das in &#x017F;einer Art durchaus Vollendete zeigt er<lb/>
mir und macht mir des Ku&#x0364;n&#x017F;tlers Intention und Ver¬<lb/>
dien&#x017F;t deutlich, damit ich erreichen mo&#x0364;ge, die Gedanken<lb/>
der Be&#x017F;ten nachzudenken und den Be&#x017F;ten gleich zu em¬<lb/>
pfinden. &#x201E;Dadurch, &#x017F;agte er heute, bildet &#x017F;ich das,<lb/>
was wir Ge&#x017F;chmack nennen. Denn den Ge&#x017F;chmack kann<lb/>
man nicht am Mittelgut bilden, &#x017F;ondern nur am Aller¬<lb/>
vorzu&#x0364;glich&#x017F;ten. Ich zeige Ihnen daher nur das Be&#x017F;te;<lb/>
und wenn Sie &#x017F;ich darin befe&#x017F;tigen, &#x017F;o haben Sie einen<lb/>
Maß&#x017F;tab fu&#x0364;r das Übrige, das Sie nicht u&#x0364;ber&#x017F;cha&#x0364;tzen,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[123/0143] der ſich weigerte, einen Reiter im Wallenſtein zu ſpielen. Ich ließ ihm aber ſagen, wenn er die Rolle nicht ſpie¬ len wolle, ſo wuͤrde ich ſie ſelber ſpielen. Das wirkte. Denn ſie kannten mich beym Theater und wußten, daß ich in ſolchen Dingen keinen Spaß verſtand, und daß ich verruͤckt genug war, mein Wort zu halten und das Tollſte zu thun.“ Und wuͤrden Sie im Ernſt die Rolle geſpielt haben? fragte ich. „Ja, ſagte Goethe, ich haͤtte ſie geſpielt und wuͤrde den Herrn Becker herunter geſpielt haben, denn ich kannte die Rolle beſſer als er.“ Wir oͤffneten darauf die Mappen und ſchritten zur Betrachtung der Kupfer und Zeichnungen. Goethe ver¬ faͤhrt hiebey in Bezug auf mich ſehr ſorgfaͤltig, und ich fuͤhle, daß es ſeine Abſicht iſt, mich in der Kunſtbe¬ trachtung auf eine hoͤhere Stufe der Einſicht zu bringen. Nur das in ſeiner Art durchaus Vollendete zeigt er mir und macht mir des Kuͤnſtlers Intention und Ver¬ dienſt deutlich, damit ich erreichen moͤge, die Gedanken der Beſten nachzudenken und den Beſten gleich zu em¬ pfinden. „Dadurch, ſagte er heute, bildet ſich das, was wir Geſchmack nennen. Denn den Geſchmack kann man nicht am Mittelgut bilden, ſondern nur am Aller¬ vorzuͤglichſten. Ich zeige Ihnen daher nur das Beſte; und wenn Sie ſich darin befeſtigen, ſo haben Sie einen Maßſtab fuͤr das Übrige, das Sie nicht uͤberſchaͤtzen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/143
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/143>, abgerufen am 17.05.2024.