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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864.

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Welt. Alle Großmächte in Asien haben sich ihrem Scepter
unterworfen; nur Aegypten und das hellenische Mutterland
blieben von dem Eroberer verschont."

"Du vergißt das goldreiche Jndien, und die großen
asiatischen Wandervölker," entgegnete Kallias. "Du ver-
gaßest ferner, daß ein so zusammengewürfeltes, aus sieben-
zig Völkerschaften verschiedener Zungen und Sitten beste-
hendes Reich fort und fort den Keim des Krieges in sich
trägt und sich vor auswärtigen Kämpfen vorzusehen hat,
damit nicht, wenn die Hauptmasse des Heeres abwesend
ist -- einzelne Provinzen die erwünschte Gelegenheit zum
Abfall ergreifen. -- Frage die Milesier, ob sie ruhig
bleiben würden, wenn sie vernehmen sollten, die Macht
ihrer Bedrücker habe in irgend einer Schlacht den Kürze-
ren gezogen?"

Theoponpos, der Handelsherr von Milet, rief lachend:
"Wenn die Perser in einem Kriege unterliegen, so haben
sie hundert andere auf dem Halse, und meine Heimat
wird sich nicht zuletzt gegen den geschwächten Zwingherrn
erheben!"

"Mögen die Gesandten vorhaben, was sie wollen,"
fuhr Kallias fort, "ich bestehe auf meiner Nachricht, daß
sie spätestens in drei Tagen hier sein werden."

"Und somit wäre Dein Orakel erfüllt, glückseliger
Aristomachos!" rief Rhodopis, "die reisige Schaar von
den Bergen kann Niemand sein, als die Perser. Wenn
diese zu den Gestaden des Nils heranziehen, soll sich der
Sinn der richtenden Fünf, Eurer Ephoren 82) ändern, und
man wird Dich, den Vater zweier olympischer Sieger, in
die Heimat zurückberufen. -- Fülle die Becher von Neuem,
Knakias! Laßt uns diesen letzten Pokal den Manen des
ruhmreichen Lysander spenden; dann aber rathe ich Euch,

Welt. Alle Großmächte in Aſien haben ſich ihrem Scepter
unterworfen; nur Aegypten und das helleniſche Mutterland
blieben von dem Eroberer verſchont.“

„Du vergißt das goldreiche Jndien, und die großen
aſiatiſchen Wandervölker,“ entgegnete Kallias. „Du ver-
gaßeſt ferner, daß ein ſo zuſammengewürfeltes, aus ſieben-
zig Völkerſchaften verſchiedener Zungen und Sitten beſte-
hendes Reich fort und fort den Keim des Krieges in ſich
trägt und ſich vor auswärtigen Kämpfen vorzuſehen hat,
damit nicht, wenn die Hauptmaſſe des Heeres abweſend
iſt — einzelne Provinzen die erwünſchte Gelegenheit zum
Abfall ergreifen. — Frage die Mileſier, ob ſie ruhig
bleiben würden, wenn ſie vernehmen ſollten, die Macht
ihrer Bedrücker habe in irgend einer Schlacht den Kürze-
ren gezogen?“

Theoponpos, der Handelsherr von Milet, rief lachend:
„Wenn die Perſer in einem Kriege unterliegen, ſo haben
ſie hundert andere auf dem Halſe, und meine Heimat
wird ſich nicht zuletzt gegen den geſchwächten Zwingherrn
erheben!“

„Mögen die Geſandten vorhaben, was ſie wollen,“
fuhr Kallias fort, „ich beſtehe auf meiner Nachricht, daß
ſie ſpäteſtens in drei Tagen hier ſein werden.“

„Und ſomit wäre Dein Orakel erfüllt, glückſeliger
Ariſtomachos!“ rief Rhodopis, „die reiſige Schaar von
den Bergen kann Niemand ſein, als die Perſer. Wenn
dieſe zu den Geſtaden des Nils heranziehen, ſoll ſich der
Sinn der richtenden Fünf, Eurer Ephoren 82) ändern, und
man wird Dich, den Vater zweier olympiſcher Sieger, in
die Heimat zurückberufen. — Fülle die Becher von Neuem,
Knakias! Laßt uns dieſen letzten Pokal den Manen des
ruhmreichen Lyſander ſpenden; dann aber rathe ich Euch,

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[44/0062] Welt. Alle Großmächte in Aſien haben ſich ihrem Scepter unterworfen; nur Aegypten und das helleniſche Mutterland blieben von dem Eroberer verſchont.“ „Du vergißt das goldreiche Jndien, und die großen aſiatiſchen Wandervölker,“ entgegnete Kallias. „Du ver- gaßeſt ferner, daß ein ſo zuſammengewürfeltes, aus ſieben- zig Völkerſchaften verſchiedener Zungen und Sitten beſte- hendes Reich fort und fort den Keim des Krieges in ſich trägt und ſich vor auswärtigen Kämpfen vorzuſehen hat, damit nicht, wenn die Hauptmaſſe des Heeres abweſend iſt — einzelne Provinzen die erwünſchte Gelegenheit zum Abfall ergreifen. — Frage die Mileſier, ob ſie ruhig bleiben würden, wenn ſie vernehmen ſollten, die Macht ihrer Bedrücker habe in irgend einer Schlacht den Kürze- ren gezogen?“ Theoponpos, der Handelsherr von Milet, rief lachend: „Wenn die Perſer in einem Kriege unterliegen, ſo haben ſie hundert andere auf dem Halſe, und meine Heimat wird ſich nicht zuletzt gegen den geſchwächten Zwingherrn erheben!“ „Mögen die Geſandten vorhaben, was ſie wollen,“ fuhr Kallias fort, „ich beſtehe auf meiner Nachricht, daß ſie ſpäteſtens in drei Tagen hier ſein werden.“ „Und ſomit wäre Dein Orakel erfüllt, glückſeliger Ariſtomachos!“ rief Rhodopis, „die reiſige Schaar von den Bergen kann Niemand ſein, als die Perſer. Wenn dieſe zu den Geſtaden des Nils heranziehen, ſoll ſich der Sinn der richtenden Fünf, Eurer Ephoren 82) ändern, und man wird Dich, den Vater zweier olympiſcher Sieger, in die Heimat zurückberufen. — Fülle die Becher von Neuem, Knakias! Laßt uns dieſen letzten Pokal den Manen des ruhmreichen Lyſander ſpenden; dann aber rathe ich Euch,

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/62>, abgerufen am 27.04.2024.