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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864.

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Drittes Kapitel.


Alle Gäste hatten das Haus verlassen.

Wie Hagelschlag in ein blühendes Saatfeld, war die
Schmährede des Schlemmers in die Freude der Scheiden-
den gefallen; Rhodopis selbst stand bleich und zitternd in
dem verödeten festlich geschmückten Zimmer. Knakias ver-
löschte die bunten Lampen an den Wänden. Statt des
hellen Lichtes trat ein unheimliches Halbdunkel ein,
welches das zusammengeworfene Tafelgeschirr, die Ueber-
reste der Mahlzeit und die von ihren Plätzen gerückten
Ruhebänke spärlich beleuchtete. Durch die offene Thür
zog eine kalte Luft, denn es begann Morgen zu werden,
und die Zeit vor dem Sonnenaufgange pflegt in Aegypten
empfindlich kühl zu sein. Die Glieder der leicht gekleideten
Greisin durchschauerte leiser Frost. Thränenlos starrte sie
in den öden Raum, der noch vor wenigen Minuten von
Lust und Jubel erfüllt war. Sie verglich ihr Jnneres
mit diesem öden Freudengemach. Es war ihr, als zehre
ein Wurm an ihrem Herzen, als gerinne all' ihr Blut
zu Schnee und Eis.

So stand sie lange, lange, bis die alte Sclavin er-
schien und ihr in ihr Schlafgemach voranleuchtete.

Drittes Kapitel.


Alle Gäſte hatten das Haus verlaſſen.

Wie Hagelſchlag in ein blühendes Saatfeld, war die
Schmährede des Schlemmers in die Freude der Scheiden-
den gefallen; Rhodopis ſelbſt ſtand bleich und zitternd in
dem verödeten feſtlich geſchmückten Zimmer. Knakias ver-
löſchte die bunten Lampen an den Wänden. Statt des
hellen Lichtes trat ein unheimliches Halbdunkel ein,
welches das zuſammengeworfene Tafelgeſchirr, die Ueber-
reſte der Mahlzeit und die von ihren Plätzen gerückten
Ruhebänke ſpärlich beleuchtete. Durch die offene Thür
zog eine kalte Luft, denn es begann Morgen zu werden,
und die Zeit vor dem Sonnenaufgange pflegt in Aegypten
empfindlich kühl zu ſein. Die Glieder der leicht gekleideten
Greiſin durchſchauerte leiſer Froſt. Thränenlos ſtarrte ſie
in den öden Raum, der noch vor wenigen Minuten von
Luſt und Jubel erfüllt war. Sie verglich ihr Jnneres
mit dieſem öden Freudengemach. Es war ihr, als zehre
ein Wurm an ihrem Herzen, als gerinne all’ ihr Blut
zu Schnee und Eis.

So ſtand ſie lange, lange, bis die alte Sclavin er-
ſchien und ihr in ihr Schlafgemach voranleuchtete.

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[[47]/0065] Drittes Kapitel. Alle Gäſte hatten das Haus verlaſſen. Wie Hagelſchlag in ein blühendes Saatfeld, war die Schmährede des Schlemmers in die Freude der Scheiden- den gefallen; Rhodopis ſelbſt ſtand bleich und zitternd in dem verödeten feſtlich geſchmückten Zimmer. Knakias ver- löſchte die bunten Lampen an den Wänden. Statt des hellen Lichtes trat ein unheimliches Halbdunkel ein, welches das zuſammengeworfene Tafelgeſchirr, die Ueber- reſte der Mahlzeit und die von ihren Plätzen gerückten Ruhebänke ſpärlich beleuchtete. Durch die offene Thür zog eine kalte Luft, denn es begann Morgen zu werden, und die Zeit vor dem Sonnenaufgange pflegt in Aegypten empfindlich kühl zu ſein. Die Glieder der leicht gekleideten Greiſin durchſchauerte leiſer Froſt. Thränenlos ſtarrte ſie in den öden Raum, der noch vor wenigen Minuten von Luſt und Jubel erfüllt war. Sie verglich ihr Jnneres mit dieſem öden Freudengemach. Es war ihr, als zehre ein Wurm an ihrem Herzen, als gerinne all’ ihr Blut zu Schnee und Eis. So ſtand ſie lange, lange, bis die alte Sclavin er- ſchien und ihr in ihr Schlafgemach voranleuchtete.

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. [47]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/65>, abgerufen am 27.04.2024.