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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864.

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und Dir ein stilles Friedensliedlein singen. -- Alkman *)
der Lyder, der zu Sparta weilte, hat es erdacht, die stille
Nacht zu preisen. Jetzt lausche mir, denn dieses sanfte
Schlummerlied muß leise, leise von den Lippen wehen. --
Küß' mich nicht mehr, nein, bitte, küß' mich nicht, bevor
ich fertig bin; dann aber fordr' ich selbst den Kuß zum
Dank:

"Es schlafen die Gipfel der bergigen Höh',
Es schlafen die Klippen in schlummernder See;
Es schlafen die Schluchten, der Blätter Schaar,
Der Wurm, den die nährende Erde gebar."
"Die Thiere der Berge, sie träumen schwer,
Es schlummert der emsigen Bienen Heer;
Es schläft in des purpurnen Meeres Flut
Der salzigen Tiefen furchtbare Brut;
Die hurtigen Vögelein schlafen fest
Und ruhen die Schwingen im traulichen Nest."

"Nun, Geliebter; mein Kuß?"

"Jch hatte vor Lauschen das Küssen vergessen, wie
ich vorhin vor Küssen das Lauschen vergaß."

"Du Loser! Jst mein Liedchen nicht schön?"

"Schön, wie Alles, was Du singst."

"Und die großen hellenischen Sänger dichten."

"Auch darin geb' ich Dir Recht."

"Habt ihr in Persien keine Sänger?"

"Wie magst Du also fragen? -- Könnte ein
Volk sich edlerer Gefühle rühmen, -- wenn es den Gesang
verachtete?"

"Aber ihr habt doch recht schlimme Sitten."

"Nun?"

*) Siehe Anmerkung 6. Eigene Uebersetzung.

und Dir ein ſtilles Friedensliedlein ſingen. — Alkman *)
der Lyder, der zu Sparta weilte, hat es erdacht, die ſtille
Nacht zu preiſen. Jetzt lauſche mir, denn dieſes ſanfte
Schlummerlied muß leiſe, leiſe von den Lippen wehen. —
Küß’ mich nicht mehr, nein, bitte, küß’ mich nicht, bevor
ich fertig bin; dann aber fordr’ ich ſelbſt den Kuß zum
Dank:

„Es ſchlafen die Gipfel der bergigen Höh’,
Es ſchlafen die Klippen in ſchlummernder See;
Es ſchlafen die Schluchten, der Blätter Schaar,
Der Wurm, den die nährende Erde gebar.“
„Die Thiere der Berge, ſie träumen ſchwer,
Es ſchlummert der emſigen Bienen Heer;
Es ſchläft in des purpurnen Meeres Flut
Der ſalzigen Tiefen furchtbare Brut;
Die hurtigen Vögelein ſchlafen feſt
Und ruhen die Schwingen im traulichen Neſt.“

„Nun, Geliebter; mein Kuß?“

„Jch hatte vor Lauſchen das Küſſen vergeſſen, wie
ich vorhin vor Küſſen das Lauſchen vergaß.“

„Du Loſer! Jſt mein Liedchen nicht ſchön?“

„Schön, wie Alles, was Du ſingſt.“

„Und die großen helleniſchen Sänger dichten.“

„Auch darin geb’ ich Dir Recht.“

„Habt ihr in Perſien keine Sänger?“

„Wie magſt Du alſo fragen? — Könnte ein
Volk ſich edlerer Gefühle rühmen, — wenn es den Geſang
verachtete?“

„Aber ihr habt doch recht ſchlimme Sitten.“

„Nun?“

*) Siehe Anmerkung 6. Eigene Ueberſetzung.
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[163/0181] und Dir ein ſtilles Friedensliedlein ſingen. — Alkman *) der Lyder, der zu Sparta weilte, hat es erdacht, die ſtille Nacht zu preiſen. Jetzt lauſche mir, denn dieſes ſanfte Schlummerlied muß leiſe, leiſe von den Lippen wehen. — Küß’ mich nicht mehr, nein, bitte, küß’ mich nicht, bevor ich fertig bin; dann aber fordr’ ich ſelbſt den Kuß zum Dank: „Es ſchlafen die Gipfel der bergigen Höh’, Es ſchlafen die Klippen in ſchlummernder See; Es ſchlafen die Schluchten, der Blätter Schaar, Der Wurm, den die nährende Erde gebar.“ „Die Thiere der Berge, ſie träumen ſchwer, Es ſchlummert der emſigen Bienen Heer; Es ſchläft in des purpurnen Meeres Flut Der ſalzigen Tiefen furchtbare Brut; Die hurtigen Vögelein ſchlafen feſt Und ruhen die Schwingen im traulichen Neſt.“ „Nun, Geliebter; mein Kuß?“ „Jch hatte vor Lauſchen das Küſſen vergeſſen, wie ich vorhin vor Küſſen das Lauſchen vergaß.“ „Du Loſer! Jſt mein Liedchen nicht ſchön?“ „Schön, wie Alles, was Du ſingſt.“ „Und die großen helleniſchen Sänger dichten.“ „Auch darin geb’ ich Dir Recht.“ „Habt ihr in Perſien keine Sänger?“ „Wie magſt Du alſo fragen? — Könnte ein Volk ſich edlerer Gefühle rühmen, — wenn es den Geſang verachtete?“ „Aber ihr habt doch recht ſchlimme Sitten.“ „Nun?“ *) Siehe Anmerkung 6. Eigene Ueberſetzung.

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/181>, abgerufen am 30.04.2024.