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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864.

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Griechin, welche, damit ich es nur gestehe, lieber als freie
Bettlerin vor Sehnsucht sterben, denn als glücklich geprie-
sene, aber geknechtete Fürstin leben möchte."

Kassandane hörte der Greisin staunend zu. Sie ver-
stand dieselbe nur theilweis; fühlte aber, daß Rhodopis
edle Worte gesprochen habe, und reichte ihr am Schluß
ihrer Rede die Hand zum Kusse. Dann sagte sie nach
einer kurzen Pause: "Handle nach Deinem Ermessen und
sei versichert, daß es Deiner Enkelin, so lange ich und
meine Tochter leben, nicht an treuer Liebe gebrechen wird."

"Dafür bürgt mir Dein edles Angesicht und der hohe
Ruf Deiner Tugend!" antwortete Rhodopis.

"Sowie meine Pflicht, Das, was man an Deiner
Enkelin verbrochen, nach Kräften wieder gut zu machen."

Die Königin seufzte schmerzlich, ehe sie fortfuhr:
"Auch soll auf die Erziehung der kleinen Parmys aller
Fleiß verwendet werden. Sie scheint von der Natur reich
begabt zu sein und singt jetzt schon ihrer Mutter die
Weisen ihrer Heimat nach. Jch wehre nicht ihrer Nei-
gung zur Musik, obgleich dieselbe in Persien, außer beim
Gottesdienste, nur von niedrig gebornen Menschen aus-
geübt zu werden pflegt 158)."

Rhodopis erglühte bei diesen Worten und rief: "Ge-
stattest Du mir, frei zu reden, o Königin?"

"Sprich ohne Furcht!"

"Als Du vorhin in dem Gedanken an Deinen ver-
schwundenen, trefflichen Sohn aufseufztest, dachte ich bei
mir: Vielleicht wäre der junge, edle Held noch am Leben,
wenn die Perser ihre Söhne besser, ich wollte sagen,
mannigfaltiger zu erziehen verständen. Jch habe mir von
Bartja mittheilen lassen, was den persischen Knaben ge-
lehrt wird. Bogenschießen, Speerewerfen, Reiten, Jagen,

Griechin, welche, damit ich es nur geſtehe, lieber als freie
Bettlerin vor Sehnſucht ſterben, denn als glücklich geprie-
ſene, aber geknechtete Fürſtin leben möchte.“

Kaſſandane hörte der Greiſin ſtaunend zu. Sie ver-
ſtand dieſelbe nur theilweis; fühlte aber, daß Rhodopis
edle Worte geſprochen habe, und reichte ihr am Schluß
ihrer Rede die Hand zum Kuſſe. Dann ſagte ſie nach
einer kurzen Pauſe: „Handle nach Deinem Ermeſſen und
ſei verſichert, daß es Deiner Enkelin, ſo lange ich und
meine Tochter leben, nicht an treuer Liebe gebrechen wird.“

„Dafür bürgt mir Dein edles Angeſicht und der hohe
Ruf Deiner Tugend!“ antwortete Rhodopis.

„Sowie meine Pflicht, Das, was man an Deiner
Enkelin verbrochen, nach Kräften wieder gut zu machen.“

Die Königin ſeufzte ſchmerzlich, ehe ſie fortfuhr:
„Auch ſoll auf die Erziehung der kleinen Parmys aller
Fleiß verwendet werden. Sie ſcheint von der Natur reich
begabt zu ſein und ſingt jetzt ſchon ihrer Mutter die
Weiſen ihrer Heimat nach. Jch wehre nicht ihrer Nei-
gung zur Muſik, obgleich dieſelbe in Perſien, außer beim
Gottesdienſte, nur von niedrig gebornen Menſchen aus-
geübt zu werden pflegt 158).“

Rhodopis erglühte bei dieſen Worten und rief: „Ge-
ſtatteſt Du mir, frei zu reden, o Königin?“

„Sprich ohne Furcht!“

„Als Du vorhin in dem Gedanken an Deinen ver-
ſchwundenen, trefflichen Sohn aufſeufzteſt, dachte ich bei
mir: Vielleicht wäre der junge, edle Held noch am Leben,
wenn die Perſer ihre Söhne beſſer, ich wollte ſagen,
mannigfaltiger zu erziehen verſtänden. Jch habe mir von
Bartja mittheilen laſſen, was den perſiſchen Knaben ge-
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[232/0242] Griechin, welche, damit ich es nur geſtehe, lieber als freie Bettlerin vor Sehnſucht ſterben, denn als glücklich geprie- ſene, aber geknechtete Fürſtin leben möchte.“ Kaſſandane hörte der Greiſin ſtaunend zu. Sie ver- ſtand dieſelbe nur theilweis; fühlte aber, daß Rhodopis edle Worte geſprochen habe, und reichte ihr am Schluß ihrer Rede die Hand zum Kuſſe. Dann ſagte ſie nach einer kurzen Pauſe: „Handle nach Deinem Ermeſſen und ſei verſichert, daß es Deiner Enkelin, ſo lange ich und meine Tochter leben, nicht an treuer Liebe gebrechen wird.“ „Dafür bürgt mir Dein edles Angeſicht und der hohe Ruf Deiner Tugend!“ antwortete Rhodopis. „Sowie meine Pflicht, Das, was man an Deiner Enkelin verbrochen, nach Kräften wieder gut zu machen.“ Die Königin ſeufzte ſchmerzlich, ehe ſie fortfuhr: „Auch ſoll auf die Erziehung der kleinen Parmys aller Fleiß verwendet werden. Sie ſcheint von der Natur reich begabt zu ſein und ſingt jetzt ſchon ihrer Mutter die Weiſen ihrer Heimat nach. Jch wehre nicht ihrer Nei- gung zur Muſik, obgleich dieſelbe in Perſien, außer beim Gottesdienſte, nur von niedrig gebornen Menſchen aus- geübt zu werden pflegt 158).“ Rhodopis erglühte bei dieſen Worten und rief: „Ge- ſtatteſt Du mir, frei zu reden, o Königin?“ „Sprich ohne Furcht!“ „Als Du vorhin in dem Gedanken an Deinen ver- ſchwundenen, trefflichen Sohn aufſeufzteſt, dachte ich bei mir: Vielleicht wäre der junge, edle Held noch am Leben, wenn die Perſer ihre Söhne beſſer, ich wollte ſagen, mannigfaltiger zu erziehen verſtänden. Jch habe mir von Bartja mittheilen laſſen, was den perſiſchen Knaben ge- lehrt wird. Bogenſchießen, Speerewerfen, Reiten, Jagen,

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/242>, abgerufen am 11.05.2024.