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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864.

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Aberglauben 3) eine glückliche Reise sicherten, und verließ
Babylon.

Jndessen schickte sich Nebenchari an, auf seinen Posten
am Sterbelager der Aegypterin zurückzukehren.

An der ehernen Pforte der Mauer, welche den Gar-
ten des Weiberhauses mit den Höfen des großen Palastes
verband, trat ihm ein weiß gekleideter Greis entgegen.
Kaum hatte er denselben erblickt, als er zurückbebte und
den hageren Alten wie eine Erscheinung anstarrte. Da
ihm derselbe jedoch vertraulich und freundlich zulächelte,
beschleunigte er seine Schritte, streckte ihm mit einer Herz-
lichkeit, welche ihm keiner seiner persischen Bekannten zu-
getraut haben würde, die Hand entgegen und rief in
ägyptischer Sprache: "Darf ich denn meinen Augen trauen?!
Alter Hib 3 a), Du hier in Persien? Eher hätte ich des
Himmels Einsturz, als die Freude, Dich hier am Euphrat
zu sehen, erwartet! Jetzt aber sage mir, in Osiris Namen,
was Dich alten Jbis bewegen konnte, Dein warmes Nest
am Nil zu verlassen und die weite Reise gen Osten zu
unternehmen?"

Der Alte, welcher sich während dieser Worte mit
herunterhängenden Armen tief verbeugt hatte, schaute jetzt
den Arzt mit unbeschreiblicher Glückseligkeit an, betastete
die Brust desselben mit zitternden Händen und rief, sein
rechtes Knie beugend und seine Arme gen Himmel erhe-
bend: "Habe Dank, große Jsis, die Du den Wandrer
beschirmst, daß Du mich meinen Herrn also finden läßt!
Ach, Kind, welche Angst hab' ich um Deinetwillen aus-
gestanden! Abgezehrt, wie einen verhungerten Gefangnen
aus den Steinbrüchen, verhärmt und elend dachte ich Dich
anzutreffen, und sehe Dich jetzt wieder in blühender Ge-
sundheit, schön und stattlich wie immer! Ach wenn der

Aberglauben 3) eine glückliche Reiſe ſicherten, und verließ
Babylon.

Jndeſſen ſchickte ſich Nebenchari an, auf ſeinen Poſten
am Sterbelager der Aegypterin zurückzukehren.

An der ehernen Pforte der Mauer, welche den Gar-
ten des Weiberhauſes mit den Höfen des großen Palaſtes
verband, trat ihm ein weiß gekleideter Greis entgegen.
Kaum hatte er denſelben erblickt, als er zurückbebte und
den hageren Alten wie eine Erſcheinung anſtarrte. Da
ihm derſelbe jedoch vertraulich und freundlich zulächelte,
beſchleunigte er ſeine Schritte, ſtreckte ihm mit einer Herz-
lichkeit, welche ihm keiner ſeiner perſiſchen Bekannten zu-
getraut haben würde, die Hand entgegen und rief in
ägyptiſcher Sprache: „Darf ich denn meinen Augen trauen?!
Alter Hib 3 a), Du hier in Perſien? Eher hätte ich des
Himmels Einſturz, als die Freude, Dich hier am Euphrat
zu ſehen, erwartet! Jetzt aber ſage mir, in Oſiris Namen,
was Dich alten Jbis bewegen konnte, Dein warmes Neſt
am Nil zu verlaſſen und die weite Reiſe gen Oſten zu
unternehmen?“

Der Alte, welcher ſich während dieſer Worte mit
herunterhängenden Armen tief verbeugt hatte, ſchaute jetzt
den Arzt mit unbeſchreiblicher Glückſeligkeit an, betaſtete
die Bruſt deſſelben mit zitternden Händen und rief, ſein
rechtes Knie beugend und ſeine Arme gen Himmel erhe-
bend: „Habe Dank, große Jſis, die Du den Wandrer
beſchirmſt, daß Du mich meinen Herrn alſo finden läßt!
Ach, Kind, welche Angſt hab’ ich um Deinetwillen aus-
geſtanden! Abgezehrt, wie einen verhungerten Gefangnen
aus den Steinbrüchen, verhärmt und elend dachte ich Dich
anzutreffen, und ſehe Dich jetzt wieder in blühender Ge-
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[5/0013] Aberglauben 3) eine glückliche Reiſe ſicherten, und verließ Babylon. Jndeſſen ſchickte ſich Nebenchari an, auf ſeinen Poſten am Sterbelager der Aegypterin zurückzukehren. An der ehernen Pforte der Mauer, welche den Gar- ten des Weiberhauſes mit den Höfen des großen Palaſtes verband, trat ihm ein weiß gekleideter Greis entgegen. Kaum hatte er denſelben erblickt, als er zurückbebte und den hageren Alten wie eine Erſcheinung anſtarrte. Da ihm derſelbe jedoch vertraulich und freundlich zulächelte, beſchleunigte er ſeine Schritte, ſtreckte ihm mit einer Herz- lichkeit, welche ihm keiner ſeiner perſiſchen Bekannten zu- getraut haben würde, die Hand entgegen und rief in ägyptiſcher Sprache: „Darf ich denn meinen Augen trauen?! Alter Hib 3 a), Du hier in Perſien? Eher hätte ich des Himmels Einſturz, als die Freude, Dich hier am Euphrat zu ſehen, erwartet! Jetzt aber ſage mir, in Oſiris Namen, was Dich alten Jbis bewegen konnte, Dein warmes Neſt am Nil zu verlaſſen und die weite Reiſe gen Oſten zu unternehmen?“ Der Alte, welcher ſich während dieſer Worte mit herunterhängenden Armen tief verbeugt hatte, ſchaute jetzt den Arzt mit unbeſchreiblicher Glückſeligkeit an, betaſtete die Bruſt deſſelben mit zitternden Händen und rief, ſein rechtes Knie beugend und ſeine Arme gen Himmel erhe- bend: „Habe Dank, große Jſis, die Du den Wandrer beſchirmſt, daß Du mich meinen Herrn alſo finden läßt! Ach, Kind, welche Angſt hab’ ich um Deinetwillen aus- geſtanden! Abgezehrt, wie einen verhungerten Gefangnen aus den Steinbrüchen, verhärmt und elend dachte ich Dich anzutreffen, und ſehe Dich jetzt wieder in blühender Ge- ſundheit, ſchön und ſtattlich wie immer! Ach wenn der

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/13>, abgerufen am 27.04.2024.