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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864.

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Um die Mittagszeit des folgenden Tages hielt die-
selbe Barke, welche am vorigen Abende den Athener und
Spartaner getragen hatte, vor dem Garten der Greisin.

Die Sonne schien so hell, so heiß und fröhlich vom
klaren dunkelblauen ägyptischen Himmel, die Luft war so
rein und leicht, die Käfer schwirrten so lustig, die Schiffer
in den Kähnen sangen so laut und übermüthig, -- das
Nilufer war so blühend, so fahnenbunt und menschenreich,
die Palmen, Sykomoren, Akazien und Bannanen grünten
und blühten so saftig und kraftstrotzend, der ganze Land-
strich ringsumher schien so außergewöhnlich reich von der
freigebigsten Gottheit ausgestattet zu sein, daß der
Wanderer glauben mußte, aus diesen Auen sei alles Un-
glück verbannt, hier sei die Heimat aller Lust und aller
Freude.

Wie häufig wähnen wir, an einem unter blühenden
Obstbäumen versteckten stillen Dörfchen vorbeifahrend, dies
sei der Sitz alles Friedens, aller anspruchslosen Herzens-
befriedigung! Wenn wir aber in die einzelnen Hütten tre-
ten, so finden wir in ihnen, wie überall, Angst und Noth,
Verlangen und Leidenschaft, Furcht und Reue, Schmerz und
Elend neben ach so wenigen Freuden! Wer mochte, nach
Aegypten kommend, ahnen, daß dieses lachende, strotzende,
bunte Sonnenland, dessen Himmel sich niemals bewölkt,
die ernstesten Menschen ernährte, wer konnte vermuthen,
daß in dem zierlichen, von Blüten umwebten, gastfreien
Hause der glücklichen Rhodopis ein Herz in tiefem Kummer
schlüge? Welcher Besucher der allgefeierten Thrakerien
konnte ahnen, daß dieses Herz der anmuthlächelnden Grei-
sin angehöre?

Bleich, aber schön und freundlich, wie immer, saß
sie mit Phanes in einer schattigen Laube, neben dem küh-

Um die Mittagszeit des folgenden Tages hielt die-
ſelbe Barke, welche am vorigen Abende den Athener und
Spartaner getragen hatte, vor dem Garten der Greiſin.

Die Sonne ſchien ſo hell, ſo heiß und fröhlich vom
klaren dunkelblauen ägyptiſchen Himmel, die Luft war ſo
rein und leicht, die Käfer ſchwirrten ſo luſtig, die Schiffer
in den Kähnen ſangen ſo laut und übermüthig, — das
Nilufer war ſo blühend, ſo fahnenbunt und menſchenreich,
die Palmen, Sykomoren, Akazien und Bannanen grünten
und blühten ſo ſaftig und kraftſtrotzend, der ganze Land-
ſtrich ringsumher ſchien ſo außergewöhnlich reich von der
freigebigſten Gottheit ausgeſtattet zu ſein, daß der
Wanderer glauben mußte, aus dieſen Auen ſei alles Un-
glück verbannt, hier ſei die Heimat aller Luſt und aller
Freude.

Wie häufig wähnen wir, an einem unter blühenden
Obſtbäumen verſteckten ſtillen Dörfchen vorbeifahrend, dies
ſei der Sitz alles Friedens, aller anſpruchsloſen Herzens-
befriedigung! Wenn wir aber in die einzelnen Hütten tre-
ten, ſo finden wir in ihnen, wie überall, Angſt und Noth,
Verlangen und Leidenſchaft, Furcht und Reue, Schmerz und
Elend neben ach ſo wenigen Freuden! Wer mochte, nach
Aegypten kommend, ahnen, daß dieſes lachende, ſtrotzende,
bunte Sonnenland, deſſen Himmel ſich niemals bewölkt,
die ernſteſten Menſchen ernährte, wer konnte vermuthen,
daß in dem zierlichen, von Blüten umwebten, gaſtfreien
Hauſe der glücklichen Rhodopis ein Herz in tiefem Kummer
ſchlüge? Welcher Beſucher der allgefeierten Thrakerien
konnte ahnen, daß dieſes Herz der anmuthlächelnden Grei-
ſin angehöre?

Bleich, aber ſchön und freundlich, wie immer, ſaß
ſie mit Phanes in einer ſchattigen Laube, neben dem küh-

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[50/0068] Um die Mittagszeit des folgenden Tages hielt die- ſelbe Barke, welche am vorigen Abende den Athener und Spartaner getragen hatte, vor dem Garten der Greiſin. Die Sonne ſchien ſo hell, ſo heiß und fröhlich vom klaren dunkelblauen ägyptiſchen Himmel, die Luft war ſo rein und leicht, die Käfer ſchwirrten ſo luſtig, die Schiffer in den Kähnen ſangen ſo laut und übermüthig, — das Nilufer war ſo blühend, ſo fahnenbunt und menſchenreich, die Palmen, Sykomoren, Akazien und Bannanen grünten und blühten ſo ſaftig und kraftſtrotzend, der ganze Land- ſtrich ringsumher ſchien ſo außergewöhnlich reich von der freigebigſten Gottheit ausgeſtattet zu ſein, daß der Wanderer glauben mußte, aus dieſen Auen ſei alles Un- glück verbannt, hier ſei die Heimat aller Luſt und aller Freude. Wie häufig wähnen wir, an einem unter blühenden Obſtbäumen verſteckten ſtillen Dörfchen vorbeifahrend, dies ſei der Sitz alles Friedens, aller anſpruchsloſen Herzens- befriedigung! Wenn wir aber in die einzelnen Hütten tre- ten, ſo finden wir in ihnen, wie überall, Angſt und Noth, Verlangen und Leidenſchaft, Furcht und Reue, Schmerz und Elend neben ach ſo wenigen Freuden! Wer mochte, nach Aegypten kommend, ahnen, daß dieſes lachende, ſtrotzende, bunte Sonnenland, deſſen Himmel ſich niemals bewölkt, die ernſteſten Menſchen ernährte, wer konnte vermuthen, daß in dem zierlichen, von Blüten umwebten, gaſtfreien Hauſe der glücklichen Rhodopis ein Herz in tiefem Kummer ſchlüge? Welcher Beſucher der allgefeierten Thrakerien konnte ahnen, daß dieſes Herz der anmuthlächelnden Grei- ſin angehöre? Bleich, aber ſchön und freundlich, wie immer, ſaß ſie mit Phanes in einer ſchattigen Laube, neben dem küh-

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/68>, abgerufen am 27.04.2024.