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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864.

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immer den erwünschten Ton vernehmen, und ich durfte viel
öfter fröhlich, als traurig sein 201)."

"Und so möge es bleiben!"

"Ja, so muß es bleiben; denn mein Herz vertraut
Dir so voll und ganz, als wärest Du mein Bruder, mein
Vater und mein Geliebter zugleich. Deine Augen können
nicht lügen, und dann ist ja die erste Tugend der Perser
Wahrhaftigkeit. Wie möchtest Du, der Königssohn, ein
armes Mädchen hintergehen!"

"Bei allen reinen Geistern des Lichts! Jch werde
Dich lieben bis in den Tod!"

"Sprich leise, Liebster, damit uns Knakias, der dort
zum Nile geht, um Wasser zu schöpfen, nicht bemerkt."

"Ja ich will leise sprechen. So! Jetzt streich ich
Dein seidenes Haar zurück und flüstre in Dein Ohr: ,Jch
liebe Dich! Hast Du's verstanden?'"

"Was man gerne hört, sagt mein Ahne, das versteht
sich leicht; doch hättest Du mir eben auch in's Ohr geru-
fen: ,Jch hasse Dich!' so würde mir Dein Blick, trotzdem
mit tausend Stimmen zugejubelt haben, daß Du mich
liebst. Des Auges stummer Mund ist viel beredter, als
alle Zungen in der ganzen Welt."

"Könnt' ich nur, wie Du, die schöne Sprache der
Hellenen reden, dann wollt ich ..."

"O, ich freue mich, daß Du nicht besser sprichst;
denn könntest Du mir Alles sagen, was Du fühlst, so
würdest Du mir, mein ich, weit weniger zärtlich in die
Augen schauen. Was sind denn Worte!? Hörst Du dort
die Nachtigall? Der Rede Gabe ward ihr nicht zu Theil
und dennoch glaub' ich, daß ich sie verstehe."

"Willst Du mir's anvertrauen? Jch möchte gerne
wissen, was Gulgul, wie wir Perser die Nachtigall be-

Ebers, Eine ägyptische Königstochter. I. 11

immer den erwünſchten Ton vernehmen, und ich durfte viel
öfter fröhlich, als traurig ſein 201).“

„Und ſo möge es bleiben!“

„Ja, ſo muß es bleiben; denn mein Herz vertraut
Dir ſo voll und ganz, als wäreſt Du mein Bruder, mein
Vater und mein Geliebter zugleich. Deine Augen können
nicht lügen, und dann iſt ja die erſte Tugend der Perſer
Wahrhaftigkeit. Wie möchteſt Du, der Königsſohn, ein
armes Mädchen hintergehen!“

„Bei allen reinen Geiſtern des Lichts! Jch werde
Dich lieben bis in den Tod!“

„Sprich leiſe, Liebſter, damit uns Knakias, der dort
zum Nile geht, um Waſſer zu ſchöpfen, nicht bemerkt.“

„Ja ich will leiſe ſprechen. So! Jetzt ſtreich ich
Dein ſeidenes Haar zurück und flüſtre in Dein Ohr: ‚Jch
liebe Dich! Haſt Du’s verſtanden?‘“

„Was man gerne hört, ſagt mein Ahne, das verſteht
ſich leicht; doch hätteſt Du mir eben auch in’s Ohr geru-
fen: ‚Jch haſſe Dich!‘ ſo würde mir Dein Blick, trotzdem
mit tauſend Stimmen zugejubelt haben, daß Du mich
liebſt. Des Auges ſtummer Mund iſt viel beredter, als
alle Zungen in der ganzen Welt.“

„Könnt’ ich nur, wie Du, die ſchöne Sprache der
Hellenen reden, dann wollt ich ...“

„O, ich freue mich, daß Du nicht beſſer ſprichſt;
denn könnteſt Du mir Alles ſagen, was Du fühlſt, ſo
würdeſt Du mir, mein ich, weit weniger zärtlich in die
Augen ſchauen. Was ſind denn Worte!? Hörſt Du dort
die Nachtigall? Der Rede Gabe ward ihr nicht zu Theil
und dennoch glaub’ ich, daß ich ſie verſtehe.“

„Willſt Du mir’s anvertrauen? Jch möchte gerne
wiſſen, was Gulgul, wie wir Perſer die Nachtigall be-

Ebers, Eine ägyptiſche Königstochter. I. 11
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[161/0179] immer den erwünſchten Ton vernehmen, und ich durfte viel öfter fröhlich, als traurig ſein 201).“ „Und ſo möge es bleiben!“ „Ja, ſo muß es bleiben; denn mein Herz vertraut Dir ſo voll und ganz, als wäreſt Du mein Bruder, mein Vater und mein Geliebter zugleich. Deine Augen können nicht lügen, und dann iſt ja die erſte Tugend der Perſer Wahrhaftigkeit. Wie möchteſt Du, der Königsſohn, ein armes Mädchen hintergehen!“ „Bei allen reinen Geiſtern des Lichts! Jch werde Dich lieben bis in den Tod!“ „Sprich leiſe, Liebſter, damit uns Knakias, der dort zum Nile geht, um Waſſer zu ſchöpfen, nicht bemerkt.“ „Ja ich will leiſe ſprechen. So! Jetzt ſtreich ich Dein ſeidenes Haar zurück und flüſtre in Dein Ohr: ‚Jch liebe Dich! Haſt Du’s verſtanden?‘“ „Was man gerne hört, ſagt mein Ahne, das verſteht ſich leicht; doch hätteſt Du mir eben auch in’s Ohr geru- fen: ‚Jch haſſe Dich!‘ ſo würde mir Dein Blick, trotzdem mit tauſend Stimmen zugejubelt haben, daß Du mich liebſt. Des Auges ſtummer Mund iſt viel beredter, als alle Zungen in der ganzen Welt.“ „Könnt’ ich nur, wie Du, die ſchöne Sprache der Hellenen reden, dann wollt ich ...“ „O, ich freue mich, daß Du nicht beſſer ſprichſt; denn könnteſt Du mir Alles ſagen, was Du fühlſt, ſo würdeſt Du mir, mein ich, weit weniger zärtlich in die Augen ſchauen. Was ſind denn Worte!? Hörſt Du dort die Nachtigall? Der Rede Gabe ward ihr nicht zu Theil und dennoch glaub’ ich, daß ich ſie verſtehe.“ „Willſt Du mir’s anvertrauen? Jch möchte gerne wiſſen, was Gulgul, wie wir Perſer die Nachtigall be- Ebers, Eine ägyptiſche Königstochter. I. 11

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/179>, abgerufen am 30.04.2024.