Kurze Zeit lang schaute Nitetis auf das im Staube liegende Mädchen; dann schüttelte sie, vor Scham erröthend, das schöne Haupt, beugte sich zu ihr hernieder, hob sie freundlich auf, küßte ihre Stirn, beschenkte sie mit einem goldnen Armbande und bat sie, als ihre Blicke auf das an der Erde liegende Schreiben fielen, sie allein zu lassen. -- Mandane verließ, mehr laufend als gehend, das Zimmer ihrer Herrin, um das glänzende Geschenk ihren Untergebenen, den niedreren Zofen und Sclavinnen, zu zeigen; Nitetis aber warf sich mit, von inniger Glückselig- keit überströmendem, Auge und Herzen in den vor dem Putztische stehenden Lehnsessel von Elfenbein, sprach ein kurzes Dankgebet zu ihrer ägyptischen Lieblingsgöttin, der schönen Hathor, küßte die goldne Kette, welche ihr Kam- byses nach seinem Sprung in's Wasser geschenkt hatte, drückte ihre Lippen auf den Brief aus der Heimat, rollte denselben beinah übermüthig vor inniger Herzensbefriedi- gung, indem sie sich tief in die purpurnen Kissen drückte, gemächlich auf, und murmelte vor sich hin: "Wie bin ich doch so froh und überglücklich! Armer Brief, deine Schrei- berin hat wohl nicht gedacht, daß dich Nitetis eine Vier- telstunde lang ungelesen auf der Erde liegen lassen würde!"
Freudig begann sie zu lesen; bald aber verwandelte sich ihr Lächeln in Ernst, und als sie am Schlusse des Briefes angelangt war, sank das Schreiben wiederum zur Erde nieder.
Jenes Auge, dessen stolzer Blick die Dienerin zum Niedersinken gezwungen hatte, schwamm in Thränen, das hochgetragene Haupt ruhte auf dem Geschmeide, welches den Putztisch bedeckte; Thränentropfen gesellten sich zu Perlen und Diamanten, seltsame Gegensätze, wie die stolze Tiara und ihre zusammengesunkene Trägerin.
Kurze Zeit lang ſchaute Nitetis auf das im Staube liegende Mädchen; dann ſchüttelte ſie, vor Scham erröthend, das ſchöne Haupt, beugte ſich zu ihr hernieder, hob ſie freundlich auf, küßte ihre Stirn, beſchenkte ſie mit einem goldnen Armbande und bat ſie, als ihre Blicke auf das an der Erde liegende Schreiben fielen, ſie allein zu laſſen. — Mandane verließ, mehr laufend als gehend, das Zimmer ihrer Herrin, um das glänzende Geſchenk ihren Untergebenen, den niedreren Zofen und Sclavinnen, zu zeigen; Nitetis aber warf ſich mit, von inniger Glückſelig- keit überſtrömendem, Auge und Herzen in den vor dem Putztiſche ſtehenden Lehnſeſſel von Elfenbein, ſprach ein kurzes Dankgebet zu ihrer ägyptiſchen Lieblingsgöttin, der ſchönen Hathor, küßte die goldne Kette, welche ihr Kam- byſes nach ſeinem Sprung in’s Waſſer geſchenkt hatte, drückte ihre Lippen auf den Brief aus der Heimat, rollte denſelben beinah übermüthig vor inniger Herzensbefriedi- gung, indem ſie ſich tief in die purpurnen Kiſſen drückte, gemächlich auf, und murmelte vor ſich hin: „Wie bin ich doch ſo froh und überglücklich! Armer Brief, deine Schrei- berin hat wohl nicht gedacht, daß dich Nitetis eine Vier- telſtunde lang ungeleſen auf der Erde liegen laſſen würde!“
Freudig begann ſie zu leſen; bald aber verwandelte ſich ihr Lächeln in Ernſt, und als ſie am Schluſſe des Briefes angelangt war, ſank das Schreiben wiederum zur Erde nieder.
Jenes Auge, deſſen ſtolzer Blick die Dienerin zum Niederſinken gezwungen hatte, ſchwamm in Thränen, das hochgetragene Haupt ruhte auf dem Geſchmeide, welches den Putztiſch bedeckte; Thränentropfen geſellten ſich zu Perlen und Diamanten, ſeltſame Gegenſätze, wie die ſtolze Tiara und ihre zuſammengeſunkene Trägerin.
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Kurze Zeit lang ſchaute Nitetis auf das im Staube
liegende Mädchen; dann ſchüttelte ſie, vor Scham erröthend,
das ſchöne Haupt, beugte ſich zu ihr hernieder, hob ſie
freundlich auf, küßte ihre Stirn, beſchenkte ſie mit einem
goldnen Armbande und bat ſie, als ihre Blicke auf das
an der Erde liegende Schreiben fielen, ſie allein zu laſſen.
— Mandane verließ, mehr laufend als gehend, das
Zimmer ihrer Herrin, um das glänzende Geſchenk ihren
Untergebenen, den niedreren Zofen und Sclavinnen, zu
zeigen; Nitetis aber warf ſich mit, von inniger Glückſelig-
keit überſtrömendem, Auge und Herzen in den vor dem
Putztiſche ſtehenden Lehnſeſſel von Elfenbein, ſprach ein
kurzes Dankgebet zu ihrer ägyptiſchen Lieblingsgöttin, der
ſchönen Hathor, küßte die goldne Kette, welche ihr Kam-
byſes nach ſeinem Sprung in’s Waſſer geſchenkt hatte,
drückte ihre Lippen auf den Brief aus der Heimat, rollte
denſelben beinah übermüthig vor inniger Herzensbefriedi-
gung, indem ſie ſich tief in die purpurnen Kiſſen drückte,
gemächlich auf, und murmelte vor ſich hin: „Wie bin ich
doch ſo froh und überglücklich! Armer Brief, deine Schrei-
berin hat wohl nicht gedacht, daß dich Nitetis eine Vier-
telſtunde lang ungeleſen auf der Erde liegen laſſen würde!“
Freudig begann ſie zu leſen; bald aber verwandelte
ſich ihr Lächeln in Ernſt, und als ſie am Schluſſe des
Briefes angelangt war, ſank das Schreiben wiederum zur
Erde nieder.
Jenes Auge, deſſen ſtolzer Blick die Dienerin zum
Niederſinken gezwungen hatte, ſchwamm in Thränen, das
hochgetragene Haupt ruhte auf dem Geſchmeide, welches
den Putztiſch bedeckte; Thränentropfen geſellten ſich zu
Perlen und Diamanten, ſeltſame Gegenſätze, wie die ſtolze
Tiara und ihre zuſammengeſunkene Trägerin.
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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/87>, abgerufen am 22.07.2024.
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