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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864.

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seiner Mutter, daß ich darüber Zeit und Stunde vergaß.
Spottet nur über meine Narrheit, kann ich mich doch selbst
kaum freisprechen! Sieh' nur, das kleine Ding hat mir
wahrhaftig den Stern von der Halskette gerissen! Nun,
ich denke, lieber Bruder, daß Du mir einen neuen ver-
ehren wirst, wenn mein Pfeil den Mittelpunkt des Zieles
durchbohrt. Darf ich gleich mit dem Schießen beginnen,
oder willst Du, mein König, den Anfang machen?"

"Gib ihm den Bogen, Prexaspes!" erwiederte Kam-
byses, den Jüngling keines Blickes würdigend.

Als derselbe das Geschoß in Empfang genommen
hatte und im Begriff war, Bogen und Sehne sorglich zu
prüfen, lachte der König spöttisch auf und rief: "Jch
glaube, bei'm Mithra, daß Du dieß Geschoß, wie die
Herzen der Menschen, mit süßen Blicken Dir gefällig zu
machen versuchst! Gib nur Prexaspes den Bogen zurück!
Es spielt sich leichter mit schönen Weibern und lachenden
Kindern, als mit dieser Waffe, welche der Kraft ächter
Männer spottet!"

Bartja erröthete bei diesen, im bittersten Ton ge-
sprochenen Worten, vor Zorn und Entrüstung, nahm den
riesigen Pfeil, der vor ihm am Boden lag, schweigend in
die Rechte, stellte sich der Scheibe gegenüber, raffte all'
seine Kräfte zusammen, zog mit beinahe übermenschlicher
Anstrengung die Sehne an, spannte den Bogen und ent-
sandte den gefiederten Pfeil, dessen eiserne Spitze tief in
die Mitte der Scheibe drang, während der hölzerne Schaft
desselben krachend zersplitterte 136).

Die meisten Achämeniden brachen bei diesem wunder-
baren Kraftstück in lauten Jubel aus, während die
nächsten Freunde des Siegers erbleichten und schweigend,
bald den vor Wuth zitternden König, bald den vor

ſeiner Mutter, daß ich darüber Zeit und Stunde vergaß.
Spottet nur über meine Narrheit, kann ich mich doch ſelbſt
kaum freiſprechen! Sieh’ nur, das kleine Ding hat mir
wahrhaftig den Stern von der Halskette geriſſen! Nun,
ich denke, lieber Bruder, daß Du mir einen neuen ver-
ehren wirſt, wenn mein Pfeil den Mittelpunkt des Zieles
durchbohrt. Darf ich gleich mit dem Schießen beginnen,
oder willſt Du, mein König, den Anfang machen?“

„Gib ihm den Bogen, Prexaspes!“ erwiederte Kam-
byſes, den Jüngling keines Blickes würdigend.

Als derſelbe das Geſchoß in Empfang genommen
hatte und im Begriff war, Bogen und Sehne ſorglich zu
prüfen, lachte der König ſpöttiſch auf und rief: „Jch
glaube, bei’m Mithra, daß Du dieß Geſchoß, wie die
Herzen der Menſchen, mit ſüßen Blicken Dir gefällig zu
machen verſuchſt! Gib nur Prexaspes den Bogen zurück!
Es ſpielt ſich leichter mit ſchönen Weibern und lachenden
Kindern, als mit dieſer Waffe, welche der Kraft ächter
Männer ſpottet!“

Bartja erröthete bei dieſen, im bitterſten Ton ge-
ſprochenen Worten, vor Zorn und Entrüſtung, nahm den
rieſigen Pfeil, der vor ihm am Boden lag, ſchweigend in
die Rechte, ſtellte ſich der Scheibe gegenüber, raffte all’
ſeine Kräfte zuſammen, zog mit beinahe übermenſchlicher
Anſtrengung die Sehne an, ſpannte den Bogen und ent-
ſandte den gefiederten Pfeil, deſſen eiſerne Spitze tief in
die Mitte der Scheibe drang, während der hölzerne Schaft
deſſelben krachend zerſplitterte 136).

Die meiſten Achämeniden brachen bei dieſem wunder-
baren Kraftſtück in lauten Jubel aus, während die
nächſten Freunde des Siegers erbleichten und ſchweigend,
bald den vor Wuth zitternden König, bald den vor

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[199/0209] ſeiner Mutter, daß ich darüber Zeit und Stunde vergaß. Spottet nur über meine Narrheit, kann ich mich doch ſelbſt kaum freiſprechen! Sieh’ nur, das kleine Ding hat mir wahrhaftig den Stern von der Halskette geriſſen! Nun, ich denke, lieber Bruder, daß Du mir einen neuen ver- ehren wirſt, wenn mein Pfeil den Mittelpunkt des Zieles durchbohrt. Darf ich gleich mit dem Schießen beginnen, oder willſt Du, mein König, den Anfang machen?“ „Gib ihm den Bogen, Prexaspes!“ erwiederte Kam- byſes, den Jüngling keines Blickes würdigend. Als derſelbe das Geſchoß in Empfang genommen hatte und im Begriff war, Bogen und Sehne ſorglich zu prüfen, lachte der König ſpöttiſch auf und rief: „Jch glaube, bei’m Mithra, daß Du dieß Geſchoß, wie die Herzen der Menſchen, mit ſüßen Blicken Dir gefällig zu machen verſuchſt! Gib nur Prexaspes den Bogen zurück! Es ſpielt ſich leichter mit ſchönen Weibern und lachenden Kindern, als mit dieſer Waffe, welche der Kraft ächter Männer ſpottet!“ Bartja erröthete bei dieſen, im bitterſten Ton ge- ſprochenen Worten, vor Zorn und Entrüſtung, nahm den rieſigen Pfeil, der vor ihm am Boden lag, ſchweigend in die Rechte, ſtellte ſich der Scheibe gegenüber, raffte all’ ſeine Kräfte zuſammen, zog mit beinahe übermenſchlicher Anſtrengung die Sehne an, ſpannte den Bogen und ent- ſandte den gefiederten Pfeil, deſſen eiſerne Spitze tief in die Mitte der Scheibe drang, während der hölzerne Schaft deſſelben krachend zerſplitterte 136). Die meiſten Achämeniden brachen bei dieſem wunder- baren Kraftſtück in lauten Jubel aus, während die nächſten Freunde des Siegers erbleichten und ſchweigend, bald den vor Wuth zitternden König, bald den vor

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/209>, abgerufen am 11.05.2024.