Darum ließ Oropastes den Botschafter, welcher seit den letzten Worten des Königs von allen Standesgenossen ge- mieden wurde und das Leben eines Geächteten führte, rufen und versprach ihm eine ungeheure Summe, falls er einen Thurm besteigen und dem im Vorhofe versam- melten Volke sagen wollte, daß Böswillige ihn den Mörder Bartja's genannt hätten, während er doch soeben mit eig- nen Augen den neuen König gesehen und in demselben den jüngeren Sohn des Kyros, seinen Freund und Gönner, wiedergefunden und erkannt habe. Prexaspes unterzog sich diesem Auftrage ohne Widerrede, nahm, während das Volk sich im Schloßhofe versammelte, zärtlichen Abschied von den Seinen, richtete bei dem heiligen Feueraltare ein kurzes Gebet zu den Göttern und begab sich dann in stolzer Haltung zum Palaste. Auf dem Wege dorthin traf er mit den Oberhäuptern der sieben Stämme zu- sammen und rief ihnen, da er bemerkte, daß sie ihm aus- wichen, zu: "Jch bin eurer Verachtung werth; will aber versuchen, eure Vergebung zu verdienen!"
Als sich Darius nach ihm umwandte, eilte er dem- selben nach, faßte seine Hand und sagte: "Jch habe Dich wie einen Sohn geliebt! Sorge, wenn ich nicht mehr sein sollte, für meine Kinder und brauche Deine Schwingen, geflügelter Darius!" Dann bestieg er in stolzer Haltung den hohen Thurm.
Viele tausend Bürger von Nisäa vernahmen ihn, als er mit hocherhobener Stimme folgende Worte hinab- rief: "Jhr Alle wißt, daß die Könige, welche euch bis dahin mit Ruhm und Ehre überschütteten, dem Hause der Achämeniden angehörten. Kyros beherrschte euch wie ein rechter Vater, Kambyses wie ein strenger Gebieter, und Bartja würde euch wie ein Bräutigam geleitet haben,
Darum ließ Oropaſtes den Botſchafter, welcher ſeit den letzten Worten des Königs von allen Standesgenoſſen ge- mieden wurde und das Leben eines Geächteten führte, rufen und verſprach ihm eine ungeheure Summe, falls er einen Thurm beſteigen und dem im Vorhofe verſam- melten Volke ſagen wollte, daß Böswillige ihn den Mörder Bartja’s genannt hätten, während er doch ſoeben mit eig- nen Augen den neuen König geſehen und in demſelben den jüngeren Sohn des Kyros, ſeinen Freund und Gönner, wiedergefunden und erkannt habe. Prexaspes unterzog ſich dieſem Auftrage ohne Widerrede, nahm, während das Volk ſich im Schloßhofe verſammelte, zärtlichen Abſchied von den Seinen, richtete bei dem heiligen Feueraltare ein kurzes Gebet zu den Göttern und begab ſich dann in ſtolzer Haltung zum Palaſte. Auf dem Wege dorthin traf er mit den Oberhäuptern der ſieben Stämme zu- ſammen und rief ihnen, da er bemerkte, daß ſie ihm aus- wichen, zu: „Jch bin eurer Verachtung werth; will aber verſuchen, eure Vergebung zu verdienen!“
Als ſich Darius nach ihm umwandte, eilte er dem- ſelben nach, faßte ſeine Hand und ſagte: „Jch habe Dich wie einen Sohn geliebt! Sorge, wenn ich nicht mehr ſein ſollte, für meine Kinder und brauche Deine Schwingen, geflügelter Darius!“ Dann beſtieg er in ſtolzer Haltung den hohen Thurm.
Viele tauſend Bürger von Niſäa vernahmen ihn, als er mit hocherhobener Stimme folgende Worte hinab- rief: „Jhr Alle wißt, daß die Könige, welche euch bis dahin mit Ruhm und Ehre überſchütteten, dem Hauſe der Achämeniden angehörten. Kyros beherrſchte euch wie ein rechter Vater, Kambyſes wie ein ſtrenger Gebieter, und Bartja würde euch wie ein Bräutigam geleitet haben,
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Darum ließ Oropaſtes den Botſchafter, welcher ſeit den
letzten Worten des Königs von allen Standesgenoſſen ge-
mieden wurde und das Leben eines Geächteten führte,
rufen und verſprach ihm eine ungeheure Summe, falls
er einen Thurm beſteigen und dem im Vorhofe verſam-
melten Volke ſagen wollte, daß Böswillige ihn den Mörder
Bartja’s genannt hätten, während er doch ſoeben mit eig-
nen Augen den neuen König geſehen und in demſelben
den jüngeren Sohn des Kyros, ſeinen Freund und Gönner,
wiedergefunden und erkannt habe. Prexaspes unterzog
ſich dieſem Auftrage ohne Widerrede, nahm, während das
Volk ſich im Schloßhofe verſammelte, zärtlichen Abſchied
von den Seinen, richtete bei dem heiligen Feueraltare ein
kurzes Gebet zu den Göttern und begab ſich dann in
ſtolzer Haltung zum Palaſte. Auf dem Wege dorthin
traf er mit den Oberhäuptern der ſieben Stämme zu-
ſammen und rief ihnen, da er bemerkte, daß ſie ihm aus-
wichen, zu: „Jch bin eurer Verachtung werth; will aber
verſuchen, eure Vergebung zu verdienen!“
Als ſich Darius nach ihm umwandte, eilte er dem-
ſelben nach, faßte ſeine Hand und ſagte: „Jch habe Dich
wie einen Sohn geliebt! Sorge, wenn ich nicht mehr ſein
ſollte, für meine Kinder und brauche Deine Schwingen,
geflügelter Darius!“ Dann beſtieg er in ſtolzer Haltung
den hohen Thurm.
Viele tauſend Bürger von Niſäa vernahmen ihn,
als er mit hocherhobener Stimme folgende Worte hinab-
rief: „Jhr Alle wißt, daß die Könige, welche euch bis
dahin mit Ruhm und Ehre überſchütteten, dem Hauſe der
Achämeniden angehörten. Kyros beherrſchte euch wie ein
rechter Vater, Kambyſes wie ein ſtrenger Gebieter, und
Bartja würde euch wie ein Bräutigam geleitet haben,
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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/268>, abgerufen am 31.01.2025.
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