Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864.Endlich stand sie auf, hauchte einen leisen Kuß auf An ihrem Lager fand sie die alte Sclavin, welche "Was willst Du noch so spät, Melitta?" fragte sie Die Sclavin zauderte; man sah ihr an, daß sie noch "Du möchtest mich um etwas bitten?" fragte Rho- Die Alte zauderte noch immer. "Sprich nur, sprich; aber mach' es kurz!" "Jch sah Dich weinen," sprach die Sclavin, "Du "Nein ich kann nicht sprechen!" erwiederte jene. Dann Ebers, Eine ägyptische Königstochter. I. 4
Endlich ſtand ſie auf, hauchte einen leiſen Kuß auf An ihrem Lager fand ſie die alte Sclavin, welche „Was willſt Du noch ſo ſpät, Melitta?“ fragte ſie Die Sclavin zauderte; man ſah ihr an, daß ſie noch „Du möchteſt mich um etwas bitten?“ fragte Rho- Die Alte zauderte noch immer. „Sprich nur, ſprich; aber mach’ es kurz!“ „Jch ſah Dich weinen,“ ſprach die Sclavin, „Du „Nein ich kann nicht ſprechen!“ erwiederte jene. Dann Ebers, Eine ägyptiſche Königstochter. I. 4
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Endlich ſtand ſie auf, hauchte einen leiſen Kuß auf
die Stirn der Schläferin, hob die Hände betend zum
Himmel empor und ging in ihr Gemach zurück, behutſam
und leiſe, wie ſie gekommen war.
An ihrem Lager fand ſie die alte Sclavin, welche
ihrer noch immer wartete.
„Was willſt Du noch ſo ſpät, Melitta?“ fragte ſie
freundlich und leiſe. „Geh’ zu Bett; das lange Wachen
thut nicht gut in deinem Alter; Du weißt, daß ich Dich
nicht mehr brauche. Gute Nacht! komm morgen nicht eher,
als bis ich Dich rufen laſſe. Jch werde wenig ſchlafen
können und bin froh, wenn mir der Morgen kurzen
Schlummer bringt!“
Die Sclavin zauderte; man ſah ihr an, daß ſie noch
etwas zu ſagen habe, und ſich dennoch zu reden ſcheue.
„Du möchteſt mich um etwas bitten?“ fragte Rho-
dopis.
Die Alte zauderte noch immer.
„Sprich nur, ſprich; aber mach’ es kurz!“
„Jch ſah Dich weinen,“ ſprach die Sclavin, „Du
ſcheinſt mir bekümmert oder krank zu ſein; — darf ich
nicht bei Dir wachen; willſt Du mir nicht ſagen, was
Dich quält? Schon oftmals haſt Du erfahren, daß Mit-
theilung die Bruſt erleichtert und den Schmerz zertheilt.
Vertraue mir auch heut Dein Weh; das wird Dir gut
thun, gewiß, das wird die Ruhe Deiner Seele wieder
herſtellen.“
„Nein ich kann nicht ſprechen!“ erwiederte jene. Dann
fuhr ſie bitter lächelnd fort: „Jch habe wiederum geſehen,
daß kein Gott im Stande iſt, die Vergangenheit eines
Menſchen auszulöſchen, und daß Unglück und Schande Eins
zu ſein pflegen. Gute Nacht! Verlaß mich, Melitta!“
Ebers, Eine ägyptiſche Königstochter. I. 4
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