Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864.

Bild:
<< vorherige Seite

Deine Sehnsucht nach ihr wohl verstehe, niemals von mir
lassen würde."

Als Kassandane sah, daß sich das Auge der Hellenin
mit Thränen füllte, fuhr sie fort: "Aber ich wüßte ein
gutes Auskunftsmittel. Verlaß' Naukratis und komm' mit
uns nach Persien. Dort sollst Du Deine letzten Jahre
mit uns und Deiner Enkelin verleben und gleich einer
Fürstin gehalten werden!"

Rhodopis schüttelte ihr schönes, greises Haupt und
erwiederte mit gedämpfter Stimme: "Jch danke Dir für
Deine gütige Einladung, hohe Königin; fühle aber, daß
ich dieselbe nicht anzunehmen vermag. Alle Fasern meines
Herzens wurzeln in Griechenland und würden mit meinem
Leben zerreißen, wenn ich mich von demselben für immer
abtrennen wollte. An fortwährende Thätigkeit, regen Aus-
tausch der Gedanken und unbedingte Freiheit gewöhnt,
würde ich in der Beschränkung des Harems hinsiechen und
sterben. Von Krösus auf Deinen gütigen Vorschlag vor-
bereitet, hab' ich schwere Kämpfe bestanden, eh' ich dahin
gelangen konnte, mir zu sagen, daß es meine Pflicht sei,
mein liebstes für mein höchstes Gut aufzuopfern. So viel
schwerer es ist, schön und gut, als glücklich zu leben, so
viel ruhmvoller, so viel würdiger des hellenischen Namens
ist es, statt dem Glücke der Pflicht zu folgen. Mein
Herz zieht mit Sappho nach Persien, mein Geist und
meine Erfahrungen gehören den Griechen. Wenn Du
eines Tages vernehmen solltest, daß Niemand außer dem
Volke in Hellas regiert, und daß sich dieses Volk vor
nichts Andrem beugt, als vor seinen Göttern und Gesetzen,
dem Guten und Schönen, dann magst Du denken, daß die
Aufgabe, an die Rhodopis, im Bunde mit den Besten der
Hellenen, ihr Leben setzte, erfüllt sei. Zürne nicht der

Deine Sehnſucht nach ihr wohl verſtehe, niemals von mir
laſſen würde.“

Als Kaſſandane ſah, daß ſich das Auge der Hellenin
mit Thränen füllte, fuhr ſie fort: „Aber ich wüßte ein
gutes Auskunftsmittel. Verlaß’ Naukratis und komm’ mit
uns nach Perſien. Dort ſollſt Du Deine letzten Jahre
mit uns und Deiner Enkelin verleben und gleich einer
Fürſtin gehalten werden!“

Rhodopis ſchüttelte ihr ſchönes, greiſes Haupt und
erwiederte mit gedämpfter Stimme: „Jch danke Dir für
Deine gütige Einladung, hohe Königin; fühle aber, daß
ich dieſelbe nicht anzunehmen vermag. Alle Faſern meines
Herzens wurzeln in Griechenland und würden mit meinem
Leben zerreißen, wenn ich mich von demſelben für immer
abtrennen wollte. An fortwährende Thätigkeit, regen Aus-
tauſch der Gedanken und unbedingte Freiheit gewöhnt,
würde ich in der Beſchränkung des Harems hinſiechen und
ſterben. Von Kröſus auf Deinen gütigen Vorſchlag vor-
bereitet, hab’ ich ſchwere Kämpfe beſtanden, eh’ ich dahin
gelangen konnte, mir zu ſagen, daß es meine Pflicht ſei,
mein liebſtes für mein höchſtes Gut aufzuopfern. So viel
ſchwerer es iſt, ſchön und gut, als glücklich zu leben, ſo
viel ruhmvoller, ſo viel würdiger des helleniſchen Namens
iſt es, ſtatt dem Glücke der Pflicht zu folgen. Mein
Herz zieht mit Sappho nach Perſien, mein Geiſt und
meine Erfahrungen gehören den Griechen. Wenn Du
eines Tages vernehmen ſollteſt, daß Niemand außer dem
Volke in Hellas regiert, und daß ſich dieſes Volk vor
nichts Andrem beugt, als vor ſeinen Göttern und Geſetzen,
dem Guten und Schönen, dann magſt Du denken, daß die
Aufgabe, an die Rhodopis, im Bunde mit den Beſten der
Hellenen, ihr Leben ſetzte, erfüllt ſei. Zürne nicht der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0241" n="231"/>
Deine Sehn&#x017F;ucht nach ihr wohl ver&#x017F;tehe, niemals von mir<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en würde.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Als Ka&#x017F;&#x017F;andane &#x017F;ah, daß &#x017F;ich das Auge der Hellenin<lb/>
mit Thränen füllte, fuhr &#x017F;ie fort: &#x201E;Aber ich wüßte ein<lb/>
gutes Auskunftsmittel. Verlaß&#x2019; Naukratis und komm&#x2019; mit<lb/>
uns nach Per&#x017F;ien. Dort &#x017F;oll&#x017F;t Du Deine letzten Jahre<lb/>
mit uns und Deiner Enkelin verleben und gleich einer<lb/>
Für&#x017F;tin gehalten werden!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Rhodopis &#x017F;chüttelte ihr &#x017F;chönes, grei&#x017F;es Haupt und<lb/>
erwiederte mit gedämpfter Stimme: &#x201E;Jch danke Dir für<lb/>
Deine gütige Einladung, hohe Königin; fühle aber, daß<lb/>
ich die&#x017F;elbe nicht anzunehmen vermag. Alle Fa&#x017F;ern meines<lb/>
Herzens wurzeln in Griechenland und würden mit meinem<lb/>
Leben zerreißen, wenn ich mich von dem&#x017F;elben für immer<lb/>
abtrennen wollte. An fortwährende Thätigkeit, regen Aus-<lb/>
tau&#x017F;ch der Gedanken und unbedingte Freiheit gewöhnt,<lb/>
würde ich in der Be&#x017F;chränkung des Harems hin&#x017F;iechen und<lb/>
&#x017F;terben. Von Krö&#x017F;us auf Deinen gütigen Vor&#x017F;chlag vor-<lb/>
bereitet, hab&#x2019; ich &#x017F;chwere Kämpfe be&#x017F;tanden, eh&#x2019; ich dahin<lb/>
gelangen konnte, mir zu &#x017F;agen, daß es meine Pflicht &#x017F;ei,<lb/>
mein lieb&#x017F;tes für mein höch&#x017F;tes Gut aufzuopfern. So viel<lb/>
&#x017F;chwerer es i&#x017F;t, &#x017F;chön und gut, als glücklich zu leben, &#x017F;o<lb/>
viel ruhmvoller, &#x017F;o viel würdiger des helleni&#x017F;chen Namens<lb/>
i&#x017F;t es, &#x017F;tatt dem Glücke der Pflicht zu folgen. Mein<lb/>
Herz zieht mit Sappho nach Per&#x017F;ien, mein Gei&#x017F;t und<lb/>
meine Erfahrungen gehören den Griechen. Wenn Du<lb/>
eines Tages vernehmen &#x017F;ollte&#x017F;t, daß Niemand außer dem<lb/>
Volke in Hellas regiert, und daß &#x017F;ich die&#x017F;es Volk vor<lb/>
nichts Andrem beugt, als vor &#x017F;einen Göttern und Ge&#x017F;etzen,<lb/>
dem Guten und Schönen, dann mag&#x017F;t Du denken, daß die<lb/>
Aufgabe, an die Rhodopis, im Bunde mit den Be&#x017F;ten der<lb/>
Hellenen, ihr Leben &#x017F;etzte, erfüllt &#x017F;ei. Zürne nicht der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[231/0241] Deine Sehnſucht nach ihr wohl verſtehe, niemals von mir laſſen würde.“ Als Kaſſandane ſah, daß ſich das Auge der Hellenin mit Thränen füllte, fuhr ſie fort: „Aber ich wüßte ein gutes Auskunftsmittel. Verlaß’ Naukratis und komm’ mit uns nach Perſien. Dort ſollſt Du Deine letzten Jahre mit uns und Deiner Enkelin verleben und gleich einer Fürſtin gehalten werden!“ Rhodopis ſchüttelte ihr ſchönes, greiſes Haupt und erwiederte mit gedämpfter Stimme: „Jch danke Dir für Deine gütige Einladung, hohe Königin; fühle aber, daß ich dieſelbe nicht anzunehmen vermag. Alle Faſern meines Herzens wurzeln in Griechenland und würden mit meinem Leben zerreißen, wenn ich mich von demſelben für immer abtrennen wollte. An fortwährende Thätigkeit, regen Aus- tauſch der Gedanken und unbedingte Freiheit gewöhnt, würde ich in der Beſchränkung des Harems hinſiechen und ſterben. Von Kröſus auf Deinen gütigen Vorſchlag vor- bereitet, hab’ ich ſchwere Kämpfe beſtanden, eh’ ich dahin gelangen konnte, mir zu ſagen, daß es meine Pflicht ſei, mein liebſtes für mein höchſtes Gut aufzuopfern. So viel ſchwerer es iſt, ſchön und gut, als glücklich zu leben, ſo viel ruhmvoller, ſo viel würdiger des helleniſchen Namens iſt es, ſtatt dem Glücke der Pflicht zu folgen. Mein Herz zieht mit Sappho nach Perſien, mein Geiſt und meine Erfahrungen gehören den Griechen. Wenn Du eines Tages vernehmen ſollteſt, daß Niemand außer dem Volke in Hellas regiert, und daß ſich dieſes Volk vor nichts Andrem beugt, als vor ſeinen Göttern und Geſetzen, dem Guten und Schönen, dann magſt Du denken, daß die Aufgabe, an die Rhodopis, im Bunde mit den Beſten der Hellenen, ihr Leben ſetzte, erfüllt ſei. Zürne nicht der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/241
Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/241>, abgerufen am 11.05.2024.