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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864.

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,Augen' fällt mir aber der Augenarzt Nebenchari ein, und
mein Gedächtniß ist so schwach geworden, daß ich Dich,
ehe ich es vergesse, nach demselben fragen muß. -- Jch
höre nichts mehr von dem Künstler, dem doch die edle
Kassandane so viel verdankt!"

"Der arme Mann!" rief Darius. "Schon auf dem
Zuge nach Pelusium mied er allen Umgang und ver-
schmähte es sogar, mit seinem Landsmanne Onuphis zu
reden. Nur sein alter, hagerer Diener durfte ihn bedienen
und mit ihm verkehren. Nach der Schlacht veränderte sich
aber sein ganzes Wesen. Strahlenden Antlitzes trat er
vor den König, um denselben zu ersuchen, Megabyzus nach
Sais begleiten und sich zwei Bürger dieser Stadt als
Sklaven auswählen zu dürfen. Kambyses glaubte dem
Wohlthäter seiner Mutter keine Bitte abschlagen zu kön-
nen und gab ihm die betreffende Vollmacht. Jn der Resi-
denz des Amasis angekommen, eilte er sofort in den Neith-
Tempel, ließ den Oberpriester, sowie einen Augenarzt
Namens Petammon verhaften und erklärte denselben, sie
würden von nun an, zur Strafe für die Verbrennung ge-
wisser Schriften, zeitlebens einem Perser, an den er sie
verkaufen wolle, in der Fremde die niedrigsten Sklaven-
dienste leisten müssen. Jch war Zeuge dieses Auftritts
und versichere euch, daß ich vor dem Aegypter erbebte,
als er seinen Feinden diese Erklärung machte. Neithoteph
hörte ihn jedoch ruhig an und sagte, als Nebenchari
schwieg: ,Wenn Du, thörichter Sohn, um Deiner ver-
brannten Schriften willen, Dein Vaterland verrathen
hast, so handeltest Du eben so ungerecht, als unweise.
Jch bewahrte Deine kostbaren Werke sorgsam auf,
legte sie in unserem Tempel nieder und schickte eine
vollständige Abschrift in die Büchersammlung nach The-

‚Augen‘ fällt mir aber der Augenarzt Nebenchari ein, und
mein Gedächtniß iſt ſo ſchwach geworden, daß ich Dich,
ehe ich es vergeſſe, nach demſelben fragen muß. — Jch
höre nichts mehr von dem Künſtler, dem doch die edle
Kaſſandane ſo viel verdankt!“

„Der arme Mann!“ rief Darius. „Schon auf dem
Zuge nach Peluſium mied er allen Umgang und ver-
ſchmähte es ſogar, mit ſeinem Landsmanne Onuphis zu
reden. Nur ſein alter, hagerer Diener durfte ihn bedienen
und mit ihm verkehren. Nach der Schlacht veränderte ſich
aber ſein ganzes Weſen. Strahlenden Antlitzes trat er
vor den König, um denſelben zu erſuchen, Megabyzus nach
Sais begleiten und ſich zwei Bürger dieſer Stadt als
Sklaven auswählen zu dürfen. Kambyſes glaubte dem
Wohlthäter ſeiner Mutter keine Bitte abſchlagen zu kön-
nen und gab ihm die betreffende Vollmacht. Jn der Reſi-
denz des Amaſis angekommen, eilte er ſofort in den Neith-
Tempel, ließ den Oberprieſter, ſowie einen Augenarzt
Namens Petammon verhaften und erklärte denſelben, ſie
würden von nun an, zur Strafe für die Verbrennung ge-
wiſſer Schriften, zeitlebens einem Perſer, an den er ſie
verkaufen wolle, in der Fremde die niedrigſten Sklaven-
dienſte leiſten müſſen. Jch war Zeuge dieſes Auftritts
und verſichere euch, daß ich vor dem Aegypter erbebte,
als er ſeinen Feinden dieſe Erklärung machte. Neithoteph
hörte ihn jedoch ruhig an und ſagte, als Nebenchari
ſchwieg: ‚Wenn Du, thörichter Sohn, um Deiner ver-
brannten Schriften willen, Dein Vaterland verrathen
haſt, ſo handelteſt Du eben ſo ungerecht, als unweiſe.
Jch bewahrte Deine koſtbaren Werke ſorgſam auf,
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[190/0200] ‚Augen‘ fällt mir aber der Augenarzt Nebenchari ein, und mein Gedächtniß iſt ſo ſchwach geworden, daß ich Dich, ehe ich es vergeſſe, nach demſelben fragen muß. — Jch höre nichts mehr von dem Künſtler, dem doch die edle Kaſſandane ſo viel verdankt!“ „Der arme Mann!“ rief Darius. „Schon auf dem Zuge nach Peluſium mied er allen Umgang und ver- ſchmähte es ſogar, mit ſeinem Landsmanne Onuphis zu reden. Nur ſein alter, hagerer Diener durfte ihn bedienen und mit ihm verkehren. Nach der Schlacht veränderte ſich aber ſein ganzes Weſen. Strahlenden Antlitzes trat er vor den König, um denſelben zu erſuchen, Megabyzus nach Sais begleiten und ſich zwei Bürger dieſer Stadt als Sklaven auswählen zu dürfen. Kambyſes glaubte dem Wohlthäter ſeiner Mutter keine Bitte abſchlagen zu kön- nen und gab ihm die betreffende Vollmacht. Jn der Reſi- denz des Amaſis angekommen, eilte er ſofort in den Neith- Tempel, ließ den Oberprieſter, ſowie einen Augenarzt Namens Petammon verhaften und erklärte denſelben, ſie würden von nun an, zur Strafe für die Verbrennung ge- wiſſer Schriften, zeitlebens einem Perſer, an den er ſie verkaufen wolle, in der Fremde die niedrigſten Sklaven- dienſte leiſten müſſen. Jch war Zeuge dieſes Auftritts und verſichere euch, daß ich vor dem Aegypter erbebte, als er ſeinen Feinden dieſe Erklärung machte. Neithoteph hörte ihn jedoch ruhig an und ſagte, als Nebenchari ſchwieg: ‚Wenn Du, thörichter Sohn, um Deiner ver- brannten Schriften willen, Dein Vaterland verrathen haſt, ſo handelteſt Du eben ſo ungerecht, als unweiſe. Jch bewahrte Deine koſtbaren Werke ſorgſam auf, legte ſie in unſerem Tempel nieder und ſchickte eine vollſtändige Abſchrift in die Bücherſammlung nach The-

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/200>, abgerufen am 10.05.2024.