von der Greisin aufgenommen und in das Geheimniß des Hauses eingeweiht worden.
Knakias, der alte Sklave, hatte zwar die Empfangs- fahne seit zwei Tagen mit in's Haus genommen, wußte aber, daß Kallias seiner Herrin stets willkommen sei und führte ihn deßwegen ebenso schleunig zu ihr, als er jeden andern Besucher zurückwies.
Der Athener wußte viel Neues zu erzählen und führte endlich, als sich Rhodopis in Geschäften entfernte, Sappho, seinen Liebling, in den Garten, um dort mit ihr scherzend und neckend nach dem sehnlich erwarteten Geliebten aus- zuschauen. Als derselbe immer nicht kommen wollte, und die Jungfrau besorgt zu werden begann, rief er die alte Melitta, die beinahe noch ängstlicher als ihre Herrin nach Naukratis blickte, und ersuchte dieselbe, das Saitenspiel, welches er mitgebracht hatte, in den Garten zu bringen.
Nachdem er die schöne, ziemlich große Laute von Gold und Elfenbein der Jungfrau überreicht hatte, sagte er lächelnd: "Dieses herrliche Jnstrument hat der Erfinder desselben, der göttliche Anakreon, auf meine Bestellung eigens für Dich machen lassen. Er nennt es Barbiton und entlockt demselben wunderbare Töne, die selbst noch im Schattenreiche fortklingen werden 82). Jch habe dem Dichter, der sein Leben wie ein großes, den Musen, Eros und Dionysos dargebrachtes Opfer verbringt 83), von Dir erzählt und ihm versprechen müssen, Dir folgendes Liedchen, das er für Dich ersonnen, als ein Geschenk von ihm zu überbringen. Höre:
"Tantalos Tochter ward gebannt Zu einem Fels' im Phrygerland, Und als ein Vogel flog vor Zeiten Pandion's Kind in alle Weiten;
von der Greiſin aufgenommen und in das Geheimniß des Hauſes eingeweiht worden.
Knakias, der alte Sklave, hatte zwar die Empfangs- fahne ſeit zwei Tagen mit in’s Haus genommen, wußte aber, daß Kallias ſeiner Herrin ſtets willkommen ſei und führte ihn deßwegen ebenſo ſchleunig zu ihr, als er jeden andern Beſucher zurückwies.
Der Athener wußte viel Neues zu erzählen und führte endlich, als ſich Rhodopis in Geſchäften entfernte, Sappho, ſeinen Liebling, in den Garten, um dort mit ihr ſcherzend und neckend nach dem ſehnlich erwarteten Geliebten aus- zuſchauen. Als derſelbe immer nicht kommen wollte, und die Jungfrau beſorgt zu werden begann, rief er die alte Melitta, die beinahe noch ängſtlicher als ihre Herrin nach Naukratis blickte, und erſuchte dieſelbe, das Saitenſpiel, welches er mitgebracht hatte, in den Garten zu bringen.
Nachdem er die ſchöne, ziemlich große Laute von Gold und Elfenbein der Jungfrau überreicht hatte, ſagte er lächelnd: „Dieſes herrliche Jnſtrument hat der Erfinder deſſelben, der göttliche Anakreon, auf meine Beſtellung eigens für Dich machen laſſen. Er nennt es Barbiton und entlockt demſelben wunderbare Töne, die ſelbſt noch im Schattenreiche fortklingen werden 82). Jch habe dem Dichter, der ſein Leben wie ein großes, den Muſen, Eros und Dionyſos dargebrachtes Opfer verbringt 83), von Dir erzählt und ihm verſprechen müſſen, Dir folgendes Liedchen, das er für Dich erſonnen, als ein Geſchenk von ihm zu überbringen. Höre:
„Tantalos Tochter ward gebannt Zu einem Fels’ im Phrygerland, Und als ein Vogel flog vor Zeiten Pandion’s Kind in alle Weiten;
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0138"n="128"/>
von der Greiſin aufgenommen und in das Geheimniß des<lb/>
Hauſes eingeweiht worden.</p><lb/><p>Knakias, der alte Sklave, hatte zwar die Empfangs-<lb/>
fahne ſeit zwei Tagen mit in’s Haus genommen, wußte<lb/>
aber, daß Kallias ſeiner Herrin ſtets willkommen ſei und<lb/>
führte ihn deßwegen ebenſo ſchleunig zu ihr, als er jeden<lb/>
andern Beſucher zurückwies.</p><lb/><p>Der Athener wußte viel Neues zu erzählen und führte<lb/>
endlich, als ſich Rhodopis in Geſchäften entfernte, Sappho,<lb/>ſeinen Liebling, in den Garten, um dort mit ihr ſcherzend<lb/>
und neckend nach dem ſehnlich erwarteten Geliebten aus-<lb/>
zuſchauen. Als derſelbe immer nicht kommen wollte, und<lb/>
die Jungfrau beſorgt zu werden begann, rief er die alte<lb/>
Melitta, die beinahe noch ängſtlicher als ihre Herrin nach<lb/>
Naukratis blickte, und erſuchte dieſelbe, das Saitenſpiel,<lb/>
welches er mitgebracht hatte, in den Garten zu bringen.</p><lb/><p>Nachdem er die ſchöne, ziemlich große Laute von Gold<lb/>
und Elfenbein der Jungfrau überreicht hatte, ſagte er<lb/>
lächelnd: „Dieſes herrliche Jnſtrument hat der Erfinder<lb/>
deſſelben, der göttliche Anakreon, auf meine Beſtellung<lb/>
eigens für Dich machen laſſen. Er nennt es Barbiton<lb/>
und entlockt demſelben wunderbare Töne, die ſelbſt noch<lb/>
im Schattenreiche fortklingen werden <hirendition="#sup">82</hi>). Jch habe dem<lb/>
Dichter, der ſein Leben wie ein großes, den Muſen, Eros<lb/>
und Dionyſos dargebrachtes Opfer verbringt <hirendition="#sup">83</hi>), von Dir<lb/>
erzählt und ihm verſprechen müſſen, Dir folgendes Liedchen,<lb/>
das er für Dich erſonnen, als ein Geſchenk von ihm zu<lb/>
überbringen. Höre:</p><lb/><lgtype="poem"><lgn="1"><l>„Tantalos Tochter ward gebannt</l><lb/><l>Zu einem Fels’ im Phrygerland,</l><lb/><l>Und als ein Vogel flog vor Zeiten</l><lb/><l>Pandion’s Kind in alle Weiten;</l></lg><lb/></lg></div></body></text></TEI>
[128/0138]
von der Greiſin aufgenommen und in das Geheimniß des
Hauſes eingeweiht worden.
Knakias, der alte Sklave, hatte zwar die Empfangs-
fahne ſeit zwei Tagen mit in’s Haus genommen, wußte
aber, daß Kallias ſeiner Herrin ſtets willkommen ſei und
führte ihn deßwegen ebenſo ſchleunig zu ihr, als er jeden
andern Beſucher zurückwies.
Der Athener wußte viel Neues zu erzählen und führte
endlich, als ſich Rhodopis in Geſchäften entfernte, Sappho,
ſeinen Liebling, in den Garten, um dort mit ihr ſcherzend
und neckend nach dem ſehnlich erwarteten Geliebten aus-
zuſchauen. Als derſelbe immer nicht kommen wollte, und
die Jungfrau beſorgt zu werden begann, rief er die alte
Melitta, die beinahe noch ängſtlicher als ihre Herrin nach
Naukratis blickte, und erſuchte dieſelbe, das Saitenſpiel,
welches er mitgebracht hatte, in den Garten zu bringen.
Nachdem er die ſchöne, ziemlich große Laute von Gold
und Elfenbein der Jungfrau überreicht hatte, ſagte er
lächelnd: „Dieſes herrliche Jnſtrument hat der Erfinder
deſſelben, der göttliche Anakreon, auf meine Beſtellung
eigens für Dich machen laſſen. Er nennt es Barbiton
und entlockt demſelben wunderbare Töne, die ſelbſt noch
im Schattenreiche fortklingen werden 82). Jch habe dem
Dichter, der ſein Leben wie ein großes, den Muſen, Eros
und Dionyſos dargebrachtes Opfer verbringt 83), von Dir
erzählt und ihm verſprechen müſſen, Dir folgendes Liedchen,
das er für Dich erſonnen, als ein Geſchenk von ihm zu
überbringen. Höre:
„Tantalos Tochter ward gebannt
Zu einem Fels’ im Phrygerland,
Und als ein Vogel flog vor Zeiten
Pandion’s Kind in alle Weiten;
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/138>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.