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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864.

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Onuphis jenem Schauspiele unterlege? -- Jsis scheint mir
die gütige Erde zu sein, Osiris die Feuchtigkeit oder der
Nil, welche dieselbe fruchtbar machen, Horus der junge
Lenz, Typhon die Alles versengende Dürre. Letztere ver-
nichtet den Osiris oder die Feuchtigkeit. Die gütige Erde,
der Zeugungskraft beraubt, sucht wehklagend den geliebten
Gatten, den sie im kühleren Norden, wohin der Nil sich
ergießt, wiederfindet. Endlich ist Horus, die junge Trieb-
kraft der Natur, erwachsen und besiegt Typhon oder die
Dürre. Osiris war, wie die Fruchtbarkeit, nur scheintodt,
entsteigt der Unterwelt und beherrscht mit seiner Gat-
tin, der gabenreichen Erde, von Neuem das gesegnete
Nilthal."

"Und weil sich der erschlagene Gott in der Unter-
welt löblich aufführte," -- lachte Zopyros, "so empfing
er am Ende dieser wunderlichen Geschichte die Huldigung
aller Bewohner des Hamestegan Duzakh und Gorothman 131),
oder wie ich diese Wohnungen des ganzen ägyptischen
Seelenheeres nennen soll!"

"Sie heißt Amenthes!" sagte Darius, auf den heite-
ren Ton des Zopyros eingehend.

"Danke schön," antwortete Dieser; "ich will mir's für
den Fall, daß ich in Aegypten sterben sollte, -- merken.
Nächstesmal muß ich übrigens diesem Schauspiele um jeden
Preis beiwohnen."

"Jch theile Deinen Wunsch," sagte Rhodopis, "denn
das Alter macht neugierig!"

"Du bleibst ewig jung!" unterbrach Darius die
Greisin. "Deine Rede ist so schön geblieben, wie Dein
Angesicht, und Dein Geist so hell, wie Deine Augen!"

"Verzeih' mir," rief Rhodopis, als habe sie diese
Schmeichelworte überhört, "wenn ich Dich unterbreche; bei

Onuphis jenem Schauſpiele unterlege? — Jſis ſcheint mir
die gütige Erde zu ſein, Oſiris die Feuchtigkeit oder der
Nil, welche dieſelbe fruchtbar machen, Horus der junge
Lenz, Typhon die Alles verſengende Dürre. Letztere ver-
nichtet den Oſiris oder die Feuchtigkeit. Die gütige Erde,
der Zeugungskraft beraubt, ſucht wehklagend den geliebten
Gatten, den ſie im kühleren Norden, wohin der Nil ſich
ergießt, wiederfindet. Endlich iſt Horus, die junge Trieb-
kraft der Natur, erwachſen und beſiegt Typhon oder die
Dürre. Oſiris war, wie die Fruchtbarkeit, nur ſcheintodt,
entſteigt der Unterwelt und beherrſcht mit ſeiner Gat-
tin, der gabenreichen Erde, von Neuem das geſegnete
Nilthal.“

„Und weil ſich der erſchlagene Gott in der Unter-
welt löblich aufführte,“ — lachte Zopyros, „ſo empfing
er am Ende dieſer wunderlichen Geſchichte die Huldigung
aller Bewohner des Hameſtegan Duzakh und Gorothman 131),
oder wie ich dieſe Wohnungen des ganzen ägyptiſchen
Seelenheeres nennen ſoll!“

„Sie heißt Amenthes!“ ſagte Darius, auf den heite-
ren Ton des Zopyros eingehend.

„Danke ſchön,“ antwortete Dieſer; „ich will mir’s für
den Fall, daß ich in Aegypten ſterben ſollte, — merken.
Nächſtesmal muß ich übrigens dieſem Schauſpiele um jeden
Preis beiwohnen.“

„Jch theile Deinen Wunſch,“ ſagte Rhodopis, „denn
das Alter macht neugierig!“

„Du bleibſt ewig jung!“ unterbrach Darius die
Greiſin. „Deine Rede iſt ſo ſchön geblieben, wie Dein
Angeſicht, und Dein Geiſt ſo hell, wie Deine Augen!“

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[189/0199] Onuphis jenem Schauſpiele unterlege? — Jſis ſcheint mir die gütige Erde zu ſein, Oſiris die Feuchtigkeit oder der Nil, welche dieſelbe fruchtbar machen, Horus der junge Lenz, Typhon die Alles verſengende Dürre. Letztere ver- nichtet den Oſiris oder die Feuchtigkeit. Die gütige Erde, der Zeugungskraft beraubt, ſucht wehklagend den geliebten Gatten, den ſie im kühleren Norden, wohin der Nil ſich ergießt, wiederfindet. Endlich iſt Horus, die junge Trieb- kraft der Natur, erwachſen und beſiegt Typhon oder die Dürre. Oſiris war, wie die Fruchtbarkeit, nur ſcheintodt, entſteigt der Unterwelt und beherrſcht mit ſeiner Gat- tin, der gabenreichen Erde, von Neuem das geſegnete Nilthal.“ „Und weil ſich der erſchlagene Gott in der Unter- welt löblich aufführte,“ — lachte Zopyros, „ſo empfing er am Ende dieſer wunderlichen Geſchichte die Huldigung aller Bewohner des Hameſtegan Duzakh und Gorothman 131), oder wie ich dieſe Wohnungen des ganzen ägyptiſchen Seelenheeres nennen ſoll!“ „Sie heißt Amenthes!“ ſagte Darius, auf den heite- ren Ton des Zopyros eingehend. „Danke ſchön,“ antwortete Dieſer; „ich will mir’s für den Fall, daß ich in Aegypten ſterben ſollte, — merken. Nächſtesmal muß ich übrigens dieſem Schauſpiele um jeden Preis beiwohnen.“ „Jch theile Deinen Wunſch,“ ſagte Rhodopis, „denn das Alter macht neugierig!“ „Du bleibſt ewig jung!“ unterbrach Darius die Greiſin. „Deine Rede iſt ſo ſchön geblieben, wie Dein Angeſicht, und Dein Geiſt ſo hell, wie Deine Augen!“ „Verzeih’ mir,“ rief Rhodopis, als habe ſie dieſe Schmeichelworte überhört, „wenn ich Dich unterbreche; bei

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/199>, abgerufen am 10.05.2024.