Geh' hin und nimm Dir, nach vollbrachter Arbeit, soviel Du willst, aus der Schatzkammer! Sei auch vorsichtig, denn der Knabe hat einen starken Arm und versteht die Kunst, sich Freunde zu gewinnen. Bedenke, wenn er Dich mit glatten Worten versuchen wird, daß Dein Weib und Deine Kinder in meiner Gewalt sind!"
Bei diesen Worten leerte er einen neuen Becher voll ungemischten Weins, taumelte unsicheren Schrittes durch das Thor des Gemaches und rief mit lallender Stimme: "Wehe Dir und den Deinen, wenn der Bube ent- kommt!"
Als er längst den Saal verlassen hatte, stand Pre- xaspes noch immer regungslos auf dem alten Platze. Der ehrgeizige, aber nicht unedle Despotendiener war nieder- geschmettert von der Furchtbarkeit der ihm zuertheilten Aufgabe. Er wußte, daß ihm und den Seinen, wenn er sich dieselbe zu vollziehen weigern würde, Tod oder Un- gnade drohe; doch, er liebte Bartja, und sein ganzes Wesen empörte sich bei dem bloßen Gedanken, zum gemei- nen Mörder werden zu sollen. Ein furchtbarer Kampf entspann sich in seinem Jnnern, der in ihm forttobte, als er den Palast schon längst verlassen hatte. Auf dem Wege zu seinem Hause begegnete er Krösus und Darius. Er versteckte sich vor denselben hinter das vorspringende Thor eines großen ägyptischen Hauses, denn er meinte, dieselben müßten ihm ansehen, daß er den Pfad des Verbrechens wandle. Als die Beiden an ihm vorübergingen, vernahm er, wie Krösus sagte: "Jch habe dem trefflichen Jüngling seine unzeitige Kraftprobe bitter vorgeworfen, und wir müssen in der That den Göttern danken, daß sich Kam- byses nicht in einem Anfall von Jähzorn an ihm ver- griffen hat. Jetzt ist er meinem Rathe gefolgt und mit
Geh’ hin und nimm Dir, nach vollbrachter Arbeit, ſoviel Du willſt, aus der Schatzkammer! Sei auch vorſichtig, denn der Knabe hat einen ſtarken Arm und verſteht die Kunſt, ſich Freunde zu gewinnen. Bedenke, wenn er Dich mit glatten Worten verſuchen wird, daß Dein Weib und Deine Kinder in meiner Gewalt ſind!“
Bei dieſen Worten leerte er einen neuen Becher voll ungemiſchten Weins, taumelte unſicheren Schrittes durch das Thor des Gemaches und rief mit lallender Stimme: „Wehe Dir und den Deinen, wenn der Bube ent- kommt!“
Als er längſt den Saal verlaſſen hatte, ſtand Pre- xaspes noch immer regungslos auf dem alten Platze. Der ehrgeizige, aber nicht unedle Deſpotendiener war nieder- geſchmettert von der Furchtbarkeit der ihm zuertheilten Aufgabe. Er wußte, daß ihm und den Seinen, wenn er ſich dieſelbe zu vollziehen weigern würde, Tod oder Un- gnade drohe; doch, er liebte Bartja, und ſein ganzes Weſen empörte ſich bei dem bloßen Gedanken, zum gemei- nen Mörder werden zu ſollen. Ein furchtbarer Kampf entſpann ſich in ſeinem Jnnern, der in ihm forttobte, als er den Palaſt ſchon längſt verlaſſen hatte. Auf dem Wege zu ſeinem Hauſe begegnete er Kröſus und Darius. Er verſteckte ſich vor denſelben hinter das vorſpringende Thor eines großen ägyptiſchen Hauſes, denn er meinte, dieſelben müßten ihm anſehen, daß er den Pfad des Verbrechens wandle. Als die Beiden an ihm vorübergingen, vernahm er, wie Kröſus ſagte: „Jch habe dem trefflichen Jüngling ſeine unzeitige Kraftprobe bitter vorgeworfen, und wir müſſen in der That den Göttern danken, daß ſich Kam- byſes nicht in einem Anfall von Jähzorn an ihm ver- griffen hat. Jetzt iſt er meinem Rathe gefolgt und mit
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Geh’ hin und nimm Dir, nach vollbrachter Arbeit, ſoviel
Du willſt, aus der Schatzkammer! Sei auch vorſichtig,
denn der Knabe hat einen ſtarken Arm und verſteht die
Kunſt, ſich Freunde zu gewinnen. Bedenke, wenn er Dich
mit glatten Worten verſuchen wird, daß Dein Weib und
Deine Kinder in meiner Gewalt ſind!“
Bei dieſen Worten leerte er einen neuen Becher voll
ungemiſchten Weins, taumelte unſicheren Schrittes durch
das Thor des Gemaches und rief mit lallender Stimme:
„Wehe Dir und den Deinen, wenn der Bube ent-
kommt!“
Als er längſt den Saal verlaſſen hatte, ſtand Pre-
xaspes noch immer regungslos auf dem alten Platze. Der
ehrgeizige, aber nicht unedle Deſpotendiener war nieder-
geſchmettert von der Furchtbarkeit der ihm zuertheilten
Aufgabe. Er wußte, daß ihm und den Seinen, wenn er
ſich dieſelbe zu vollziehen weigern würde, Tod oder Un-
gnade drohe; doch, er liebte Bartja, und ſein ganzes
Weſen empörte ſich bei dem bloßen Gedanken, zum gemei-
nen Mörder werden zu ſollen. Ein furchtbarer Kampf
entſpann ſich in ſeinem Jnnern, der in ihm forttobte, als
er den Palaſt ſchon längſt verlaſſen hatte. Auf dem Wege
zu ſeinem Hauſe begegnete er Kröſus und Darius. Er
verſteckte ſich vor denſelben hinter das vorſpringende Thor
eines großen ägyptiſchen Hauſes, denn er meinte, dieſelben
müßten ihm anſehen, daß er den Pfad des Verbrechens
wandle. Als die Beiden an ihm vorübergingen, vernahm
er, wie Kröſus ſagte: „Jch habe dem trefflichen Jüngling
ſeine unzeitige Kraftprobe bitter vorgeworfen, und wir
müſſen in der That den Göttern danken, daß ſich Kam-
byſes nicht in einem Anfall von Jähzorn an ihm ver-
griffen hat. Jetzt iſt er meinem Rathe gefolgt und mit
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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/211>, abgerufen am 11.05.2024.
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