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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864.

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furchtsvollsten Diener ihres göttlich verehrten Königs hal-
ten; aber glaube mir, Krösus, gerade in dieser Hinge-
bung, welche kein Herrscher ohne zu beleidigen zurückwei-
sen kann, liegt die schlaueste, schändlichste Berechnung. Je-
der dieser Jünglinge ist mein Hüter, mein Spion. Jch
vermag keine Hand ohne ihr Vorwissen zu rühren, und
rühre ich sie, so wird es noch in derselben Stunde den
Priestern hinterbracht."

"Aber wie kannst Du ein solches Dasein ertragen?
Verweise diese schändlichen Spione und erwähle Deine
Diener z. B. aus der Krieger Kaste, welche Dir nicht
minder nützlich werden kann, als die Priester?"

"Könnte ich nur, dürfte ich nur!" rief Amasis. "Hör-
test Du kein Geräusch im Feigenbusche dort drüben? Jch
bin sicher, daß man uns belauscht! Dein Rath, mein
Freund," fügte er flüsternd hinzu, "ist unausführbar. Jedes
Recht legt Pflichten auf. Als König dieses das Herge-
brachte als ersten Gott verehrenden Landes muß ich mich
dem Jahrtausende alten Hofceremoniel, in den Hauptsachen
wenigstens, fügen. Wollte ich meine Ketten zerreißen,
so wäre ich sicher, daß man meine Leiche unbestattet ließe;
denn Du mußt wissen, daß die Priester über jeden Ver-
storbenen ein Todtengericht halten, und Denjenigen, welchen
sie für schuldig befinden, der Grabesruhe berauben 117)."

"Was kümmert Dich das Grab!" rief Krösus bei-
nahe unwillig. "Man lebt für das Leben, nicht für den
Tod!"

"Sage lieber," erwiederte Amasis, sich von dem Ruhe-
sitze erhebend, "wir griechisch Denkende halten ein schönes
Leben für das Höchste; ich aber, Krösus, wurde von einem
ägyptischen Vater gezeugt, einer ägyptischen Mutter ge-
tränkt, mit ägyptischer Speise groß gezogen, und, habe ich

furchtsvollſten Diener ihres göttlich verehrten Königs hal-
ten; aber glaube mir, Kröſus, gerade in dieſer Hinge-
bung, welche kein Herrſcher ohne zu beleidigen zurückwei-
ſen kann, liegt die ſchlaueſte, ſchändlichſte Berechnung. Je-
der dieſer Jünglinge iſt mein Hüter, mein Spion. Jch
vermag keine Hand ohne ihr Vorwiſſen zu rühren, und
rühre ich ſie, ſo wird es noch in derſelben Stunde den
Prieſtern hinterbracht.“

„Aber wie kannſt Du ein ſolches Daſein ertragen?
Verweiſe dieſe ſchändlichen Spione und erwähle Deine
Diener z. B. aus der Krieger Kaſte, welche Dir nicht
minder nützlich werden kann, als die Prieſter?“

„Könnte ich nur, dürfte ich nur!“ rief Amaſis. „Hör-
teſt Du kein Geräuſch im Feigenbuſche dort drüben? Jch
bin ſicher, daß man uns belauſcht! Dein Rath, mein
Freund,“ fügte er flüſternd hinzu, „iſt unausführbar. Jedes
Recht legt Pflichten auf. Als König dieſes das Herge-
brachte als erſten Gott verehrenden Landes muß ich mich
dem Jahrtauſende alten Hofceremoniel, in den Hauptſachen
wenigſtens, fügen. Wollte ich meine Ketten zerreißen,
ſo wäre ich ſicher, daß man meine Leiche unbeſtattet ließe;
denn Du mußt wiſſen, daß die Prieſter über jeden Ver-
ſtorbenen ein Todtengericht halten, und Denjenigen, welchen
ſie für ſchuldig befinden, der Grabesruhe berauben 117).“

„Was kümmert Dich das Grab!“ rief Kröſus bei-
nahe unwillig. „Man lebt für das Leben, nicht für den
Tod!“

„Sage lieber,“ erwiederte Amaſis, ſich von dem Ruhe-
ſitze erhebend, „wir griechiſch Denkende halten ein ſchönes
Leben für das Höchſte; ich aber, Kröſus, wurde von einem
ägyptiſchen Vater gezeugt, einer ägyptiſchen Mutter ge-
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[71/0089] furchtsvollſten Diener ihres göttlich verehrten Königs hal- ten; aber glaube mir, Kröſus, gerade in dieſer Hinge- bung, welche kein Herrſcher ohne zu beleidigen zurückwei- ſen kann, liegt die ſchlaueſte, ſchändlichſte Berechnung. Je- der dieſer Jünglinge iſt mein Hüter, mein Spion. Jch vermag keine Hand ohne ihr Vorwiſſen zu rühren, und rühre ich ſie, ſo wird es noch in derſelben Stunde den Prieſtern hinterbracht.“ „Aber wie kannſt Du ein ſolches Daſein ertragen? Verweiſe dieſe ſchändlichen Spione und erwähle Deine Diener z. B. aus der Krieger Kaſte, welche Dir nicht minder nützlich werden kann, als die Prieſter?“ „Könnte ich nur, dürfte ich nur!“ rief Amaſis. „Hör- teſt Du kein Geräuſch im Feigenbuſche dort drüben? Jch bin ſicher, daß man uns belauſcht! Dein Rath, mein Freund,“ fügte er flüſternd hinzu, „iſt unausführbar. Jedes Recht legt Pflichten auf. Als König dieſes das Herge- brachte als erſten Gott verehrenden Landes muß ich mich dem Jahrtauſende alten Hofceremoniel, in den Hauptſachen wenigſtens, fügen. Wollte ich meine Ketten zerreißen, ſo wäre ich ſicher, daß man meine Leiche unbeſtattet ließe; denn Du mußt wiſſen, daß die Prieſter über jeden Ver- ſtorbenen ein Todtengericht halten, und Denjenigen, welchen ſie für ſchuldig befinden, der Grabesruhe berauben 117).“ „Was kümmert Dich das Grab!“ rief Kröſus bei- nahe unwillig. „Man lebt für das Leben, nicht für den Tod!“ „Sage lieber,“ erwiederte Amaſis, ſich von dem Ruhe- ſitze erhebend, „wir griechiſch Denkende halten ein ſchönes Leben für das Höchſte; ich aber, Kröſus, wurde von einem ägyptiſchen Vater gezeugt, einer ägyptiſchen Mutter ge- tränkt, mit ägyptiſcher Speiſe groß gezogen, und, habe ich

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/89>, abgerufen am 27.04.2024.