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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864.

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manchen Kummers, schöner geworden, als vorher. Das
muthwillige Mädchen hatte sich in ein vollkommen ent-
wickeltes, selbstbewußtes Weib, das ungestüme, trotzige Kind
in eine lebhafte, willensstarke Frau verwandelt. Der
Ernst des Lebens und drei, an der Seite ihres rasenden
Gatten und Bruders verbrachte, traurige Jahre waren für
sie zu trefflichen Lehrmeistern in der Geduld geworden,
hatten aber nicht vermocht, sie der ersten Liebe ihres Her-
zens abwendig zu machen. Sappho's Freundschaft mußte
sie gewissermaßen für den Verlust des Darius entschädigen.

Die junge Griechin war seit dem Verschwinden ihres
Gatten zu einem andern Wesen geworden. Der rosige
Schein ihrer Wangen und ihr holdseliges Lächeln hatten
sie längst verlassen. Wunderbar schön, trotz ihrer Blässe,
ihrer gesenkten Wimpern und schlaffen Haltung, glich sie
jener Ariadne, welche des heimkehrenden Theseus harrte.
Sehnsucht und Erwartung sprachen aus dem Blick ihrer
Augen, dem Ton ihrer leisen Stimme, der Gemessenheit
ihres Ganges. Sobald sich Schritte nahten, wenn eine
Thüre ging oder eine männliche Stimme unerwartet sich
hören ließ, schrack sie zusammen, stand auf und lauschte,
um sich bald darauf, enttäuscht und doch nicht irre gemacht
in ihrer Hoffnung, der Sehnsucht von Neuem hinzugeben
und, wie sie schon früher so gern gethan hatte, zu sinnen
und zu träumen.

Nur wenn sie mit ihrem Kinde spielte und für das-
selbe sorgte, schien sie wieder die Alte zu werden, denn
dann färbten sich ihre Wangen mit neuem Roth, ihre
Augen erglänzten, und ihr ganzes Wesen schien wieder,
statt in der Vergangenheit oder Zukunft, in der frischen
Gegenwart zu leben.

Das Kind war ihr Alles. Jn ihm lebte Bartja für

manchen Kummers, ſchöner geworden, als vorher. Das
muthwillige Mädchen hatte ſich in ein vollkommen ent-
wickeltes, ſelbſtbewußtes Weib, das ungeſtüme, trotzige Kind
in eine lebhafte, willensſtarke Frau verwandelt. Der
Ernſt des Lebens und drei, an der Seite ihres raſenden
Gatten und Bruders verbrachte, traurige Jahre waren für
ſie zu trefflichen Lehrmeiſtern in der Geduld geworden,
hatten aber nicht vermocht, ſie der erſten Liebe ihres Her-
zens abwendig zu machen. Sappho’s Freundſchaft mußte
ſie gewiſſermaßen für den Verluſt des Darius entſchädigen.

Die junge Griechin war ſeit dem Verſchwinden ihres
Gatten zu einem andern Weſen geworden. Der roſige
Schein ihrer Wangen und ihr holdſeliges Lächeln hatten
ſie längſt verlaſſen. Wunderbar ſchön, trotz ihrer Bläſſe,
ihrer geſenkten Wimpern und ſchlaffen Haltung, glich ſie
jener Ariadne, welche des heimkehrenden Theſeus harrte.
Sehnſucht und Erwartung ſprachen aus dem Blick ihrer
Augen, dem Ton ihrer leiſen Stimme, der Gemeſſenheit
ihres Ganges. Sobald ſich Schritte nahten, wenn eine
Thüre ging oder eine männliche Stimme unerwartet ſich
hören ließ, ſchrack ſie zuſammen, ſtand auf und lauſchte,
um ſich bald darauf, enttäuſcht und doch nicht irre gemacht
in ihrer Hoffnung, der Sehnſucht von Neuem hinzugeben
und, wie ſie ſchon früher ſo gern gethan hatte, zu ſinnen
und zu träumen.

Nur wenn ſie mit ihrem Kinde ſpielte und für das-
ſelbe ſorgte, ſchien ſie wieder die Alte zu werden, denn
dann färbten ſich ihre Wangen mit neuem Roth, ihre
Augen erglänzten, und ihr ganzes Weſen ſchien wieder,
ſtatt in der Vergangenheit oder Zukunft, in der friſchen
Gegenwart zu leben.

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[227/0237] manchen Kummers, ſchöner geworden, als vorher. Das muthwillige Mädchen hatte ſich in ein vollkommen ent- wickeltes, ſelbſtbewußtes Weib, das ungeſtüme, trotzige Kind in eine lebhafte, willensſtarke Frau verwandelt. Der Ernſt des Lebens und drei, an der Seite ihres raſenden Gatten und Bruders verbrachte, traurige Jahre waren für ſie zu trefflichen Lehrmeiſtern in der Geduld geworden, hatten aber nicht vermocht, ſie der erſten Liebe ihres Her- zens abwendig zu machen. Sappho’s Freundſchaft mußte ſie gewiſſermaßen für den Verluſt des Darius entſchädigen. Die junge Griechin war ſeit dem Verſchwinden ihres Gatten zu einem andern Weſen geworden. Der roſige Schein ihrer Wangen und ihr holdſeliges Lächeln hatten ſie längſt verlaſſen. Wunderbar ſchön, trotz ihrer Bläſſe, ihrer geſenkten Wimpern und ſchlaffen Haltung, glich ſie jener Ariadne, welche des heimkehrenden Theſeus harrte. Sehnſucht und Erwartung ſprachen aus dem Blick ihrer Augen, dem Ton ihrer leiſen Stimme, der Gemeſſenheit ihres Ganges. Sobald ſich Schritte nahten, wenn eine Thüre ging oder eine männliche Stimme unerwartet ſich hören ließ, ſchrack ſie zuſammen, ſtand auf und lauſchte, um ſich bald darauf, enttäuſcht und doch nicht irre gemacht in ihrer Hoffnung, der Sehnſucht von Neuem hinzugeben und, wie ſie ſchon früher ſo gern gethan hatte, zu ſinnen und zu träumen. Nur wenn ſie mit ihrem Kinde ſpielte und für das- ſelbe ſorgte, ſchien ſie wieder die Alte zu werden, denn dann färbten ſich ihre Wangen mit neuem Roth, ihre Augen erglänzten, und ihr ganzes Weſen ſchien wieder, ſtatt in der Vergangenheit oder Zukunft, in der friſchen Gegenwart zu leben. Das Kind war ihr Alles. Jn ihm lebte Bartja für

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/237>, abgerufen am 11.05.2024.