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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864.

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auch manches Hellenische angenommen, so bleibe ich den-
noch in meinem innersten Wesen ein Aegypter. Was Dir
in der Kindheit gesungen und in der Jugend als heilig
gepriesen ward, das tönt in Deinem Herzen nach, bis
man Dich mit den Mumienbinden umwickelt. Jch bin ein
Greis und habe nur noch eine kurze Spanne Zeit zu durch-
laufen, bis ich zu jenem Grenzsteine gelange, bei welchem
das Jenseits beginnt. Soll ich mir, um der kurzen Lebens-
tage willen, die langen Jahrtausende des Todes verder-
ben? Nein, mein Freund; darin bin ich eben Aegypter
geblieben, daß ich, wie jeder meiner Landsleute, fest und
sicher glaube, an der Erhaltung meines Leibes, des See-
lenträgers, sei die Wohlfahrt meines zweiten Lebens im
Reiche des Osiris 118) gebunden. Aber genug von diesen
Dingen, welche Du doch nicht verstehen kannst! -- Beant-
worte lieber meine Frage: Wie gefallen Dir unsere Tem-
pel und Pyramiden?"

Krösus besann sich einen Augenblick, -- dann ant-
wortete er lächelnd: "Die Steinmassen der Pyramiden kom-
men mir vor, als seien sie von der unermeßlichen Wüste,
-- die bunten Säulengänge der Tempel, als wären sie
vom blühenden Lenz geschaffen worden."

"Und die Aegypter, meine Unterthanen?"

"Sie erscheinen mir, wie Menschen, welche das Leben
für eine kurze Wallfahrt zum Tode, den Tod jedoch für
das eigentliche, wahre Leben halten!"

"Und dennoch hat auch bei uns der Tod seine Schrecken,
und man versucht ihm auszuweichen, wo er sich auch zei-
gen mag. Unsere Aerzte wären nicht so hoch berühmt und
angesehen, -- wenn man ihnen nicht die Kunst zutraute,
unser Erdendasein verlängern zu können. Aber dabei fällt
mir der Augenarzt Nebenchari ein, welchen ich dem Könige

auch manches Helleniſche angenommen, ſo bleibe ich den-
noch in meinem innerſten Weſen ein Aegypter. Was Dir
in der Kindheit geſungen und in der Jugend als heilig
geprieſen ward, das tönt in Deinem Herzen nach, bis
man Dich mit den Mumienbinden umwickelt. Jch bin ein
Greis und habe nur noch eine kurze Spanne Zeit zu durch-
laufen, bis ich zu jenem Grenzſteine gelange, bei welchem
das Jenſeits beginnt. Soll ich mir, um der kurzen Lebens-
tage willen, die langen Jahrtauſende des Todes verder-
ben? Nein, mein Freund; darin bin ich eben Aegypter
geblieben, daß ich, wie jeder meiner Landsleute, feſt und
ſicher glaube, an der Erhaltung meines Leibes, des See-
lenträgers, ſei die Wohlfahrt meines zweiten Lebens im
Reiche des Oſiris 118) gebunden. Aber genug von dieſen
Dingen, welche Du doch nicht verſtehen kannſt! — Beant-
worte lieber meine Frage: Wie gefallen Dir unſere Tem-
pel und Pyramiden?“

Kröſus beſann ſich einen Augenblick, — dann ant-
wortete er lächelnd: „Die Steinmaſſen der Pyramiden kom-
men mir vor, als ſeien ſie von der unermeßlichen Wüſte,
— die bunten Säulengänge der Tempel, als wären ſie
vom blühenden Lenz geſchaffen worden.“

„Und die Aegypter, meine Unterthanen?“

„Sie erſcheinen mir, wie Menſchen, welche das Leben
für eine kurze Wallfahrt zum Tode, den Tod jedoch für
das eigentliche, wahre Leben halten!“

„Und dennoch hat auch bei uns der Tod ſeine Schrecken,
und man verſucht ihm auszuweichen, wo er ſich auch zei-
gen mag. Unſere Aerzte wären nicht ſo hoch berühmt und
angeſehen, — wenn man ihnen nicht die Kunſt zutraute,
unſer Erdendaſein verlängern zu können. Aber dabei fällt
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[72/0090] auch manches Helleniſche angenommen, ſo bleibe ich den- noch in meinem innerſten Weſen ein Aegypter. Was Dir in der Kindheit geſungen und in der Jugend als heilig geprieſen ward, das tönt in Deinem Herzen nach, bis man Dich mit den Mumienbinden umwickelt. Jch bin ein Greis und habe nur noch eine kurze Spanne Zeit zu durch- laufen, bis ich zu jenem Grenzſteine gelange, bei welchem das Jenſeits beginnt. Soll ich mir, um der kurzen Lebens- tage willen, die langen Jahrtauſende des Todes verder- ben? Nein, mein Freund; darin bin ich eben Aegypter geblieben, daß ich, wie jeder meiner Landsleute, feſt und ſicher glaube, an der Erhaltung meines Leibes, des See- lenträgers, ſei die Wohlfahrt meines zweiten Lebens im Reiche des Oſiris 118) gebunden. Aber genug von dieſen Dingen, welche Du doch nicht verſtehen kannſt! — Beant- worte lieber meine Frage: Wie gefallen Dir unſere Tem- pel und Pyramiden?“ Kröſus beſann ſich einen Augenblick, — dann ant- wortete er lächelnd: „Die Steinmaſſen der Pyramiden kom- men mir vor, als ſeien ſie von der unermeßlichen Wüſte, — die bunten Säulengänge der Tempel, als wären ſie vom blühenden Lenz geſchaffen worden.“ „Und die Aegypter, meine Unterthanen?“ „Sie erſcheinen mir, wie Menſchen, welche das Leben für eine kurze Wallfahrt zum Tode, den Tod jedoch für das eigentliche, wahre Leben halten!“ „Und dennoch hat auch bei uns der Tod ſeine Schrecken, und man verſucht ihm auszuweichen, wo er ſich auch zei- gen mag. Unſere Aerzte wären nicht ſo hoch berühmt und angeſehen, — wenn man ihnen nicht die Kunſt zutraute, unſer Erdendaſein verlängern zu können. Aber dabei fällt mir der Augenarzt Nebenchari ein, welchen ich dem Könige

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/90>, abgerufen am 29.11.2024.