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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864.

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zur Ehre der Gerechten und zur Schmach des Un-
reinen!"

Kambyses bestätigte sofort dieses Urtheil, welches in
der That am selbigen Tage vollstreckt wurde.

Oropastes wagte nicht, für seinen Bruder Fürsprache
einzulegen; die demselben angethane Schmach kränkte aber
seine ehrgeizige Seele tiefer, als wenn man ihn zum Tode
verurtheilt haben würde. Er fürchtete, durch den Ver-
stümmelten an Ansehen einzubüßen, und befahl demselben
deßwegen, Babylon sobald als möglich zu verlassen und
ein Landhaus, welches er auf dem Berge Arakadris 25)
besaß, zu beziehen.

Während der letzten Tage hatte sich ein dürftig ge-
kleidetes Weib, dessen Angesicht von einem dichten Schleier
bedeckt war, Tag und Nacht an dem großen Eingangsthore
des Palastes aufgehalten und sich weder von den Dro-
hungen der Wachen, noch den rohen Spässen der könig-
lichen Dienstleute von ihrem Posten vertreiben lassen. Keiner
der Unterbeamten, der das Thor passirte, entging ihren
neugierigen Fragen, erst nach dem Befinden der Aegyp-
terin, dann nach dem Ergehen Gaumata's. Als ihr ein
gesprächiger Lampenanzünder das über den Bruder des
großen Oberpriesters verhängte Urtheil, schadenfroh lachend,
mittheilte, geberdete sie sich wie eine Unsinnige und küßte
das Gewand des erstaunten Mannes, der sie für eine
Geisteskranke hielt und ihr ein Almosen anbot. Sie lehnte
dasselbe ab und verharrte auf ihrem Posten, indem sie sich
von dem Brode, das ihr mitleidige Speisevertheiler zu-
warfen, nährte. Als Gaumata drei Tage später in einer
verschlossenen Harmamaxa, mit fest verbundenem Haupte,
zum Thore des Palastes herausfuhr, eilte sie dem Wagen
nach und lief so lange schreiend neben demselben her, bis

zur Ehre der Gerechten und zur Schmach des Un-
reinen!“

Kambyſes beſtätigte ſofort dieſes Urtheil, welches in
der That am ſelbigen Tage vollſtreckt wurde.

Oropaſtes wagte nicht, für ſeinen Bruder Fürſprache
einzulegen; die demſelben angethane Schmach kränkte aber
ſeine ehrgeizige Seele tiefer, als wenn man ihn zum Tode
verurtheilt haben würde. Er fürchtete, durch den Ver-
ſtümmelten an Anſehen einzubüßen, und befahl demſelben
deßwegen, Babylon ſobald als möglich zu verlaſſen und
ein Landhaus, welches er auf dem Berge Arakadris 25)
beſaß, zu beziehen.

Während der letzten Tage hatte ſich ein dürftig ge-
kleidetes Weib, deſſen Angeſicht von einem dichten Schleier
bedeckt war, Tag und Nacht an dem großen Eingangsthore
des Palaſtes aufgehalten und ſich weder von den Dro-
hungen der Wachen, noch den rohen Späſſen der könig-
lichen Dienſtleute von ihrem Poſten vertreiben laſſen. Keiner
der Unterbeamten, der das Thor paſſirte, entging ihren
neugierigen Fragen, erſt nach dem Befinden der Aegyp-
terin, dann nach dem Ergehen Gaumata’s. Als ihr ein
geſprächiger Lampenanzünder das über den Bruder des
großen Oberprieſters verhängte Urtheil, ſchadenfroh lachend,
mittheilte, geberdete ſie ſich wie eine Unſinnige und küßte
das Gewand des erſtaunten Mannes, der ſie für eine
Geiſteskranke hielt und ihr ein Almoſen anbot. Sie lehnte
daſſelbe ab und verharrte auf ihrem Poſten, indem ſie ſich
von dem Brode, das ihr mitleidige Speiſevertheiler zu-
warfen, nährte. Als Gaumata drei Tage ſpäter in einer
verſchloſſenen Harmamaxa, mit feſt verbundenem Haupte,
zum Thore des Palaſtes herausfuhr, eilte ſie dem Wagen
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[39/0049] zur Ehre der Gerechten und zur Schmach des Un- reinen!“ Kambyſes beſtätigte ſofort dieſes Urtheil, welches in der That am ſelbigen Tage vollſtreckt wurde. Oropaſtes wagte nicht, für ſeinen Bruder Fürſprache einzulegen; die demſelben angethane Schmach kränkte aber ſeine ehrgeizige Seele tiefer, als wenn man ihn zum Tode verurtheilt haben würde. Er fürchtete, durch den Ver- ſtümmelten an Anſehen einzubüßen, und befahl demſelben deßwegen, Babylon ſobald als möglich zu verlaſſen und ein Landhaus, welches er auf dem Berge Arakadris 25) beſaß, zu beziehen. Während der letzten Tage hatte ſich ein dürftig ge- kleidetes Weib, deſſen Angeſicht von einem dichten Schleier bedeckt war, Tag und Nacht an dem großen Eingangsthore des Palaſtes aufgehalten und ſich weder von den Dro- hungen der Wachen, noch den rohen Späſſen der könig- lichen Dienſtleute von ihrem Poſten vertreiben laſſen. Keiner der Unterbeamten, der das Thor paſſirte, entging ihren neugierigen Fragen, erſt nach dem Befinden der Aegyp- terin, dann nach dem Ergehen Gaumata’s. Als ihr ein geſprächiger Lampenanzünder das über den Bruder des großen Oberprieſters verhängte Urtheil, ſchadenfroh lachend, mittheilte, geberdete ſie ſich wie eine Unſinnige und küßte das Gewand des erſtaunten Mannes, der ſie für eine Geiſteskranke hielt und ihr ein Almoſen anbot. Sie lehnte daſſelbe ab und verharrte auf ihrem Poſten, indem ſie ſich von dem Brode, das ihr mitleidige Speiſevertheiler zu- warfen, nährte. Als Gaumata drei Tage ſpäter in einer verſchloſſenen Harmamaxa, mit feſt verbundenem Haupte, zum Thore des Palaſtes herausfuhr, eilte ſie dem Wagen nach und lief ſo lange ſchreiend neben demſelben her, bis

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/49>, abgerufen am 27.04.2024.