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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864.

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Aristomachos nickte bejahend, und Phryxos las zum
zweitenmale die Antwort des Pythia:

"Wenn einst die reisige Schaar von schneeigen Bergen herabsteigt,
Zu den Gefilden des Stroms, welcher die Ebne benetzt, --
Führt Dich der zaudernde Kahn herab zu jenem Gefilde,
Welches dem irrenden Fuß heimischen Frieden gewährt.
Wenn einst die reisige Schaar von schneeigen Bergen herabsteigt,
Schenkt Dir die richtende Fünf, was sie Dir lange versagt!"

Kaum hatte Phryxos das letzte Wort gelesen, als
Kallias, der Athener, jubelnd aufsprang und ausrief:
"Die vierte Gabe, das vierte Göttergeschenk sollst Du jetzt
von mir in diesem Hause empfangen; wisse denn, daß ich
meine seltsamste Neuigkeit bis zuletzt aufgeschoben habe:
Die Perser kommen nach Aegypten!"

Keiner der Gäste, außer dem Sybariten, blieb an
seinem Platze und Kallias konnte sich der vielen Fragen
gar nicht erwehren. "Gemach, gemach, ihr Freunde," rief
er endlich; "laßt mich hintereinander erzählen, sonst werde
ich niemals fertig! Eine große Gesandtschaft des Kamby-
ses, jetzigen Großkönigs des allgewaltigen Persien, kein
Kriegsheer, wie Du Phanes vermuthest, ist auf dem Wege
hierher. Zu Samos erhielt ich die Nachricht, daß sie schon
in Milet angekommen seien. Jn wenigen Tagen müssen
sie hier eintreffen. Verwandte des Königs, ja auch der
alte Krösus von Lydien sind unter ihnen; -- wir werden
seltsame Pracht zu sehen bekommen! Den Zweck ihrer Sen-
dung kennt Niemand, doch ward vermuthet, der König
Kambyses werde Amasis ein Bündniß antragen lassen; ja
man wollte wissen, der Großkönig sei Willens, sich um die
Tochter des Pharao zu bewerben."

"Ein Bündniß?" fragte Phanes mit ungläubigem
Achselzucken, "die Perser beherrschen jetzt schon die halbe

Ariſtomachos nickte bejahend, und Phryxos las zum
zweitenmale die Antwort des Pythia:

„Wenn einſt die reiſige Schaar von ſchneeigen Bergen herabſteigt,
Zu den Gefilden des Stroms, welcher die Ebne benetzt, —
Führt Dich der zaudernde Kahn herab zu jenem Gefilde,
Welches dem irrenden Fuß heimiſchen Frieden gewährt.
Wenn einſt die reiſige Schaar von ſchneeigen Bergen herabſteigt,
Schenkt Dir die richtende Fünf, was ſie Dir lange verſagt!“

Kaum hatte Phryxos das letzte Wort geleſen, als
Kallias, der Athener, jubelnd aufſprang und ausrief:
„Die vierte Gabe, das vierte Göttergeſchenk ſollſt Du jetzt
von mir in dieſem Hauſe empfangen; wiſſe denn, daß ich
meine ſeltſamſte Neuigkeit bis zuletzt aufgeſchoben habe:
Die Perſer kommen nach Aegypten!“

Keiner der Gäſte, außer dem Sybariten, blieb an
ſeinem Platze und Kallias konnte ſich der vielen Fragen
gar nicht erwehren. „Gemach, gemach, ihr Freunde,“ rief
er endlich; „laßt mich hintereinander erzählen, ſonſt werde
ich niemals fertig! Eine große Geſandtſchaft des Kamby-
ſes, jetzigen Großkönigs des allgewaltigen Perſien, kein
Kriegsheer, wie Du Phanes vermutheſt, iſt auf dem Wege
hierher. Zu Samos erhielt ich die Nachricht, daß ſie ſchon
in Milet angekommen ſeien. Jn wenigen Tagen müſſen
ſie hier eintreffen. Verwandte des Königs, ja auch der
alte Kröſus von Lydien ſind unter ihnen; — wir werden
ſeltſame Pracht zu ſehen bekommen! Den Zweck ihrer Sen-
dung kennt Niemand, doch ward vermuthet, der König
Kambyſes werde Amaſis ein Bündniß antragen laſſen; ja
man wollte wiſſen, der Großkönig ſei Willens, ſich um die
Tochter des Pharao zu bewerben.“

„Ein Bündniß?“ fragte Phanes mit ungläubigem
Achſelzucken, „die Perſer beherrſchen jetzt ſchon die halbe

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[43/0061] Ariſtomachos nickte bejahend, und Phryxos las zum zweitenmale die Antwort des Pythia: „Wenn einſt die reiſige Schaar von ſchneeigen Bergen herabſteigt, Zu den Gefilden des Stroms, welcher die Ebne benetzt, — Führt Dich der zaudernde Kahn herab zu jenem Gefilde, Welches dem irrenden Fuß heimiſchen Frieden gewährt. Wenn einſt die reiſige Schaar von ſchneeigen Bergen herabſteigt, Schenkt Dir die richtende Fünf, was ſie Dir lange verſagt!“ Kaum hatte Phryxos das letzte Wort geleſen, als Kallias, der Athener, jubelnd aufſprang und ausrief: „Die vierte Gabe, das vierte Göttergeſchenk ſollſt Du jetzt von mir in dieſem Hauſe empfangen; wiſſe denn, daß ich meine ſeltſamſte Neuigkeit bis zuletzt aufgeſchoben habe: Die Perſer kommen nach Aegypten!“ Keiner der Gäſte, außer dem Sybariten, blieb an ſeinem Platze und Kallias konnte ſich der vielen Fragen gar nicht erwehren. „Gemach, gemach, ihr Freunde,“ rief er endlich; „laßt mich hintereinander erzählen, ſonſt werde ich niemals fertig! Eine große Geſandtſchaft des Kamby- ſes, jetzigen Großkönigs des allgewaltigen Perſien, kein Kriegsheer, wie Du Phanes vermutheſt, iſt auf dem Wege hierher. Zu Samos erhielt ich die Nachricht, daß ſie ſchon in Milet angekommen ſeien. Jn wenigen Tagen müſſen ſie hier eintreffen. Verwandte des Königs, ja auch der alte Kröſus von Lydien ſind unter ihnen; — wir werden ſeltſame Pracht zu ſehen bekommen! Den Zweck ihrer Sen- dung kennt Niemand, doch ward vermuthet, der König Kambyſes werde Amaſis ein Bündniß antragen laſſen; ja man wollte wiſſen, der Großkönig ſei Willens, ſich um die Tochter des Pharao zu bewerben.“ „Ein Bündniß?“ fragte Phanes mit ungläubigem Achſelzucken, „die Perſer beherrſchen jetzt ſchon die halbe

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/61>, abgerufen am 27.04.2024.