Absonderliche Freude schien es dem jungen Helden zu machen, wenn sich die kleinen Finger seines Kindes in seinen Bart und seine Locken vergruben, wenn die wilden Füßchen desselben sein Gesicht berührten, oder wenn das fleischige Händchen der kleinen Parmys einen seiner Finger umklammerte. Sappho theilte die Wonne dieses harmlosen Spiels und war bemüht, die Aufmerksamkeit ihres Lieb- lings ausschließlich auf den Vater hinzulenken.
Dann und wann beugte sie sich über die Kleine, um den fleischigen Hals oder die rothen Kinderlippen zu küssen, und in solchen Augenblicken geschah es wohl, daß ihre Stirn' die Locken ihres Gatten berührte, der dann jedes- mal den dem Kinde gegebenen Kuß von ihrem Munde raubte.
Rhodopis sah diesem Spiele lange Zeit im Geheimen zu und betete, mit Thränen in den Augen, zu den Göttern, daß sie ihren Lieben dieß große, reine Glück erhalten möchten. Endlich näherte sie sich der Laube, rief dem jungen Paare einen "fröhlichen Morgen" zu und belobte die alte Melitta, welche, mit einem großen Sonnenschirm' in der Hand, gekommen war, um die kleine Parmys zur Ruhe zu bringen und dem greller werdenden Sonnenlichte zu entziehen.
Die alte Sklavin war zur obersten Wärterin des fürstlichen Säuglings ernannt worden und verwaltete ihr Amt mit ebenso großer, als komischer Würde. Jn reiche, persische Gewänder ihre alten Glieder bergend, empfand sie eine wahre Seligkeit in dem ihr neuen Befehle- ertheilen und hielt die vielen ihr untergebenen Sklavinnen, denen sie mit vornehmer Herablassung begegnete, in fort- währender Bewegung.
Sappho folgte der Alten, nachdem sie ihren runden
Abſonderliche Freude ſchien es dem jungen Helden zu machen, wenn ſich die kleinen Finger ſeines Kindes in ſeinen Bart und ſeine Locken vergruben, wenn die wilden Füßchen deſſelben ſein Geſicht berührten, oder wenn das fleiſchige Händchen der kleinen Parmys einen ſeiner Finger umklammerte. Sappho theilte die Wonne dieſes harmloſen Spiels und war bemüht, die Aufmerkſamkeit ihres Lieb- lings ausſchließlich auf den Vater hinzulenken.
Dann und wann beugte ſie ſich über die Kleine, um den fleiſchigen Hals oder die rothen Kinderlippen zu küſſen, und in ſolchen Augenblicken geſchah es wohl, daß ihre Stirn’ die Locken ihres Gatten berührte, der dann jedes- mal den dem Kinde gegebenen Kuß von ihrem Munde raubte.
Rhodopis ſah dieſem Spiele lange Zeit im Geheimen zu und betete, mit Thränen in den Augen, zu den Göttern, daß ſie ihren Lieben dieß große, reine Glück erhalten möchten. Endlich näherte ſie ſich der Laube, rief dem jungen Paare einen „fröhlichen Morgen“ zu und belobte die alte Melitta, welche, mit einem großen Sonnenſchirm’ in der Hand, gekommen war, um die kleine Parmys zur Ruhe zu bringen und dem greller werdenden Sonnenlichte zu entziehen.
Die alte Sklavin war zur oberſten Wärterin des fürſtlichen Säuglings ernannt worden und verwaltete ihr Amt mit ebenſo großer, als komiſcher Würde. Jn reiche, perſiſche Gewänder ihre alten Glieder bergend, empfand ſie eine wahre Seligkeit in dem ihr neuen Befehle- ertheilen und hielt die vielen ihr untergebenen Sklavinnen, denen ſie mit vornehmer Herablaſſung begegnete, in fort- währender Bewegung.
Sappho folgte der Alten, nachdem ſie ihren runden
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0217"n="207"/><p>Abſonderliche Freude ſchien es dem jungen Helden<lb/>
zu machen, wenn ſich die kleinen Finger ſeines Kindes in<lb/>ſeinen Bart und ſeine Locken vergruben, wenn die wilden<lb/>
Füßchen deſſelben ſein Geſicht berührten, oder wenn das<lb/>
fleiſchige Händchen der kleinen Parmys einen ſeiner Finger<lb/>
umklammerte. Sappho theilte die Wonne dieſes harmloſen<lb/>
Spiels und war bemüht, die Aufmerkſamkeit ihres Lieb-<lb/>
lings ausſchließlich auf den Vater hinzulenken.</p><lb/><p>Dann und wann beugte ſie ſich über die Kleine, um<lb/>
den fleiſchigen Hals oder die rothen Kinderlippen zu küſſen,<lb/>
und in ſolchen Augenblicken geſchah es wohl, daß ihre<lb/>
Stirn’ die Locken ihres Gatten berührte, der dann jedes-<lb/>
mal den dem Kinde gegebenen Kuß von ihrem Munde<lb/>
raubte.</p><lb/><p>Rhodopis ſah dieſem Spiele lange Zeit im Geheimen<lb/>
zu und betete, mit Thränen in den Augen, zu den Göttern,<lb/>
daß ſie ihren Lieben dieß große, reine Glück erhalten<lb/>
möchten. Endlich näherte ſie ſich der Laube, rief dem<lb/>
jungen Paare einen „fröhlichen Morgen“ zu und belobte<lb/>
die alte Melitta, welche, mit einem großen Sonnenſchirm’<lb/>
in der Hand, gekommen war, um die kleine Parmys zur<lb/>
Ruhe zu bringen und dem greller werdenden Sonnenlichte<lb/>
zu entziehen.</p><lb/><p>Die alte Sklavin war zur oberſten Wärterin des<lb/>
fürſtlichen Säuglings ernannt worden und verwaltete ihr<lb/>
Amt mit ebenſo großer, als komiſcher Würde. Jn reiche,<lb/>
perſiſche Gewänder ihre alten Glieder bergend, empfand<lb/>ſie eine wahre Seligkeit in dem ihr neuen Befehle-<lb/>
ertheilen und hielt die vielen ihr untergebenen Sklavinnen,<lb/>
denen ſie mit vornehmer Herablaſſung begegnete, in fort-<lb/>
währender Bewegung.</p><lb/><p>Sappho folgte der Alten, nachdem ſie ihren runden<lb/></p></div></body></text></TEI>
[207/0217]
Abſonderliche Freude ſchien es dem jungen Helden
zu machen, wenn ſich die kleinen Finger ſeines Kindes in
ſeinen Bart und ſeine Locken vergruben, wenn die wilden
Füßchen deſſelben ſein Geſicht berührten, oder wenn das
fleiſchige Händchen der kleinen Parmys einen ſeiner Finger
umklammerte. Sappho theilte die Wonne dieſes harmloſen
Spiels und war bemüht, die Aufmerkſamkeit ihres Lieb-
lings ausſchließlich auf den Vater hinzulenken.
Dann und wann beugte ſie ſich über die Kleine, um
den fleiſchigen Hals oder die rothen Kinderlippen zu küſſen,
und in ſolchen Augenblicken geſchah es wohl, daß ihre
Stirn’ die Locken ihres Gatten berührte, der dann jedes-
mal den dem Kinde gegebenen Kuß von ihrem Munde
raubte.
Rhodopis ſah dieſem Spiele lange Zeit im Geheimen
zu und betete, mit Thränen in den Augen, zu den Göttern,
daß ſie ihren Lieben dieß große, reine Glück erhalten
möchten. Endlich näherte ſie ſich der Laube, rief dem
jungen Paare einen „fröhlichen Morgen“ zu und belobte
die alte Melitta, welche, mit einem großen Sonnenſchirm’
in der Hand, gekommen war, um die kleine Parmys zur
Ruhe zu bringen und dem greller werdenden Sonnenlichte
zu entziehen.
Die alte Sklavin war zur oberſten Wärterin des
fürſtlichen Säuglings ernannt worden und verwaltete ihr
Amt mit ebenſo großer, als komiſcher Würde. Jn reiche,
perſiſche Gewänder ihre alten Glieder bergend, empfand
ſie eine wahre Seligkeit in dem ihr neuen Befehle-
ertheilen und hielt die vielen ihr untergebenen Sklavinnen,
denen ſie mit vornehmer Herablaſſung begegnete, in fort-
währender Bewegung.
Sappho folgte der Alten, nachdem ſie ihren runden
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/217>, abgerufen am 19.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.