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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864.

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schwarzen Lande gleich goldnen Kugeln umhergestreut liegen?
Würde der Landmann den Samen allzu freigebig versenkt
haben, so wäre keine derselben gereift! Ueppige Ranken
und Blätter hätten die Früchte erstickt und die Ernte ver-
eitelt. Kampf und Arbeit ist der Beruf des Menschen;
aber auch hierin muß er, wie in allen Dingen, Maß zu
halten verstehen, wenn sein Streben einen gedeihlichen
Fortgang haben soll. Die rechten Grenzen nirgend zu
überschreiten, ist die wahre Kunst des Weisen. Amasis
wird bis an's Ende der Tage ein großer Herrscher ge-
nannt werden müssen, weil er, belehrt von Pythagoras,
diese Wissenschaft aus dem Grunde verstand. Aegypten
ist niemals reicher, niemals sorgloser gewesen, als unter
seinem Szepter, der aus einem vom Bürgerkriege zerwühl-
ten Staate die am besten geordnete Monarchie der Welt
zu schaffen verstand. -- Nur Eines gebrach ihm, und
dies Eine hat ihn, oder was dasselbe sagen will, sein
Haus und seine Schöpfungen, vernichtet. Jhm mangelte
das, was euch Perser vor allen anderen Völkern auszeich-
net, -- die schönste der Tugenden, die Wahrhaftigkeit. --
Durch eine Lüge suchte er seinen Thron zu sichern, und
dieselbe Lüge hat sein Haus gestürzt und Knechtschaft über
sein Volk gebracht! -- Die höchste Weisheit ist nutzlos,
wenn sie nicht mit Wahrhaftigkeit verbunden ist!"

"Könnte Dich doch der König hören!" rief Krösus.
"Zwar ist demselben der Fehler des Amasis so fremd als
mir und Dir; dafür geht ihm aber die Mäßigung, jene
von Dir so hochgeschätzte Tugend vollständig ab. Statt
mit seiner großen Eroberung zufrieden zu sein und auf
die Wohlfahrt seiner Unterthanen zu sinnen, schweifen seine
Wünsche in die Ferne. Die ganze Welt möchte er be-
zwingen, während er sich selbst seit der Verbannung des

ſchwarzen Lande gleich goldnen Kugeln umhergeſtreut liegen?
Würde der Landmann den Samen allzu freigebig verſenkt
haben, ſo wäre keine derſelben gereift! Ueppige Ranken
und Blätter hätten die Früchte erſtickt und die Ernte ver-
eitelt. Kampf und Arbeit iſt der Beruf des Menſchen;
aber auch hierin muß er, wie in allen Dingen, Maß zu
halten verſtehen, wenn ſein Streben einen gedeihlichen
Fortgang haben ſoll. Die rechten Grenzen nirgend zu
überſchreiten, iſt die wahre Kunſt des Weiſen. Amaſis
wird bis an’s Ende der Tage ein großer Herrſcher ge-
nannt werden müſſen, weil er, belehrt von Pythagoras,
dieſe Wiſſenſchaft aus dem Grunde verſtand. Aegypten
iſt niemals reicher, niemals ſorgloſer geweſen, als unter
ſeinem Szepter, der aus einem vom Bürgerkriege zerwühl-
ten Staate die am beſten geordnete Monarchie der Welt
zu ſchaffen verſtand. — Nur Eines gebrach ihm, und
dies Eine hat ihn, oder was daſſelbe ſagen will, ſein
Haus und ſeine Schöpfungen, vernichtet. Jhm mangelte
das, was euch Perſer vor allen anderen Völkern auszeich-
net, — die ſchönſte der Tugenden, die Wahrhaftigkeit. —
Durch eine Lüge ſuchte er ſeinen Thron zu ſichern, und
dieſelbe Lüge hat ſein Haus geſtürzt und Knechtſchaft über
ſein Volk gebracht! — Die höchſte Weisheit iſt nutzlos,
wenn ſie nicht mit Wahrhaftigkeit verbunden iſt!“

„Könnte Dich doch der König hören!“ rief Kröſus.
„Zwar iſt demſelben der Fehler des Amaſis ſo fremd als
mir und Dir; dafür geht ihm aber die Mäßigung, jene
von Dir ſo hochgeſchätzte Tugend vollſtändig ab. Statt
mit ſeiner großen Eroberung zufrieden zu ſein und auf
die Wohlfahrt ſeiner Unterthanen zu ſinnen, ſchweifen ſeine
Wünſche in die Ferne. Die ganze Welt möchte er be-
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[172/0182] ſchwarzen Lande gleich goldnen Kugeln umhergeſtreut liegen? Würde der Landmann den Samen allzu freigebig verſenkt haben, ſo wäre keine derſelben gereift! Ueppige Ranken und Blätter hätten die Früchte erſtickt und die Ernte ver- eitelt. Kampf und Arbeit iſt der Beruf des Menſchen; aber auch hierin muß er, wie in allen Dingen, Maß zu halten verſtehen, wenn ſein Streben einen gedeihlichen Fortgang haben ſoll. Die rechten Grenzen nirgend zu überſchreiten, iſt die wahre Kunſt des Weiſen. Amaſis wird bis an’s Ende der Tage ein großer Herrſcher ge- nannt werden müſſen, weil er, belehrt von Pythagoras, dieſe Wiſſenſchaft aus dem Grunde verſtand. Aegypten iſt niemals reicher, niemals ſorgloſer geweſen, als unter ſeinem Szepter, der aus einem vom Bürgerkriege zerwühl- ten Staate die am beſten geordnete Monarchie der Welt zu ſchaffen verſtand. — Nur Eines gebrach ihm, und dies Eine hat ihn, oder was daſſelbe ſagen will, ſein Haus und ſeine Schöpfungen, vernichtet. Jhm mangelte das, was euch Perſer vor allen anderen Völkern auszeich- net, — die ſchönſte der Tugenden, die Wahrhaftigkeit. — Durch eine Lüge ſuchte er ſeinen Thron zu ſichern, und dieſelbe Lüge hat ſein Haus geſtürzt und Knechtſchaft über ſein Volk gebracht! — Die höchſte Weisheit iſt nutzlos, wenn ſie nicht mit Wahrhaftigkeit verbunden iſt!“ „Könnte Dich doch der König hören!“ rief Kröſus. „Zwar iſt demſelben der Fehler des Amaſis ſo fremd als mir und Dir; dafür geht ihm aber die Mäßigung, jene von Dir ſo hochgeſchätzte Tugend vollſtändig ab. Statt mit ſeiner großen Eroberung zufrieden zu ſein und auf die Wohlfahrt ſeiner Unterthanen zu ſinnen, ſchweifen ſeine Wünſche in die Ferne. Die ganze Welt möchte er be- zwingen, während er ſich ſelbſt ſeit der Verbannung des

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/182>, abgerufen am 10.05.2024.