Zu Naukratis hatten die in Aegypten wohnenden Hel- lenen der in die Fremde ziehenden Tochter ihres Schutz- herrn Amasis ein Fest bereitet.
Auf den Altären der griechischen Götter wurden zahl- reiche Opferthiere geschlachtet, und als die Nilbarken im Hafen landeten, erscholl ein lautes "Ailinon"!
Festlich geschmückte Jungfrauen überreichten Nitetis einen goldnen Reifen, welcher, als Brautkranz, mit tausend duftenden Veilchen 208) umwunden war.
Als schönste Jungfrau von Naukratis, durfte Sappho denselben der Scheidenden überreichen.
Nitetis küßte, die Gabe annehmend, dankbar ihre Stirn. Dann bestieg sie die ihrer harrende Triere.
Die Ruderknechte gingen an ihre Arbeit, und stimm- ten das Keleusma 209) an. -- Der Südwind schwellte die Segel, und ein tausendfaches Ailinon erschallte zum Zwei- tenmale. Bartja winkte vom Verdecke des Königsschiffes seiner Verlobten die letzten Liebesgrüße zu. -- Sappho betete leise zu Aphrodite Euploia, der Schutzpatronin der Schiffe. -- Eine Thräne benetzte ihre Wangen; aber ihren Mund umspielte ein Lächeln der Hoffnung und der Liebe, während die alte Sclavin Melitta, welche den Sonnenschirm der Jungfrau trug, wie eine Verzweifelnde weinte. Als dem Kranze, welcher das Haupt ihres Pfleglings zierte, zufällig einige Blätter entfielen, vergaß sie jedoch während eines Augenblickes ihres Schmerzes und flüsterte leise: "Ja, Herzchen, man sieht, daß Du Liebe empfindest, denn alle Mädchen, welche Blätter aus ihren Kränzen verlieren, deren Herz hat Eros getroffen 210).
Zu Naukratis hatten die in Aegypten wohnenden Hel- lenen der in die Fremde ziehenden Tochter ihres Schutz- herrn Amaſis ein Feſt bereitet.
Auf den Altären der griechiſchen Götter wurden zahl- reiche Opferthiere geſchlachtet, und als die Nilbarken im Hafen landeten, erſcholl ein lautes „Ailinon“!
Feſtlich geſchmückte Jungfrauen überreichten Nitetis einen goldnen Reifen, welcher, als Brautkranz, mit tauſend duftenden Veilchen 208) umwunden war.
Als ſchönſte Jungfrau von Naukratis, durfte Sappho denſelben der Scheidenden überreichen.
Nitetis küßte, die Gabe annehmend, dankbar ihre Stirn. Dann beſtieg ſie die ihrer harrende Triere.
Die Ruderknechte gingen an ihre Arbeit, und ſtimm- ten das Keleusma 209) an. — Der Südwind ſchwellte die Segel, und ein tauſendfaches Ailinon erſchallte zum Zwei- tenmale. Bartja winkte vom Verdecke des Königsſchiffes ſeiner Verlobten die letzten Liebesgrüße zu. — Sappho betete leiſe zu Aphrodite Euploia, der Schutzpatronin der Schiffe. — Eine Thräne benetzte ihre Wangen; aber ihren Mund umſpielte ein Lächeln der Hoffnung und der Liebe, während die alte Sclavin Melitta, welche den Sonnenſchirm der Jungfrau trug, wie eine Verzweifelnde weinte. Als dem Kranze, welcher das Haupt ihres Pfleglings zierte, zufällig einige Blätter entfielen, vergaß ſie jedoch während eines Augenblickes ihres Schmerzes und flüſterte leiſe: „Ja, Herzchen, man ſieht, daß Du Liebe empfindeſt, denn alle Mädchen, welche Blätter aus ihren Kränzen verlieren, deren Herz hat Eros getroffen 210).
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Zu Naukratis hatten die in Aegypten wohnenden Hel-
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herrn Amaſis ein Feſt bereitet.
Auf den Altären der griechiſchen Götter wurden zahl-
reiche Opferthiere geſchlachtet, und als die Nilbarken im
Hafen landeten, erſcholl ein lautes „Ailinon“!
Feſtlich geſchmückte Jungfrauen überreichten Nitetis
einen goldnen Reifen, welcher, als Brautkranz, mit tauſend
duftenden Veilchen 208) umwunden war.
Als ſchönſte Jungfrau von Naukratis, durfte Sappho
denſelben der Scheidenden überreichen.
Nitetis küßte, die Gabe annehmend, dankbar ihre
Stirn. Dann beſtieg ſie die ihrer harrende Triere.
Die Ruderknechte gingen an ihre Arbeit, und ſtimm-
ten das Keleusma 209) an. — Der Südwind ſchwellte die
Segel, und ein tauſendfaches Ailinon erſchallte zum Zwei-
tenmale. Bartja winkte vom Verdecke des Königsſchiffes
ſeiner Verlobten die letzten Liebesgrüße zu. — Sappho
betete leiſe zu Aphrodite Euploia, der Schutzpatronin der
Schiffe. — Eine Thräne benetzte ihre Wangen; aber ihren
Mund umſpielte ein Lächeln der Hoffnung und der Liebe,
während die alte Sclavin Melitta, welche den Sonnenſchirm
der Jungfrau trug, wie eine Verzweifelnde weinte. Als
dem Kranze, welcher das Haupt ihres Pfleglings zierte,
zufällig einige Blätter entfielen, vergaß ſie jedoch während
eines Augenblickes ihres Schmerzes und flüſterte leiſe: „Ja,
Herzchen, man ſieht, daß Du Liebe empfindeſt, denn alle
Mädchen, welche Blätter aus ihren Kränzen verlieren, deren
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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/196>, abgerufen am 22.07.2024.
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