Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864.Schweigend ließ sich Rhodopis entkleiden, -- schwei- Die eine Hand der Schläferin, auf welcher ihr Die Greisin näherte sich lautlos, den dichten Teppich 86) Schweigend ließ ſich Rhodopis entkleiden, — ſchwei- Die eine Hand der Schläferin, auf welcher ihr Die Greiſin näherte ſich lautlos, den dichten Teppich 86) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0066" n="48"/> <p>Schweigend ließ ſich Rhodopis entkleiden, — ſchwei-<lb/> gend öffnete ſie den Vorhang, welcher ein zweites Schlaf-<lb/> gemach von dem ihren trennte. — Jn der Mitte deſſelben<lb/> ſtand ein Bett von Ahornholz, in dem, auf einer Ma-<lb/> traze von zarter Schafwolle, die mit weißen Laken über-<lb/> deckt war, unter lichtblauen Tüchern <hi rendition="#sup">84</hi>), ein holdſeliges,<lb/> wunderliebliches Weſen ſchlummerte, Sappho, die Enkelin<lb/> der Rhodopis. Dieſe zarten, ſchwellenden Formen, dieſes<lb/> feingebildete Angeſicht, gehörten einer aufblühenden Jung-<lb/> frau, dies ſelige, friedliche Lächeln einem harmloſen, glück-<lb/> lichen Kinde.</p><lb/> <p>Die eine Hand der Schläferin, auf welcher ihr<lb/> Köpfchen ruhte, war in dem dunkelbraunen vollen Haare<lb/> verborgen, die andere ſchloß ſich unwillkürlich um ein klei-<lb/> nes Amulet aus grünem Stein <hi rendition="#sup">85</hi>), welches von ihrem<lb/> Halſe herniederhing. Die langen Wimpern der geſchloſſe-<lb/> nen Augen bewegten ſich kaum bemerkbar, und über die<lb/> Wangen der Schläferin breitete ſich ein zartes, ſanft ver-<lb/> ſchwimmendes Roſenroth. Die feinen Naſenflügel hoben<lb/> und ſenkten ſich in gleichmäßigen Athemzügen. So bildet<lb/> man die Unſchuld, ſo lächelt der träumende Friede, —<lb/> ſolchen Schlummer ſchenken die Götter der ſorgloſen erſten<lb/> Jugendzeit.</p><lb/> <p>Die Greiſin näherte ſich lautlos, den dichten Teppich <hi rendition="#sup">86</hi>)<lb/> voller Behutſamkeit kaum mit den Fußſpitzen berührend,<lb/> dieſem Lager. Unſagbar zärtlich ſchaute ſie in das lächelnde<lb/> Kinderantlitz, leiſe und ſchweigend kniete ſie vor dem Bette<lb/> nieder, behutſam preßte ſie ihr Angeſicht in die weichen<lb/> Decken deſſelben, ſo daß die Hand der Jungfrau die Spitzen<lb/> ihres Haares berührte. Dann weinte ſie ohne Unterlaß,<lb/> als wolle ſie mit dieſen Thränen die Demüthigung, welche ſie<lb/> erfahren hatte, und alles Leid aus ihrer Seele waſchen.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [48/0066]
Schweigend ließ ſich Rhodopis entkleiden, — ſchwei-
gend öffnete ſie den Vorhang, welcher ein zweites Schlaf-
gemach von dem ihren trennte. — Jn der Mitte deſſelben
ſtand ein Bett von Ahornholz, in dem, auf einer Ma-
traze von zarter Schafwolle, die mit weißen Laken über-
deckt war, unter lichtblauen Tüchern 84), ein holdſeliges,
wunderliebliches Weſen ſchlummerte, Sappho, die Enkelin
der Rhodopis. Dieſe zarten, ſchwellenden Formen, dieſes
feingebildete Angeſicht, gehörten einer aufblühenden Jung-
frau, dies ſelige, friedliche Lächeln einem harmloſen, glück-
lichen Kinde.
Die eine Hand der Schläferin, auf welcher ihr
Köpfchen ruhte, war in dem dunkelbraunen vollen Haare
verborgen, die andere ſchloß ſich unwillkürlich um ein klei-
nes Amulet aus grünem Stein 85), welches von ihrem
Halſe herniederhing. Die langen Wimpern der geſchloſſe-
nen Augen bewegten ſich kaum bemerkbar, und über die
Wangen der Schläferin breitete ſich ein zartes, ſanft ver-
ſchwimmendes Roſenroth. Die feinen Naſenflügel hoben
und ſenkten ſich in gleichmäßigen Athemzügen. So bildet
man die Unſchuld, ſo lächelt der träumende Friede, —
ſolchen Schlummer ſchenken die Götter der ſorgloſen erſten
Jugendzeit.
Die Greiſin näherte ſich lautlos, den dichten Teppich 86)
voller Behutſamkeit kaum mit den Fußſpitzen berührend,
dieſem Lager. Unſagbar zärtlich ſchaute ſie in das lächelnde
Kinderantlitz, leiſe und ſchweigend kniete ſie vor dem Bette
nieder, behutſam preßte ſie ihr Angeſicht in die weichen
Decken deſſelben, ſo daß die Hand der Jungfrau die Spitzen
ihres Haares berührte. Dann weinte ſie ohne Unterlaß,
als wolle ſie mit dieſen Thränen die Demüthigung, welche ſie
erfahren hatte, und alles Leid aus ihrer Seele waſchen.
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