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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864.

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Neun Tage lang verweilte Kambyses in einem Zu-
stande, der dem Wahnsinn glich. Bald wüthend, bald
stumpf und theilnahmslos, gestattete er selbst nicht seinen
Anverwandten und dem Oberpriester, ihm zu nahen. Am
Morgen des zehnten Tages ließ er den Obersten der sieben
Richter kommen und befahl demselben, das Urtheil über
Gaumata, den Bruder des Oropastes, in so milder Weise
als möglich zu sprechen. Nitetis hatte ihn auf dem Kran-
kenlager gebeten, das Leben des unglücklichen Jünglings
zu schonen.

Eine Stunde später überbrachte man ihm den Wahr-
spruch zur Bestätigung. Derselbe lautete: "Sieg dem
Könige! -- Nachdem Kambyses, das Auge der Welt und
die Sonne der Gerechtigkeit, in seiner Milde, die so weit
ist als der Himmel, und so unerschöpflich als das Meer,
uns befohlen hat, die Verbrechen des Magiersohnes Gau-
mata nicht mit der Strenge des Richters, sondern mit der
Nachsicht der Mutter zu beurtheilen und zu bestrafen, so
haben wir, die sieben Richter des Reiches, beschlossen, seines
verwirkten Lebens zu schonen. Weil aber durch den Leicht-
sinn dieses Jünglings die Höchsten und Besten im Reich
gefährdet worden sind, und befürchtet werden könnte, daß
er sein Angesicht und seine Gestalt, welche die Götter in
ihrer Huld und Gnade denen des edlen Kyros-Sohnes
Bartja wunderbar ähnlich machten, noch einmal zum Scha-
ben der Reinen und Gerechten mißbrauchen könnte, so
haben wir beschlossen, sein Haupt also zu entstellen, daß
der Unwürdigste vom Würdigsten im Reiche leicht zu un-
terscheiden sein möge. -- Darum sollen dem Gaumata, mit
Willen und auf Geheiß des Königs, heute, am Actad des
Monats Chordad *) 24) beide Ohren abgeschnitten werden,

*) Mai.

Neun Tage lang verweilte Kambyſes in einem Zu-
ſtande, der dem Wahnſinn glich. Bald wüthend, bald
ſtumpf und theilnahmslos, geſtattete er ſelbſt nicht ſeinen
Anverwandten und dem Oberprieſter, ihm zu nahen. Am
Morgen des zehnten Tages ließ er den Oberſten der ſieben
Richter kommen und befahl demſelben, das Urtheil über
Gaumata, den Bruder des Oropaſtes, in ſo milder Weiſe
als möglich zu ſprechen. Nitetis hatte ihn auf dem Kran-
kenlager gebeten, das Leben des unglücklichen Jünglings
zu ſchonen.

Eine Stunde ſpäter überbrachte man ihm den Wahr-
ſpruch zur Beſtätigung. Derſelbe lautete: „Sieg dem
Könige! — Nachdem Kambyſes, das Auge der Welt und
die Sonne der Gerechtigkeit, in ſeiner Milde, die ſo weit
iſt als der Himmel, und ſo unerſchöpflich als das Meer,
uns befohlen hat, die Verbrechen des Magierſohnes Gau-
mata nicht mit der Strenge des Richters, ſondern mit der
Nachſicht der Mutter zu beurtheilen und zu beſtrafen, ſo
haben wir, die ſieben Richter des Reiches, beſchloſſen, ſeines
verwirkten Lebens zu ſchonen. Weil aber durch den Leicht-
ſinn dieſes Jünglings die Höchſten und Beſten im Reich
gefährdet worden ſind, und befürchtet werden könnte, daß
er ſein Angeſicht und ſeine Geſtalt, welche die Götter in
ihrer Huld und Gnade denen des edlen Kyros-Sohnes
Bartja wunderbar ähnlich machten, noch einmal zum Scha-
ben der Reinen und Gerechten mißbrauchen könnte, ſo
haben wir beſchloſſen, ſein Haupt alſo zu entſtellen, daß
der Unwürdigſte vom Würdigſten im Reiche leicht zu un-
terſcheiden ſein möge. — Darum ſollen dem Gaumata, mit
Willen und auf Geheiß des Königs, heute, am Açtad des
Monats Chordâd *) 24) beide Ohren abgeſchnitten werden,

*) Mai.
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[38/0048] Neun Tage lang verweilte Kambyſes in einem Zu- ſtande, der dem Wahnſinn glich. Bald wüthend, bald ſtumpf und theilnahmslos, geſtattete er ſelbſt nicht ſeinen Anverwandten und dem Oberprieſter, ihm zu nahen. Am Morgen des zehnten Tages ließ er den Oberſten der ſieben Richter kommen und befahl demſelben, das Urtheil über Gaumata, den Bruder des Oropaſtes, in ſo milder Weiſe als möglich zu ſprechen. Nitetis hatte ihn auf dem Kran- kenlager gebeten, das Leben des unglücklichen Jünglings zu ſchonen. Eine Stunde ſpäter überbrachte man ihm den Wahr- ſpruch zur Beſtätigung. Derſelbe lautete: „Sieg dem Könige! — Nachdem Kambyſes, das Auge der Welt und die Sonne der Gerechtigkeit, in ſeiner Milde, die ſo weit iſt als der Himmel, und ſo unerſchöpflich als das Meer, uns befohlen hat, die Verbrechen des Magierſohnes Gau- mata nicht mit der Strenge des Richters, ſondern mit der Nachſicht der Mutter zu beurtheilen und zu beſtrafen, ſo haben wir, die ſieben Richter des Reiches, beſchloſſen, ſeines verwirkten Lebens zu ſchonen. Weil aber durch den Leicht- ſinn dieſes Jünglings die Höchſten und Beſten im Reich gefährdet worden ſind, und befürchtet werden könnte, daß er ſein Angeſicht und ſeine Geſtalt, welche die Götter in ihrer Huld und Gnade denen des edlen Kyros-Sohnes Bartja wunderbar ähnlich machten, noch einmal zum Scha- ben der Reinen und Gerechten mißbrauchen könnte, ſo haben wir beſchloſſen, ſein Haupt alſo zu entſtellen, daß der Unwürdigſte vom Würdigſten im Reiche leicht zu un- terſcheiden ſein möge. — Darum ſollen dem Gaumata, mit Willen und auf Geheiß des Königs, heute, am Açtad des Monats Chordâd *) 24) beide Ohren abgeſchnitten werden, *) Mai.

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/48>, abgerufen am 27.04.2024.