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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864.

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Stadt gezeigt wurde, nicht gerade in diesem Augenblicke
die ganze Aufmerksamkeit der zusammengelaufenen Menge
in Anspruch genommen hätten. Am selben Abende ging
ich zu meinem Schwiegersohne, der, wie Du weißt, gleich-
falls Tempeldiener der Göttin Neith ist, und bat ihn,
Alles aufzubieten, um sich Kenntniß von dem Schicksale
der geraubten Schriften zu verschaffen. Der gute Mensch
ist Dir noch immer dankbar für die reiche Mitgift, welche
Du meiner Benra schenktest, und kam drei Tage später
zu mir, um mir zu erzählen, daß er Zeuge gewesen sei,
wie man Deine schöne Kiste und alle in ihr befindlichen
Rollen verbrannt habe. Jch bekam vor Aerger die Gelb-
sucht, ließ mich aber von meiner Krankheit nicht abhalten,
bei den Richtern eine Klageschrift einzureichen. Diese
Elenden wiesen mich, gewiß nur weil sie selbst Priester
sind, mit meiner Beschwerde ab. Jetzt gab ich in Dei-
nem Namen ein Bittschreiben beim Könige ein, wurde
aber auch von diesem mit der schnöden Drohung, man
werde mich als Staatsverräther betrachten, wenn ich jener
Papiere noch einmal erwähnen würde, abgewiesen. Nun
war mir meine Zunge zu lieb 14), um weitere Schritte zu
thun. Der Boden brannte mir unter den Füßen. Jch
konnte nicht in Aegypten bleiben, denn ich mußte Dich
sprechen; ich mußte Dir erzählen, was man Dir ange-
than; ich mußte Dich, der Du mächtiger bist, als Dein
armer Diener, auffordern, Dich zu rächen; ich mußte
Dir auch den schwarzen Kasten, den man mir sonst viel-
leicht gleichfalls abgejagt hätte, überliefern. So verließ
ich denn mit blutendem Herzen die Heimath und mein
Enkelchen, um, so alt ich bin, in die typhonische Fremde
zu ziehen. Ach, der kleine Junge war so klug! Als ich

Stadt gezeigt wurde, nicht gerade in dieſem Augenblicke
die ganze Aufmerkſamkeit der zuſammengelaufenen Menge
in Anſpruch genommen hätten. Am ſelben Abende ging
ich zu meinem Schwiegerſohne, der, wie Du weißt, gleich-
falls Tempeldiener der Göttin Neith iſt, und bat ihn,
Alles aufzubieten, um ſich Kenntniß von dem Schickſale
der geraubten Schriften zu verſchaffen. Der gute Menſch
iſt Dir noch immer dankbar für die reiche Mitgift, welche
Du meiner Benra ſchenkteſt, und kam drei Tage ſpäter
zu mir, um mir zu erzählen, daß er Zeuge geweſen ſei,
wie man Deine ſchöne Kiſte und alle in ihr befindlichen
Rollen verbrannt habe. Jch bekam vor Aerger die Gelb-
ſucht, ließ mich aber von meiner Krankheit nicht abhalten,
bei den Richtern eine Klageſchrift einzureichen. Dieſe
Elenden wieſen mich, gewiß nur weil ſie ſelbſt Prieſter
ſind, mit meiner Beſchwerde ab. Jetzt gab ich in Dei-
nem Namen ein Bittſchreiben beim Könige ein, wurde
aber auch von dieſem mit der ſchnöden Drohung, man
werde mich als Staatsverräther betrachten, wenn ich jener
Papiere noch einmal erwähnen würde, abgewieſen. Nun
war mir meine Zunge zu lieb 14), um weitere Schritte zu
thun. Der Boden brannte mir unter den Füßen. Jch
konnte nicht in Aegypten bleiben, denn ich mußte Dich
ſprechen; ich mußte Dir erzählen, was man Dir ange-
than; ich mußte Dich, der Du mächtiger biſt, als Dein
armer Diener, auffordern, Dich zu rächen; ich mußte
Dir auch den ſchwarzen Kaſten, den man mir ſonſt viel-
leicht gleichfalls abgejagt hätte, überliefern. So verließ
ich denn mit blutendem Herzen die Heimath und mein
Enkelchen, um, ſo alt ich bin, in die typhoniſche Fremde
zu ziehen. Ach, der kleine Junge war ſo klug! Als ich

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[24/0032] Stadt gezeigt wurde, nicht gerade in dieſem Augenblicke die ganze Aufmerkſamkeit der zuſammengelaufenen Menge in Anſpruch genommen hätten. Am ſelben Abende ging ich zu meinem Schwiegerſohne, der, wie Du weißt, gleich- falls Tempeldiener der Göttin Neith iſt, und bat ihn, Alles aufzubieten, um ſich Kenntniß von dem Schickſale der geraubten Schriften zu verſchaffen. Der gute Menſch iſt Dir noch immer dankbar für die reiche Mitgift, welche Du meiner Benra ſchenkteſt, und kam drei Tage ſpäter zu mir, um mir zu erzählen, daß er Zeuge geweſen ſei, wie man Deine ſchöne Kiſte und alle in ihr befindlichen Rollen verbrannt habe. Jch bekam vor Aerger die Gelb- ſucht, ließ mich aber von meiner Krankheit nicht abhalten, bei den Richtern eine Klageſchrift einzureichen. Dieſe Elenden wieſen mich, gewiß nur weil ſie ſelbſt Prieſter ſind, mit meiner Beſchwerde ab. Jetzt gab ich in Dei- nem Namen ein Bittſchreiben beim Könige ein, wurde aber auch von dieſem mit der ſchnöden Drohung, man werde mich als Staatsverräther betrachten, wenn ich jener Papiere noch einmal erwähnen würde, abgewieſen. Nun war mir meine Zunge zu lieb 14), um weitere Schritte zu thun. Der Boden brannte mir unter den Füßen. Jch konnte nicht in Aegypten bleiben, denn ich mußte Dich ſprechen; ich mußte Dir erzählen, was man Dir ange- than; ich mußte Dich, der Du mächtiger biſt, als Dein armer Diener, auffordern, Dich zu rächen; ich mußte Dir auch den ſchwarzen Kaſten, den man mir ſonſt viel- leicht gleichfalls abgejagt hätte, überliefern. So verließ ich denn mit blutendem Herzen die Heimath und mein Enkelchen, um, ſo alt ich bin, in die typhoniſche Fremde zu ziehen. Ach, der kleine Junge war ſo klug! Als ich

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/32>, abgerufen am 28.04.2024.