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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864.

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und verworrenen Geistes beugte er sich endlich über die
Kiste, entnahm derselben das aus Wachs gebildete schöne
Haupt, und starrte mit Entsetzen in die glanzlosen unbe-
weglichen Augen des Bildwerks. Die Aehnlichkeit war so
täuschend, und seine Urtheilskraft durch den Wein und
das Fieber so geschwächt, daß er von einem Zauber be-
fangen zu sein glaubte. Dennoch vermochte er nicht, seine
Blicke von den theuren Zügen abzuwenden. Plötzlich kam
es ihm vor, als wenn das Bildwerk seine Augen bewege.
Da faßte ihn ein jähes Entsetzen. Krampfhaft schleuderte
er das lebendig gewordene Haupt an die Wand, so daß
die hohle, spröde Wachsmasse in tausend Stücke zersplitterte,
-- und sank stöhnend auf sein Lager zurück. -- Von nun
an wurde das Fieber immer heftiger. Der Unglückliche
glaubte, in wirren Phantasieen, zuerst den verbannten Phanes
zu sehen, der ein griechisches Schelmenliedchen sang und
ihn so schändlich verhöhnte, daß sich seine Faust vor Jn-
grimm ballte. Dann sah er Krösus, seinen Freund und
Berather. Derselbe drohte ihm und rief ihm jene Worte
abermals zu, mit denen er ihn, als er Bartja um Nitetis
willen hinrichten lassen wollte, gewarnt hatte: "Hüte Dich,
brüderliches Blut zu vergießen, denn wisse, daß die Dämpfe
desselben aufsteigen zum Himmel und zu Wolken werden,
welche die Tage des Mörders verfinstern und endlich einen
Blitz der Rache auf ihn hernieder schleudern!"

Und in seiner Phantasie gestaltete sich dieses Bild
zur Wirklichkeit. Er wähnte, daß ein blutiger Regen
aus finstren Wolken auf ihn herniederströme und mit sei-
nem widrigen Naß seine Kleider und Hände befeuchte.
Als derselbe endlich aufgehört hatte, und er sich, um sich
zu reinigen, dem Ufer des Nils näherte, trat ihm Nitetis
mit süßem Lächeln, wie sie Theodoros dargestellt hatte,

und verworrenen Geiſtes beugte er ſich endlich über die
Kiſte, entnahm derſelben das aus Wachs gebildete ſchöne
Haupt, und ſtarrte mit Entſetzen in die glanzloſen unbe-
weglichen Augen des Bildwerks. Die Aehnlichkeit war ſo
täuſchend, und ſeine Urtheilskraft durch den Wein und
das Fieber ſo geſchwächt, daß er von einem Zauber be-
fangen zu ſein glaubte. Dennoch vermochte er nicht, ſeine
Blicke von den theuren Zügen abzuwenden. Plötzlich kam
es ihm vor, als wenn das Bildwerk ſeine Augen bewege.
Da faßte ihn ein jähes Entſetzen. Krampfhaft ſchleuderte
er das lebendig gewordene Haupt an die Wand, ſo daß
die hohle, ſpröde Wachsmaſſe in tauſend Stücke zerſplitterte,
— und ſank ſtöhnend auf ſein Lager zurück. — Von nun
an wurde das Fieber immer heftiger. Der Unglückliche
glaubte, in wirren Phantaſieen, zuerſt den verbannten Phanes
zu ſehen, der ein griechiſches Schelmenliedchen ſang und
ihn ſo ſchändlich verhöhnte, daß ſich ſeine Fauſt vor Jn-
grimm ballte. Dann ſah er Kröſus, ſeinen Freund und
Berather. Derſelbe drohte ihm und rief ihm jene Worte
abermals zu, mit denen er ihn, als er Bartja um Nitetis
willen hinrichten laſſen wollte, gewarnt hatte: „Hüte Dich,
brüderliches Blut zu vergießen, denn wiſſe, daß die Dämpfe
deſſelben aufſteigen zum Himmel und zu Wolken werden,
welche die Tage des Mörders verfinſtern und endlich einen
Blitz der Rache auf ihn hernieder ſchleudern!“

Und in ſeiner Phantaſie geſtaltete ſich dieſes Bild
zur Wirklichkeit. Er wähnte, daß ein blutiger Regen
aus finſtren Wolken auf ihn herniederſtröme und mit ſei-
nem widrigen Naß ſeine Kleider und Hände befeuchte.
Als derſelbe endlich aufgehört hatte, und er ſich, um ſich
zu reinigen, dem Ufer des Nils näherte, trat ihm Nitetis
mit ſüßem Lächeln, wie ſie Theodoros dargeſtellt hatte,

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[217/0227] und verworrenen Geiſtes beugte er ſich endlich über die Kiſte, entnahm derſelben das aus Wachs gebildete ſchöne Haupt, und ſtarrte mit Entſetzen in die glanzloſen unbe- weglichen Augen des Bildwerks. Die Aehnlichkeit war ſo täuſchend, und ſeine Urtheilskraft durch den Wein und das Fieber ſo geſchwächt, daß er von einem Zauber be- fangen zu ſein glaubte. Dennoch vermochte er nicht, ſeine Blicke von den theuren Zügen abzuwenden. Plötzlich kam es ihm vor, als wenn das Bildwerk ſeine Augen bewege. Da faßte ihn ein jähes Entſetzen. Krampfhaft ſchleuderte er das lebendig gewordene Haupt an die Wand, ſo daß die hohle, ſpröde Wachsmaſſe in tauſend Stücke zerſplitterte, — und ſank ſtöhnend auf ſein Lager zurück. — Von nun an wurde das Fieber immer heftiger. Der Unglückliche glaubte, in wirren Phantaſieen, zuerſt den verbannten Phanes zu ſehen, der ein griechiſches Schelmenliedchen ſang und ihn ſo ſchändlich verhöhnte, daß ſich ſeine Fauſt vor Jn- grimm ballte. Dann ſah er Kröſus, ſeinen Freund und Berather. Derſelbe drohte ihm und rief ihm jene Worte abermals zu, mit denen er ihn, als er Bartja um Nitetis willen hinrichten laſſen wollte, gewarnt hatte: „Hüte Dich, brüderliches Blut zu vergießen, denn wiſſe, daß die Dämpfe deſſelben aufſteigen zum Himmel und zu Wolken werden, welche die Tage des Mörders verfinſtern und endlich einen Blitz der Rache auf ihn hernieder ſchleudern!“ Und in ſeiner Phantaſie geſtaltete ſich dieſes Bild zur Wirklichkeit. Er wähnte, daß ein blutiger Regen aus finſtren Wolken auf ihn herniederſtröme und mit ſei- nem widrigen Naß ſeine Kleider und Hände befeuchte. Als derſelbe endlich aufgehört hatte, und er ſich, um ſich zu reinigen, dem Ufer des Nils näherte, trat ihm Nitetis mit ſüßem Lächeln, wie ſie Theodoros dargeſtellt hatte,

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/227>, abgerufen am 12.05.2024.