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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864.

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die Wahrheit zu reden und vielleicht einige schädliche und
heilsame Kräuter zu unterscheiden, das ist Alles, was man
ihnen beibringen zu müssen meint. Unsre hellenischen
Knaben werden körperlich ebenso unverdrossen geübt und
gestählt, denn der Arzt ist nur der Ausbesserer, die Gym-
nastik aber der Schmied der Gesundheit. Wäre jedoch ein
hellenischer Jüngling durch fortwährende Uebung stärker
geworden, als ein Stier, wahrhaftiger, als die Gottheit
und weiser, als der gelehrteste ägyptische Priester, so wür-
den wir ihn dennoch nur mit Achselzucken anblicken, wenn
ihm Dasjenige fehlte, was ihm nur durch frühes Beispiel
und sorgfältige Pflege der mit der Gymnastik vereinten
Musik gegeben werden kann: ,Anmuth und Ebenmaß!'
-- Du lächelst, weil Du mich nicht verstehst; wirst mir
aber Recht geben, wenn ich Dir gezeigt haben werde, daß
die Musik, welche Dir ja, nach Sappho's Erzählungen, zu
Herzen zu gehen scheint, ebenso wichtig für die Erziehung
sei, als die Gymnastik. Beide wirken, so seltsam dieß auch
klingen mag, gleichmäßig auf die Vervollkommnung der
Seele und des Körpers. Wer sich ausschließlich der Musik
hingibt, wird zwar anfangs, wenn er wilder Natur war,
wie Erz im Feuer, weich und biegsam werden und seine
strenge, rohe Art und Weise mildern; aber endlich wird
sein Muth zerschmelzen; statt heftig wird er in kleinen
Dingen reizbar und wenig tauglich zum Soldaten werden,
was ihr Perser doch vor allen Dingen erstrebt. Wer nur
Gymnastik treibt, wird zwar, wie Kambyses, Kraft und
Mannhaftigkeit in sich vereinen; seine Seele aber -- hier
höre ich zu vergleichen auf -- bleibt stumpf und blind,
und seine Empfindungen entbehren der Reinheit. Er wird
sich verständigen Gründen taub zeigen und, einem Tiger
gleich, mit roher Gewalt Alles durchzusetzen suchen; ja,

die Wahrheit zu reden und vielleicht einige ſchädliche und
heilſame Kräuter zu unterſcheiden, das iſt Alles, was man
ihnen beibringen zu müſſen meint. Unſre helleniſchen
Knaben werden körperlich ebenſo unverdroſſen geübt und
geſtählt, denn der Arzt iſt nur der Ausbeſſerer, die Gym-
naſtik aber der Schmied der Geſundheit. Wäre jedoch ein
helleniſcher Jüngling durch fortwährende Uebung ſtärker
geworden, als ein Stier, wahrhaftiger, als die Gottheit
und weiſer, als der gelehrteſte ägyptiſche Prieſter, ſo wür-
den wir ihn dennoch nur mit Achſelzucken anblicken, wenn
ihm Dasjenige fehlte, was ihm nur durch frühes Beiſpiel
und ſorgfältige Pflege der mit der Gymnaſtik vereinten
Muſik gegeben werden kann: ‚Anmuth und Ebenmaß!‘
— Du lächelſt, weil Du mich nicht verſtehſt; wirſt mir
aber Recht geben, wenn ich Dir gezeigt haben werde, daß
die Muſik, welche Dir ja, nach Sappho’s Erzählungen, zu
Herzen zu gehen ſcheint, ebenſo wichtig für die Erziehung
ſei, als die Gymnaſtik. Beide wirken, ſo ſeltſam dieß auch
klingen mag, gleichmäßig auf die Vervollkommnung der
Seele und des Körpers. Wer ſich ausſchließlich der Muſik
hingibt, wird zwar anfangs, wenn er wilder Natur war,
wie Erz im Feuer, weich und biegſam werden und ſeine
ſtrenge, rohe Art und Weiſe mildern; aber endlich wird
ſein Muth zerſchmelzen; ſtatt heftig wird er in kleinen
Dingen reizbar und wenig tauglich zum Soldaten werden,
was ihr Perſer doch vor allen Dingen erſtrebt. Wer nur
Gymnaſtik treibt, wird zwar, wie Kambyſes, Kraft und
Mannhaftigkeit in ſich vereinen; ſeine Seele aber — hier
höre ich zu vergleichen auf — bleibt ſtumpf und blind,
und ſeine Empfindungen entbehren der Reinheit. Er wird
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[233/0243] die Wahrheit zu reden und vielleicht einige ſchädliche und heilſame Kräuter zu unterſcheiden, das iſt Alles, was man ihnen beibringen zu müſſen meint. Unſre helleniſchen Knaben werden körperlich ebenſo unverdroſſen geübt und geſtählt, denn der Arzt iſt nur der Ausbeſſerer, die Gym- naſtik aber der Schmied der Geſundheit. Wäre jedoch ein helleniſcher Jüngling durch fortwährende Uebung ſtärker geworden, als ein Stier, wahrhaftiger, als die Gottheit und weiſer, als der gelehrteſte ägyptiſche Prieſter, ſo wür- den wir ihn dennoch nur mit Achſelzucken anblicken, wenn ihm Dasjenige fehlte, was ihm nur durch frühes Beiſpiel und ſorgfältige Pflege der mit der Gymnaſtik vereinten Muſik gegeben werden kann: ‚Anmuth und Ebenmaß!‘ — Du lächelſt, weil Du mich nicht verſtehſt; wirſt mir aber Recht geben, wenn ich Dir gezeigt haben werde, daß die Muſik, welche Dir ja, nach Sappho’s Erzählungen, zu Herzen zu gehen ſcheint, ebenſo wichtig für die Erziehung ſei, als die Gymnaſtik. Beide wirken, ſo ſeltſam dieß auch klingen mag, gleichmäßig auf die Vervollkommnung der Seele und des Körpers. Wer ſich ausſchließlich der Muſik hingibt, wird zwar anfangs, wenn er wilder Natur war, wie Erz im Feuer, weich und biegſam werden und ſeine ſtrenge, rohe Art und Weiſe mildern; aber endlich wird ſein Muth zerſchmelzen; ſtatt heftig wird er in kleinen Dingen reizbar und wenig tauglich zum Soldaten werden, was ihr Perſer doch vor allen Dingen erſtrebt. Wer nur Gymnaſtik treibt, wird zwar, wie Kambyſes, Kraft und Mannhaftigkeit in ſich vereinen; ſeine Seele aber — hier höre ich zu vergleichen auf — bleibt ſtumpf und blind, und ſeine Empfindungen entbehren der Reinheit. Er wird ſich verſtändigen Gründen taub zeigen und, einem Tiger gleich, mit roher Gewalt Alles durchzuſetzen ſuchen; ja,

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/243>, abgerufen am 12.05.2024.