der berühmteste und stärkste aller Hellenen, der schöne Milon sei *). Jhm, der den Krotoniaten so großen Ruhm ge- bracht hatte, galt der Jubel der Menge, während dem Pythagoras schweigende Ehrfurcht oder unverholene Miß- billigung gezollt wurde 161). Der gemeine, ungebildete Haufe haßt den edlen Meister, wie er alles wahrhaft Er- habene, weil ihn dasselbe blendet, niemals zu ertragen vermag. Der bessere Theil der Bevölkerung von Kroton beugt sich dagegen vor der Ueberlegenheit des Meisters, und die Söhne der vornehmsten Bürger dieser blühenden Stadt, welche ihn zum Prytanen erwählten 162), nennen sich mit Stolz seine Jünger.
"Klar und würdig um sich herblickend, schien der Meister die Aeußerungen des Volkes nicht zu hören, oder besser, die Anwesenheit desselben vollkommen zu übersehen. Als er sich meinem Platze genähert und mich bemerkt hatte, schaute er mich mit seinen hellen Augen, welche bis in die innersten Tiefen des Herzens dringen, -- prüfend an und sagte: "Du bist Phanes, der Athener, den ich einst am Hofe des Amasis kennen lernte!"
"Du sagst es!"
"Und kommst hierher, weil Du vor dem Könige von Persien fliehen mußt?"
Jch gab ein bejahendes Zeichen.
"Du bist aus Deiner Heimat verbannt und ver- zehrest Dein Herz. Das Leben scheint Dir nichts mehr bieten zu können, und dennoch scheust Du Dich vor dem Tode. Du beklagst Dich im Stillen über dein Unglück und würdest das Glück, gleich einem ungebetenen Gaste, von Dir weisen. Du sehnst Dich nach Ruhe und Schmerz-
*)I. Theil Anmerk. 72.
der berühmteſte und ſtärkſte aller Hellenen, der ſchöne Milon ſei *). Jhm, der den Krotoniaten ſo großen Ruhm ge- bracht hatte, galt der Jubel der Menge, während dem Pythagoras ſchweigende Ehrfurcht oder unverholene Miß- billigung gezollt wurde 161). Der gemeine, ungebildete Haufe haßt den edlen Meiſter, wie er alles wahrhaft Er- habene, weil ihn daſſelbe blendet, niemals zu ertragen vermag. Der beſſere Theil der Bevölkerung von Kroton beugt ſich dagegen vor der Ueberlegenheit des Meiſters, und die Söhne der vornehmſten Bürger dieſer blühenden Stadt, welche ihn zum Prytanen erwählten 162), nennen ſich mit Stolz ſeine Jünger.
„Klar und würdig um ſich herblickend, ſchien der Meiſter die Aeußerungen des Volkes nicht zu hören, oder beſſer, die Anweſenheit deſſelben vollkommen zu überſehen. Als er ſich meinem Platze genähert und mich bemerkt hatte, ſchaute er mich mit ſeinen hellen Augen, welche bis in die innerſten Tiefen des Herzens dringen, — prüfend an und ſagte: „Du biſt Phanes, der Athener, den ich einſt am Hofe des Amaſis kennen lernte!“
„Du ſagſt es!“
„Und kommſt hierher, weil Du vor dem Könige von Perſien fliehen mußt?“
Jch gab ein bejahendes Zeichen.
„Du biſt aus Deiner Heimat verbannt und ver- zehreſt Dein Herz. Das Leben ſcheint Dir nichts mehr bieten zu können, und dennoch ſcheuſt Du Dich vor dem Tode. Du beklagſt Dich im Stillen über dein Unglück und würdeſt das Glück, gleich einem ungebetenen Gaſte, von Dir weiſen. Du ſehnſt Dich nach Ruhe und Schmerz-
*)I. Theil Anmerk. 72.
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der berühmteſte und ſtärkſte aller Hellenen, der ſchöne Milon
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bracht hatte, galt der Jubel der Menge, während dem
Pythagoras ſchweigende Ehrfurcht oder unverholene Miß-
billigung gezollt wurde 161). Der gemeine, ungebildete
Haufe haßt den edlen Meiſter, wie er alles wahrhaft Er-
habene, weil ihn daſſelbe blendet, niemals zu ertragen
vermag. Der beſſere Theil der Bevölkerung von Kroton
beugt ſich dagegen vor der Ueberlegenheit des Meiſters,
und die Söhne der vornehmſten Bürger dieſer blühenden
Stadt, welche ihn zum Prytanen erwählten 162), nennen
ſich mit Stolz ſeine Jünger.
„Klar und würdig um ſich herblickend, ſchien der Meiſter
die Aeußerungen des Volkes nicht zu hören, oder beſſer,
die Anweſenheit deſſelben vollkommen zu überſehen. Als
er ſich meinem Platze genähert und mich bemerkt hatte,
ſchaute er mich mit ſeinen hellen Augen, welche bis in die
innerſten Tiefen des Herzens dringen, — prüfend an und
ſagte: „Du biſt Phanes, der Athener, den ich einſt am
Hofe des Amaſis kennen lernte!“
„Du ſagſt es!“
„Und kommſt hierher, weil Du vor dem Könige von
Perſien fliehen mußt?“
Jch gab ein bejahendes Zeichen.
„Du biſt aus Deiner Heimat verbannt und ver-
zehreſt Dein Herz. Das Leben ſcheint Dir nichts mehr
bieten zu können, und dennoch ſcheuſt Du Dich vor dem
Tode. Du beklagſt Dich im Stillen über dein Unglück
und würdeſt das Glück, gleich einem ungebetenen Gaſte,
von Dir weiſen. Du ſehnſt Dich nach Ruhe und Schmerz-
*) I. Theil Anmerk. 72.
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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/249>, abgerufen am 24.02.2025.
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