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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864.

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lenden Wasserstrahle des Springquells. Man sah ihr an,
daß sie abermals geweint hatte. Der Athener hielt ihre
Hand und suchte sie zu trösten.

Rhodopis hörte ihm geduldig zu, jetzt bitter, jetzt zu-
stimmend lächelnd. Endlich unterbrach sie den wohlmei-
nenden Freund und sprach:

"Jch danke Dir, Phanes! Ueber kurz oder lang muß
auch diese Schmach vergessen werden. Die Zeit ist ein
guter Wundarzt. Wäre ich schwach, so verließe ich Nau-
kratis, und lebte in der Stille ganz allein für meine En-
kelin. Jn diesem jungen Wesen, sage ich Dir, schlummert
eine ganze Welt. Tausendmal wollte ich Aegypten ver-
lassen, tausendmal besiegte ich diesen Wunsch. Mich hielt
nicht das Verlangen nach Huldigungen Deines Geschlechts;
deren habe ich so viele genossen, daß ich mehr als gesät-
tigt bin! Mich, das schwache, das einst verachtete Weib,
die frühere Sclavin, hielt und hält das Bewußtsein, freien,
edlen Männern beinahe unentbehrlich, jedenfalls von hohem
Nutzen zu sein. An einen großen, männlichen Wirkungs-
kreis gewöhnt, würde mich die bloße Sorge für ein
geliebtes Wesen nicht befriedigen; ich würde verdorren,
wie eine Blume, die man aus fettem Boden in die Wüste
verpflanzt; und meine Enkelin bald ganz vereinsamt, drei-
fach verwaist in der Welt dastehen. Jch bleibe in Aegypten.

"Jetzt, nach Deiner Abreise, werde ich den Freunden
wahrhaft unentbehrlich sein. Amasis ist alt; wenn Psamtik
ihm nachfolgen sollte, werden wir mit unendlich viel grö-
ßeren Schwierigkeiten zu kämpfen haben, als bisher. Jch
muß bleiben, und fort und vorkämpfen für Hellenen-Frei-
heit und Hellenen-Wohlfahrt. Das ist der Zweck meines
Lebens. Diesem Zwecke bin ich um so treuer, je seltener
sich ein Weib vermißt, ähnlichen Zielen ihr Leben zu wei-

lenden Waſſerſtrahle des Springquells. Man ſah ihr an,
daß ſie abermals geweint hatte. Der Athener hielt ihre
Hand und ſuchte ſie zu tröſten.

Rhodopis hörte ihm geduldig zu, jetzt bitter, jetzt zu-
ſtimmend lächelnd. Endlich unterbrach ſie den wohlmei-
nenden Freund und ſprach:

„Jch danke Dir, Phanes! Ueber kurz oder lang muß
auch dieſe Schmach vergeſſen werden. Die Zeit iſt ein
guter Wundarzt. Wäre ich ſchwach, ſo verließe ich Nau-
kratis, und lebte in der Stille ganz allein für meine En-
kelin. Jn dieſem jungen Weſen, ſage ich Dir, ſchlummert
eine ganze Welt. Tauſendmal wollte ich Aegypten ver-
laſſen, tauſendmal beſiegte ich dieſen Wunſch. Mich hielt
nicht das Verlangen nach Huldigungen Deines Geſchlechts;
deren habe ich ſo viele genoſſen, daß ich mehr als geſät-
tigt bin! Mich, das ſchwache, das einſt verachtete Weib,
die frühere Sclavin, hielt und hält das Bewußtſein, freien,
edlen Männern beinahe unentbehrlich, jedenfalls von hohem
Nutzen zu ſein. An einen großen, männlichen Wirkungs-
kreis gewöhnt, würde mich die bloße Sorge für ein
geliebtes Weſen nicht befriedigen; ich würde verdorren,
wie eine Blume, die man aus fettem Boden in die Wüſte
verpflanzt; und meine Enkelin bald ganz vereinſamt, drei-
fach verwaist in der Welt daſtehen. Jch bleibe in Aegypten.

„Jetzt, nach Deiner Abreiſe, werde ich den Freunden
wahrhaft unentbehrlich ſein. Amaſis iſt alt; wenn Pſamtik
ihm nachfolgen ſollte, werden wir mit unendlich viel grö-
ßeren Schwierigkeiten zu kämpfen haben, als bisher. Jch
muß bleiben, und fort und vorkämpfen für Hellenen-Frei-
heit und Hellenen-Wohlfahrt. Das iſt der Zweck meines
Lebens. Dieſem Zwecke bin ich um ſo treuer, je ſeltener
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[51/0069] lenden Waſſerſtrahle des Springquells. Man ſah ihr an, daß ſie abermals geweint hatte. Der Athener hielt ihre Hand und ſuchte ſie zu tröſten. Rhodopis hörte ihm geduldig zu, jetzt bitter, jetzt zu- ſtimmend lächelnd. Endlich unterbrach ſie den wohlmei- nenden Freund und ſprach: „Jch danke Dir, Phanes! Ueber kurz oder lang muß auch dieſe Schmach vergeſſen werden. Die Zeit iſt ein guter Wundarzt. Wäre ich ſchwach, ſo verließe ich Nau- kratis, und lebte in der Stille ganz allein für meine En- kelin. Jn dieſem jungen Weſen, ſage ich Dir, ſchlummert eine ganze Welt. Tauſendmal wollte ich Aegypten ver- laſſen, tauſendmal beſiegte ich dieſen Wunſch. Mich hielt nicht das Verlangen nach Huldigungen Deines Geſchlechts; deren habe ich ſo viele genoſſen, daß ich mehr als geſät- tigt bin! Mich, das ſchwache, das einſt verachtete Weib, die frühere Sclavin, hielt und hält das Bewußtſein, freien, edlen Männern beinahe unentbehrlich, jedenfalls von hohem Nutzen zu ſein. An einen großen, männlichen Wirkungs- kreis gewöhnt, würde mich die bloße Sorge für ein geliebtes Weſen nicht befriedigen; ich würde verdorren, wie eine Blume, die man aus fettem Boden in die Wüſte verpflanzt; und meine Enkelin bald ganz vereinſamt, drei- fach verwaist in der Welt daſtehen. Jch bleibe in Aegypten. „Jetzt, nach Deiner Abreiſe, werde ich den Freunden wahrhaft unentbehrlich ſein. Amaſis iſt alt; wenn Pſamtik ihm nachfolgen ſollte, werden wir mit unendlich viel grö- ßeren Schwierigkeiten zu kämpfen haben, als bisher. Jch muß bleiben, und fort und vorkämpfen für Hellenen-Frei- heit und Hellenen-Wohlfahrt. Das iſt der Zweck meines Lebens. Dieſem Zwecke bin ich um ſo treuer, je ſeltener ſich ein Weib vermißt, ähnlichen Zielen ihr Leben zu wei-

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/69>, abgerufen am 27.04.2024.