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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864.

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storbenen zurückgestrahlt. Die ganze Ausstattung des
Zimmers, von dem zierlichen, auf Löwenfüßen stehenden
Ruhebette an, bis zu den auf dem Putztische liegenden
zierlich geschnitzten Kämmen 141) von Elfenbein bewiesen,
daß die frühere Bewohnerin dieser Räume an der äußern
Zier des Lebens mit ganzem Herzen gehangen habe. Das
goldne Sistrum *) und die feingearbeitete Nabla, deren
Saiten längst zersprungen waren, deuteten auf den musi-
kalischen Sinn der Königstochter 142), während die in der
Ecke liegende zerbrochene Spindel von Elfenbein **) und
einige angefangene Netze von Glasperlen 143) bewiesen,
daß sie weiblichen Arbeiten nicht abhold gewesen sei.

Rhodopis musterte all' diese Gegenstände mit weh-
müthigem Wohlgefallen und malte sich, an dieselben an-
knüpfend, ein von der Wahrheit nur wenig abweichendes
Lebensbild. Endlich nahte sie sich, von neugieriger Theil-
nahme getrieben, einer großen, bemalten Kiste und öffnete
den leichten Deckel derselben. Da fand sie zuerst einige
getrocknete Blumen, dann einen Ball, der von geschickter
Hand mit längst verwelkten Blättern und Rosen umwickelt
war, hierauf eine Menge von Amuleten in verschiedener
Gestalt, dieses die Göttin der Wahrheit darstellend, jenes
ein mit Zaubersprüchen beschriebenes Papyroszettelchen in
goldner Kapsel verbergend. Dann fielen ihre Augen auf
einige mit griechischen Buchstaben geschriebene Briefe. Sie
nahm dieselben und durchlas sie bei'm Schimmer der Lampe.
Nitetis hatte sie aus Persien an ihre vermeinte Schwester,
von deren Krankheit sie nichts wußte, geschickt. Als Rho-
dopis diese Briefe aus der Hand legte, schwammen ihre

*) III. Theil Anmerk. 74.
**) III. Theil Anmerk. 69.

ſtorbenen zurückgeſtrahlt. Die ganze Ausſtattung des
Zimmers, von dem zierlichen, auf Löwenfüßen ſtehenden
Ruhebette an, bis zu den auf dem Putztiſche liegenden
zierlich geſchnitzten Kämmen 141) von Elfenbein bewieſen,
daß die frühere Bewohnerin dieſer Räume an der äußern
Zier des Lebens mit ganzem Herzen gehangen habe. Das
goldne Siſtrum *) und die feingearbeitete Nabla, deren
Saiten längſt zerſprungen waren, deuteten auf den muſi-
kaliſchen Sinn der Königstochter 142), während die in der
Ecke liegende zerbrochene Spindel von Elfenbein **) und
einige angefangene Netze von Glasperlen 143) bewieſen,
daß ſie weiblichen Arbeiten nicht abhold geweſen ſei.

Rhodopis muſterte all’ dieſe Gegenſtände mit weh-
müthigem Wohlgefallen und malte ſich, an dieſelben an-
knüpfend, ein von der Wahrheit nur wenig abweichendes
Lebensbild. Endlich nahte ſie ſich, von neugieriger Theil-
nahme getrieben, einer großen, bemalten Kiſte und öffnete
den leichten Deckel derſelben. Da fand ſie zuerſt einige
getrocknete Blumen, dann einen Ball, der von geſchickter
Hand mit längſt verwelkten Blättern und Roſen umwickelt
war, hierauf eine Menge von Amuleten in verſchiedener
Geſtalt, dieſes die Göttin der Wahrheit darſtellend, jenes
ein mit Zauberſprüchen beſchriebenes Papyroszettelchen in
goldner Kapſel verbergend. Dann fielen ihre Augen auf
einige mit griechiſchen Buchſtaben geſchriebene Briefe. Sie
nahm dieſelben und durchlas ſie bei’m Schimmer der Lampe.
Nitetis hatte ſie aus Perſien an ihre vermeinte Schweſter,
von deren Krankheit ſie nichts wußte, geſchickt. Als Rho-
dopis dieſe Briefe aus der Hand legte, ſchwammen ihre

*) III. Theil Anmerk. 74.
**) III. Theil Anmerk. 69.
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[205/0215] ſtorbenen zurückgeſtrahlt. Die ganze Ausſtattung des Zimmers, von dem zierlichen, auf Löwenfüßen ſtehenden Ruhebette an, bis zu den auf dem Putztiſche liegenden zierlich geſchnitzten Kämmen 141) von Elfenbein bewieſen, daß die frühere Bewohnerin dieſer Räume an der äußern Zier des Lebens mit ganzem Herzen gehangen habe. Das goldne Siſtrum *) und die feingearbeitete Nabla, deren Saiten längſt zerſprungen waren, deuteten auf den muſi- kaliſchen Sinn der Königstochter 142), während die in der Ecke liegende zerbrochene Spindel von Elfenbein **) und einige angefangene Netze von Glasperlen 143) bewieſen, daß ſie weiblichen Arbeiten nicht abhold geweſen ſei. Rhodopis muſterte all’ dieſe Gegenſtände mit weh- müthigem Wohlgefallen und malte ſich, an dieſelben an- knüpfend, ein von der Wahrheit nur wenig abweichendes Lebensbild. Endlich nahte ſie ſich, von neugieriger Theil- nahme getrieben, einer großen, bemalten Kiſte und öffnete den leichten Deckel derſelben. Da fand ſie zuerſt einige getrocknete Blumen, dann einen Ball, der von geſchickter Hand mit längſt verwelkten Blättern und Roſen umwickelt war, hierauf eine Menge von Amuleten in verſchiedener Geſtalt, dieſes die Göttin der Wahrheit darſtellend, jenes ein mit Zauberſprüchen beſchriebenes Papyroszettelchen in goldner Kapſel verbergend. Dann fielen ihre Augen auf einige mit griechiſchen Buchſtaben geſchriebene Briefe. Sie nahm dieſelben und durchlas ſie bei’m Schimmer der Lampe. Nitetis hatte ſie aus Perſien an ihre vermeinte Schweſter, von deren Krankheit ſie nichts wußte, geſchickt. Als Rho- dopis dieſe Briefe aus der Hand legte, ſchwammen ihre *) III. Theil Anmerk. 74. **) III. Theil Anmerk. 69.

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/215>, abgerufen am 12.05.2024.